zum Hauptinhalt
Pro-russische Demonstration vor dem regionalen Verwaltungsgebäude im ostukrainischen Donezk.
© AFP

Russland und die Krim-Krise: Regierung in Kiew: "Putin will die gesamte Ukraine"

In Kiew warnt die Übergangsregierung vor den russischen Truppen an der Ostgrenze der Ukraine. Tausende forderten dort ein Referendum wie auf der Krim. Auch Transnistrien ist bedroht. Was kommt nach der Krim?

US-Präsident Barack Obama und die anderen Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industriestaaten beraten heute in Den Haag über die Ukraine-Krise. Am Rande eines Gipfels über den Schutz von Nuklearmaterial vor Terroristen will die G7 ein Zeichen der Geschlossenheit gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin setzen. Die G7 wird Russland voraussichtlich davor warnen, die Lage weiter zu destabilisieren und etwa Truppen in den Osten der Ukraine zu schicken. Die Menschen in der Ukraine, aber auch den Westen beschäftigt nach dem völkerrechtswidrigen Anschluss der Halbinsel Krim an Russland die Frage, ob Moskau nun weitere Gebiete unter seine Kontrolle bringen wird.

Wie groß ist die Gefahr, dass Russland auch die Ostukraine annektiert?

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte sich in seiner Rede zum Beitritt der Krim vor genau einer Woche zwiespältig geäußert: Zum einen hatte er diesbezügliche Vorwürfe des Westens zurückgewiesen – Russland betreibe keine Interventionspolitik. Andererseits hatte er erklärt, dass Moskau russischstämmige Bürger in jedem Land beschützen werde.

Wenn nun, wie in der Ostukraine, die dort lebende russischstämmige Bevölkerung den Anschluss an Russland fordert und sich daraus Spannungen in der Region ergeben, könnte Putin einen Vorwand für militärisches Eingreifen finden. Am Sonntag forderten in der Grubenstadt Donezk wieder tausende Menschen ein Referendum mit dem Ziel eines Beitritts zu Russland. Auf dem Lenin-Platz skandierten sie „Russland, Russland!“ und verlangten, EU und USA sollten sich aus der Ukraine heraushalten. Weil der neuen Regierung in Kiew auch Rechtsradikale angehören, sprachen die Demonstranten davon, dass dort Faschisten die Macht übernommen hätten. „Wir Donezker werden um Schutz der Russen bitten!“, kündigte ein Offizier des Katastrophenschutzes an.

Die Übergangsführung in Kiew warnte am Sonntag, russische Truppen an der Ostgrenze des Landes seien „jederzeit zu einem Angriff bereit“. Putins Ziel sei „nicht die Krim, sondern die gesamte Ukraine“, sagte der Chef des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Andrij Parubij. Russlands Verteidigungsministerium dementierte, Truppen in übergroßer Zahl an der ukrainischen Ostgrenze stationiert zu haben. Man beachte „alle internationalen Vereinbarungen zur Begrenzung der Truppengröße in Grenzregionen zur Ukraine“, sagte Vizeverteidigungsminister Anatoli Antonow. In den vergangenen Wochen seien auch internationale Beobachter in diesen Gegenden gewesen.

Wie steht die Nato zu drohenden Gebietsansprüchen Moskaus?

Der Oberbefehlshaber der Nato-Kräfte in Europa, General Philip Breedlove, schließt nicht aus, dass Russland nach der Krim weitere Gebiete der Ukraine, aber auch andere Regionen mit militärischer Gewalt unter seine Kontrolle bringen möchte. Russland habe „an der Grenze zur Ukraine genug Kräfte für einen Vorstoß nach Transnistrien gesammelt“, sagte Breedlove beim Brussels Forum des German Marshall Fund (GMF). Er ließ aber die Möglichkeit offen, dass es sich bei dem Aufmarsch im Rahmen eines Manövers auch um eine Drohgebärde handeln könne. Niemand könne derzeit mit Sicherheit sagen, was Präsident Putin vorhabe.

Transnistrien gehört offiziell zum Staat Moldawien, der im Südwesten an die Ukraine grenzt. Ethnisch und sprachlich besteht eine enge Verwandtschaft mit Rumänien. Seit zwei Jahrzehnten kontrolliert ein Regime, das von keinem anderen Staat anerkannt wird und im Wesentlichen von Schmuggel lebt, unter dem Schutz mehrerer tausend russischer Soldaten den Landstrich Transnistrien auf dem Ostufer des Dnjestr. Moskau hatte sie nach der Auflösung der Sowjetunion und der Unabhängigkeit Moldawiens im Land gelassen unter dem Vorwand, die russischstämmigen Bürger schützen zu müssen.

Auf dem OSZE-Gipfel 1999 hatte sich Russland verpflichtet, die Soldaten abzuziehen, hat dies aber bis heute nicht getan. Die Bevölkerung Transnistriens besteht zu je einem Drittel aus rumänischsprachigen Moldauern, Ukrainern und Russen. Um eine Landbrücke nach Transnistrien zu bilden, müssten russische Truppen von der Ostgrenze der Ukraine mehrere hundert Kilometer durch den Süden des Landes und die strategisch wichtige Hafenstadt Odessa nach Westen vorstoßen. Jean-Claude Juncker, Kandidat der Europäischen Volkspartei für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten, hält es deshalb für dringlich, in den kommenden Wochen ein Assoziierungsabkommen mit Moldawien zu unterschreiben.

Welche Erkenntnisse hat die Nato über die Vorgänge auf der Krim?

General Breedlove sagte, die Abtrennung der Krim von Russland sei keine Aktion spontan gebildeter russischer Selbstverteidigungskräfte auf der Halbinsel gewesen, wie der Kreml es darstellt. Nach Erkenntnissen der Nato-Aufklärung habe es sich um eine generalstabsmäßig geplante und „professionell ausgeführte“ Operation des russischen Militärs gehandelt. Dabei seien Techniken zum Einsatz gekommen, über die nur professionelle Streitkräfte verfügen, wie Cyberwar sowie die gezielte Störung und Unterbrechung der ukrainischen Kommunikationssysteme. Im Ergebnis hätten die ukrainischen Truppen auf der Krim keine Befehle mehr aus der Hauptstadt Kiew empfangen können. In dieser Lage wäre „Widerstand zwecklos“ gewesen und hätte nur zu unnötigem Blutvergießen geführt. mit dpa/AFP

Zur Startseite