Transplantationsskandal in Göttingen: Regierung fürchtet um Organspenden
Es sind bislang einmalige Vorgänge: An der Uni-Klinik in Göttingen hat es offenbar Manipulationen von Krankenakten gegeben, um bestimmte Patienten bei Transplantationen zu bevorzugen. Einer der größten Skandale in der Geschichte der Organspende droht. Doch viele Fragen sind noch ungeklärt.
Deutschland droht einer der größten Skandale in der Geschichte der Organspende. Ein oder mehrere Göttinger Transplantationsmediziner haben in den Jahren 2010 und 2011 offenbar in großem Stil Akten von Patienten manipuliert, um ihnen außerhalb der Warteliste zu einer Spenderleber zu verhelfen.
Im Frühsommer waren erstmals Vorwürfe gegen einen ehemaligen Oberarzt der Göttinger Uniklinik bekannt geworden, der dort 2011 einen russischen Patienten gegen eine hohe Geldzahlung bei einer Lebertransplantation bevorzugt haben soll. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen beide wegen Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung. Darüber hinaus gibt es 25 weitere Verdachtsfälle, wie Klinikvorstand Martin Siess am Freitag bestätigte.
Diese „Auffälligkeiten“ seien zunächst von der Bundesärztekammer festgestellt worden, die in Göttingen zwei Listen aus den Jahren 2010 und 2011 überprüft und abgeglichen habe – die Liste der Patienten, die dort auf eine neue Leber warteten sowie die Liste der tatsächlich erfolgten Verpflanzungen. Am 21. Juni habe die Ärztekammer die Uniklinik über ihre Recherchen informiert, sagte Siess. Die Krankenhausleitung setzte ihrerseits die Staatsanwaltschaft Braunschweig in Kenntnis und richtete darüber hinaus eine eigene externe Gutachterkommission ein.
Wie die Manipulationen der Listen im Einzelnen erfolgten, blieb zunächst offen. Dass jeweils Dialyseprotokolle gefälscht oder frei erfunden und Laborwerte wie die Blutgerinnungsneigung und der Kreatinwert, der ebenfalls ein Indikator für den Zustand der Nieren ist, manipuliert wurden, wie spekuliert wird, wollte oder konnte Siess nicht bestätigen.
Er schloss nicht aus, dass weitere Mediziner oder andere Mitarbeiter des Hauses in die Vorfälle verstrickt sind. „Theoretisch wären die Akten von einer Person manipulierbar gewesen“, sagte er. „Das ist allerdings höchst unwahrscheinlich.“ Ebenso unwahrscheinlich sei es jedoch, „dass es viele waren, die manipuliert haben“. Der Hallenser Strafrechtsprofessor Hans Lilie hält es sogar für „sicher, dass das nicht eine Person allein war“. Er sprach von bislang einmaligen Vorgängen.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) forderte Konsequenzen, sollten sich die neuen Verdachtsfälle bestätigen. Ein Sprecher des Ministers sagte, es sei nicht nur gesetzeswidrig, „sondern höchst respektlos und ethisch in höchstem Maße verwerflich, wenn Organe nicht nach medizinischer Dringlichkeit transplantiert“ würden. Die Bereitschaft zur Organspende werde durch solche Vorgänge erschüttert, deshalb sei eine „schonungslose Aufklärung“ wichtig. Zugleich lehnt das Ministerium eine Verschärfung gesetzlicher Vorschriften ab.
Die Deutsche Transplantationsgesellschaft reagierte „bestürzt“ auf die Fälschungsvorwürfe. Der Vorstand beschloss, dass sich die deutschen Lebertransplantationszentren künftig freiwillig unangekündigten Kontrollen unterziehen sollten.
Die Deutsche Hospiz Stiftung erklärte, die Organspende- und transplantation gehöre allein in staatliche Hände. Andernfalls würden die Menschen dem System nicht vertrauen.
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