Linken-Parteitag in Leipzig: Riexinger ruft Linke zu Beilegung des Streits auf
Zum Auftakt ihres Parteitags versuchen es die zerstrittenen Linken friedlich. Parteichef Riexinger will "Differenzen klären und Kräfte bündeln". Die Flüchtlingspolitik soll die Partei nicht weiter spalten.
Wie es sich gehört, macht der Parteichef den Aufschlag. Kurz nach 20 Uhr betritt Bernd Riexinger die Bühne. Seine Rede ist der erste spannende Moment an diesem Freitagabend – er setzt den Ton für die kommenden Tage: Wird Riexinger mit seinen Worten versuchen, die verschiedenen, seit Monaten zerstrittenen Strömungen in der Partei zu einen? Oder wird er doch auf Konfrontation zu seinen parteiinternen Gegnern gehen – und den großen Krach riskieren?
Auf den erbitterten Streit in seiner Partei geht Riexinger zunächst jedoch nicht ein. Jeder im Saal weiß, dass er – wie seine Ko-Vorsitzende Katja Kipping auch – zu dem einen Lager gehört, das sich für eine liberale Migrationspolitik stark macht. Er und seine Mitstreiter wollen „offene Grenzen“ für alle. Der andere Flügel wird von den beiden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, verkörpert. Sie wollen etwas weniger offene Grenzen.
Den Hausbesetzern von Stuttgart bekundet er Respekt
Riexinger könnte seinen Gegnern in der Auftaktrede jetzt, am ersten Tag des Linken-Konvents, die Leviten lesen. Doch der Linken-Chef zeigt sich zahm. Er steigt klassisch ein – und spricht zunächst eine Reihe von Themen an, bei denen er die geschlossene Zustimmung des Parteitags erwarten kann.
So betont er, wie wichtig die Linke doch sei. Auch bekräftigt er die friedenspolitischen Positionen seiner Partei. „Wer Frieden will, muss abrüsten“, ruft er und erntet dafür kräftigen Applaus. Auch bei seinem Rundumschlag gegen Hartz IV, die SPD oder die Bundesregierung klatschen und pfeifen die Zuhörer begeistert. Als Riexinger der Hausbesetzerszene in Stuttgart seinen Respekt bekundet und hohen Mieten den Kampf ansagt, johlen einige junge Linke auf den hinteren Reihen der Delegiertenplätze.
In solchen Momenten wirken die heftigen Streitereien der vergangenen Monate beinah vergessen – so als gäbe es keinen Zwist zwischen den Lagern der Partei, zwischen Riexinger und der Führung der Bundestagsfraktion. Selbst seine Rivalen Wagenknecht und Bartsch klatschen artig in der ersten Reihe.
Das Flüchtlingsthema ist wie eine Schicksalsfrage der Partei
Doch das Thema der Flüchtlingspolitik kann der Parteivorsitzende nicht lange ausklammern. „Es muss eine Partei geben, die nicht zuschaut, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken“, sagt er auf einmal. Und dann ist es plötzlich da: das Flüchtlingsthema – das für die Linke zu einer Frage des Selbstverständnisses geworden sei, wie Riexinger sagt. Zu einer Schicksalsfrage für die Partei.
„Wir brauchen sichere, legale Fluchtwege und offene Grenzen“, zitiert Riexinger aus dem Leitantrag. Es ist seine Position. Dass der Parteivorstand diesen Satz so beschlossen habe, darauf sei er stolz, sagt er – und bekommt wieder kräftigen Applaus. Das zu hören muss für das Wagenknecht-Lager schwer erträglich sein. Zeigt der Beschluss doch, dass die Anhänger der offenen Grenzen, also die Wagenknecht-Gegner, die Mehrheit im Vorstand halten. Dass Riexinger mit seiner Forderung nach offenen Grenzen auch noch langen Applaus erhält, dürfte Wagenknecht ebenfalls als schlechtes Zeichen werten.
Indirekt kritisiert er das Team um Wagenknecht
Indirekt kritisiert Riexinger jetzt das „Team Sahra“, also Wagenknecht und ihre Mitstreiter im Bundestag. Es brauche eine „soziale Offensive für alle“, fordert er. Das Steuerkonzept seiner Partei sehe genug Geld für die Versorgung von Geflüchteten wie auch für die einheimische Bevölkerung vor. Es dürfe keine „nationalen Verteilungskämpfe“ geben – kein Grund also, eine Konkurrenz zwischen Migranten und Alteingesessenen auszumachen. Auch das ist ein offener Widerspruch zu Wagenknecht: Warnt die doch seit langem, es könne zwischen den beiden Gruppen auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt zu Kämpfen kommen.
Stehende Ovationen am Ende der Rede
Doch solche Stellen, an denen Riexinger seine parteiinternen Gegnern mal mehr, mal weniger direkt kritisiert, bleiben in seiner Rede selten. Kurz nachdem er die Flüchtlingspolitk anspricht, kehrt er zu versöhnlicheren Tönen zurück. Dann zeigt er sich wieder in der Rolle des ausgleichenden Parteichefs. Die Linke müsse ihre „Differenzen klären und Kräfte bündeln“, fordert er.
Für seine Forderungen nach Zusammenhalt erntet Riexinger viel Applaus. Für die Rede bekommt er stehende Ovationen. Auch Sahra Wagenknecht erhebt sich, spät allerdings, fast widerwillig, wie es scheint. Sie klatscht nur kurz.