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Jubel in Eriwan nach der Wahl Paschinjans zum armenischen Regierungschef.
© Thanassis Stavrakis, dpa

Machtwechsel in Armenien: Revolution ohne Farben und Blumen

Russland hat sich nicht in den Machtwechsel in Armenien eingemischt. Was war in Eriwan anders als in der Ukraine oder Georgien?

Volksaufstände in seiner Nachbarschaft mag der Kreml nicht. Umso erstaunlicher war es: Der erste ausländische Staatschef, der dem neuen Regierungschef Nikol Paschinjan am Dienstag zur Wahl gratulierte hatte, war der russische Präsident Wladimir Putin. Dabei hatte Paschinjan die Demonstrationen in der Kaukasusrepublik gegen die aus Moskauer Sicht legitimierte Macht angeführt. Was war passiert? Was ist in Armenien anders als in der Ukraine, in Georgien oder Kirgistan, wo der Kreml die Farbrevolutionen als illegitime Regimewechsel brandmarkte und ihnen stets mit massivem Gegenfeuer begegnete?

Die armenische Bewegung, die zunächst den Rücktritt Sargsjans erzwang und dann mit einem eintägigen Generalstreik den Widerstand der bis dahin regierenden Republikaner gegen Paschinjan brach, stellte das besondere Verhältnis zwischen Armenien und Russland nicht in Frage. Oppositionsführer Paschinjan kritisierte Vetternwirtschaft, das Justizsystem und die mit der Regierung verbandelten Oligarchen. Einen außenpolitischen Richtungswechsel schloss er aus. Die Entscheidung über eine prorussische oder proeuropäische Orientierung des Landes hätte seine Anhängerschaft gespalten. Anspielungen auf frühere Regimewechsel in der Nachbarschaft, auf die georgische Rosenrevolution oder den ukrainischen „orangenen“ Aufstand, vermied der neue starke Mann deshalb tunlichst.

Keine Angriffsfläche

„Man wählte weder eine Farbe noch eine Blume“, sagt Armen Ghazarjan, Forscher beim Think Tank Caucasus Institute. Stattdessen wurde der nationale Charakter der Protestbewegung betont. Nichtregierungsorganisationen, denen auch in Armenien oft eine ausländische Agenda unterstellt wird, hielten sich im Hintergrund. Selbst die Sicherheitskräfte holte die Opposition durch friedfertige und familiäre Rhetorik auf ihre Seite. Die Strategie ging auf.

Paschinjan bot Moskau keine Angriffsfläche. Er positionierte sich als „proarmenisch, nicht als proeuropäisch“, erklärt der Analyst Stepan Grigorjan. Dabei hatte der 42-Jährige in der Vergangenheit durchaus anders geklungen. Lange hatte er hatte der regierenden Republikanischen Partei Moskau-Hörigkeit vorgeworfen – was vor allem bei der jüngeren Generation Anklang fand. Grigorjan, ein europafreundlicher Analyst, kritisiert, dass die bisherige Regierung den Wunsch der Bürger nach einer stärkeren EU-Annäherung ignoriert habe. So trat Eriwan 2015 auf Druck Moskaus der Eurasischen Wirtschaftsunion bei. Ein von Brüssel angebotenes Assoziierungsabkommen schlug man aus. Erst 2017 schlossen Eriwan und die EU das unverbindlichere Partnerschaftsabkommen Cepa.

Armenien und seine historische Schutzmacht Russland verbinden besondere Beziehungen. Die drei Millionen Einwohner zählende Republik ist Teil des von Moskau geführten Militärbündnisses OVKS; Russland betreibt zwei Militärbasen im Land. Moskau wiederum sorgt im ungelösten Konflikt mit Aserbaidschan über die Exklave Berg-Karabach dafür, dass keine der beiden Seiten die Oberhand bekommt. Massive russische Waffenlieferungen an Baku haben jedoch dazu geführt, dass die Armenier Moskaus Rolle zunehmend kritisch sehen. Befördert wurde die Unzufriedenheit auch durch eine kurze militärische Auseinandersetzung mit dem von Russland aufgerüsteten Nachbarland im April 2016, die die armenische Verletzlichkeit offenbarte.

Aus den Umbrüchen gelernt

Nicht nur die armenische Opposition, auch der Kreml scheint aus früheren Umbrüchen gelernt zu haben. Die Einmischung in der Ukraine – Krim-Annexion und militärische Eskalation im Donbass – brachte nicht den gewünschten Effekt. „Der Kreml hat verstanden, dass er die Bevölkerung gegen sich aufbringt, wenn er interveniert“, sagt der Politologe Arthur Atanesjan von der Staatlichen Universität Eriwan. „Man wollte nicht das Image Russlands zerstören.“ Gleichzeitig unternehme Moskau unbemerkt Schritte. Dass in den Wochen der Proteste nicht – wie befürchtet – die Lage um Berg-Karabach eskalierte, schreibt Atanesjan Russlands Einflussnahme auf Baku zu. Der Kreml werde auch in Paschinjans Kabinett, das dieser in den nächsten Tagen präsentieren wird, ein Wörtchen mitreden, ist der Experte überzeugt.

Als Oppositioneller kritisierte Paschinjan „natürlich“ die Moskau-freundliche Regierungspolitik. „Einmal im System, wird er sich anpassen müssen“, meint Atanesjan. Analyst Stepan Grigorjan dagegen hofft auf eine „echte Multivektorenpolitik“ und eine europafreundlichere Ausrichtung als bisher. Eriwan solle sich künftig besser gegenüber Moskau behaupten – und etwa die Wirtschaftsunion inhaltlich nachverhandeln.

Ob das gelingt? Aus Moskau kam am Donnerstag die Nachricht, dass Russland Gemüseimporte aus Armenien wegen Hygienemängeln eventuell zeitweilig aussetzen müsse. Das klingt sehr bekannt, es erinnert an die ersten russischen Sanktionsschritte gegen Georgien und die Ukraine.

Jutta Sommerbauer

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