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Felix Klein ist seit Mai 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.
© Thilo Rückeis

„Man muss im Alltag einschreiten“: Regierungsbeauftragter fordert mehr Einsatz gegen Antisemitismus

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, mahnt zum Handeln - damit Juden auch mit Kippa auf die Straße gehen können.

Seit Mai vergangenen Jahres ist Felix Klein Beauftragter der Bundesregierung für den Kampf gegen Antisemitismus. Außerdem ist er für jüdisches Leben in Deutschland zuständig. Einen Vorgänger auf dem Posten hat Klein nicht, das Amt wurde neu geschaffen. Mit der jüdischen Community war der gelernte Jurist bereits zuvor auf seinem Posten im Auswärtigen Amt gut vernetzt.

Israelische Touristen wurden in Berlin attackiert, weil sie Hebräisch sprachen, ein Mann, der durch seine Kleidung als Jude erkennbar war, wurde antisemitisch beleidigt, ein Rabbiner vor einiger Zeit auf der Straße angespuckt. Wie bewerten Sie die jüngsten antisemitischen Vorfälle?
Gerade in Berlin ist derzeit eine Häufung dieser Angriffe festzustellen. Wir sehen aber auch eine neue Qualität. Dass Rabbiner angegriffen werden, hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Das ist unerträglich und nicht hinnehmbar.

Wie erklären Sie sich die Zunahme dieser Angriffe?
Die Hemmschwellen sind gesunken. Die allgemeine Verrohung, die in der Gesellschaft festzustellen ist, wirkt sich auch auf die jüdische Gemeinschaft aus. Gleichzeitig hat sich das Meldeverhalten innerhalb der jüdischen Community verändert. Heute gehen die Leute eher zur Polizei als früher. Sie wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Täter strafrechtlich verfolgt werden.

Aber wer sind die Täter? Die Polizei sagt, es seien zu 95 Prozent Rechte, dagegen betont die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin, bei 49 Prozent der in Berlin begangenen Taten sei unklar, wer die Täter sind.
Es gibt einen Widerspruch der Wahrnehmungen. Die Kriminalstatistik ordnet den weitgehend größten Teil dem rechten Bereich zu. Dagegen nehmen die Juden insbesondere in Berlin den Antisemitismus, der von Muslimen ausgeht, sehr viel stärker wahr.

Dem müssen wir nachgehen. Wir brauchen in dieser Frage einen direkten Austausch zwischen der jüdischen Gemeinde und der Polizei. Das soll es in Berlin demnächst geben.

Warum ist die Kluft zwischen den Zahlen der Polizei und der zivilgesellschaftlichen Dokumentationen so groß?
Bisher wird eine antisemitische Tat, wenn der Täter nicht bekannt ist, dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet. Das halte ich für diskussionsbedürftig.

Die Polizei argumentiert, dass von den aufgeklärten Fällen tatsächlich 90 Prozent der Täter Rechtsextremisten seien. Aber hier müssen wir genauer hinsehen und eine sachliche Diskussion führen.

Etwa alle zwei Wochen wird in Deutschland ein jüdischer Friedhof geschändet. Der Zentralrat der Juden fordert daher mehr polizeiliche Prävention. Müssen Friedhöfe künftig bewacht werden?
Dass so etwas passiert, ist eine Schande. Eine dauerhafte Präsenz ist wahrscheinlich unmöglich, weil die polizeilichen Ressourcen begrenzt sind. Aber die Polizei sollte das Thema stärker in den Blick nehmen, weil es eine große Symbolkraft hat. Denkbar wäre auch, dass sich der Staat an den Kosten für private Sicherheitsdienste beteiligt oder dass jüdische Friedhöfe in Videoüberwachungen einbezogen werden.

Was sollte die Politik gegen die wachsende Zahl antisemitischer Taten tun?
Polizei und Staatsanwaltschaft müssen endlich in die Lage versetzt werden, diese Fälle wirklich zu verfolgen, und zwar schnell. Wir müssen also mehr Personal zur Verfügung stellen und auch entsprechend schulen, damit klar wird, was Antisemitismus ist und wie man ihn erkennt. Außerdem brauchen wir ein politisches Zeichen: Das Strafrecht muss so erweitert werden, dass antisemitische Taten härter bestraft werden können.

Nach den NSU-Morden wurde ein entsprechender Paragraf im Strafgesetzbuch geschaffen, der es ermöglicht, Taten besonders zu ahnden, wenn sie aus rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven begangen wurden. Diesen Katalog sollten wir um antisemitische Motive ergänzen. Denn Antisemitismus ist eine besondere Form der Diskriminierung, keine Unterkategorie von Rassismus.

Das heißt, bisher sind die Strafen für solche Taten aus Ihrer Sicht zu niedrig?
Der Mann, der 2018 in Prenzlauer Berg einen Israeli mit einem Gürtel angegriffen hatte, hat nach meiner Auffassung eine sehr milde Strafe bekommen…

… das Gericht verurteilte ihn zu vier Wochen Arrest.
Dabei spielten auch das Jugendstrafrecht und die Tatsache eine Rolle, dass er nicht vorbestraft ist. Aber wir sollten Richter und Staatsanwälte stärker sensibilisieren. Ein Angriff auf eine Synagoge in Wuppertal im Jahr 2014 wurde nicht als antisemitische Tat eingeordnet. Das muss sich ändern.

Die Jüdische Gemeinde in Berlin kritisiert, dass die Gesellschaft nicht genug gegen Antisemitismus tue. Wie sehen Sie das?
Ein antisemitischer Angriff betrifft nicht nur die Person, die angegriffen wurde. Er betrifft uns alle. Antisemitismus ist ein Angriff auf die Würde des Menschen und auf unsere Gesellschaftsordnung, die vom Grundgesetz geschützt wird. Der Gesellschaft muss klar sein, dass sie eingreifen muss, um die Demokratie zu verteidigen.

Das fängt nicht erst mit antisemitischen Angriffen an, sondern bereits dann, wenn etwas gegen Juden gesagt wird. An dieser Stelle muss man im Alltag einschreiten, im Betrieb, auf dem Fußballplatz oder in der U-Bahn. Das gilt auch, wenn Juden als deutsche Staatsbürger für Handlungen der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden. Der israelbezogene Antisemitismus ist die am weitesten verbreitete Form der Judenfeindschaft in Deutschland – bei Rechts- wie Linksextremen und bei den Islamisten sowieso.

Wenn Sie jemand fragt, ob man in Berlin eine Kippa tragen oder hebräisch reden kann, was würden Sie ihm raten?
Vor einiger Zeit habe ich mal gesagt, es sei nicht ratsam, überall und zu jeder Zeit eine Kippa zu tragen. Damit wollte ich aufrütteln. Heute würde ich sagen: Man soll in Berlin Kippa tragen können – und ich wünsche mir eine Zivilgesellschaft, die sofort dazwischen geht, wenn das infrage gestellt wird.

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