FDP-Parteitag in Berlin: Regieren kann Mist sein
Wie sich die FDP nach der Wahl verhalten soll, ist ein großes Thema für die Delegierten auf dem Parteitag. Manche sagen: Opposition wäre viel besser als Teil einer Regierung zu sein, aber keine eigenen Inhalte umsetzen zu können.
Als Nicola Beer am Samstagmittag einen für die liberale Identität so entscheidenden Satz ausrief, hatte es auch die Generalsekretärin der FDP geschafft, die Delegierten zu einem Beifallssturm zu animieren. Soziale Gerechtigkeit sei, die Menschen zu befähigen und nicht zu bevormunden. Man muss diesen Beifall hier erwähnen, weil das in dieser Lautstärke normalerweise nur Parteichef Christian Lindner schafft. Doch der doppelte Spitzenkandidat, für die NRW-Wahl und die Bundestagswahl, tauchte am Samstag gar nicht vor dem Mikrofon auf – und natürlich war auch das eine Botschaft, die die FDP sehr bewusst zu senden versuchte: Hier nimmt sich einer zurück, lässt anderen Raum, denn die FDP will keine One-Man-Show sein, wie so oft unter dem verstorbenen ehemaligen Parteichef Guido Westerwelle.
Es gibt allerdings noch ein viel tiefer sitzendes Urteil oder auch Vorurteil über die Liberalen, nämlich das, dass sie um jeden Preis und immer regieren wollen, wenn sie können. Auf diesem Bundesparteitag der FDP war das ein Dauerthema zwischen den Delegierten, denn der Rauswurf aus dem Bundestag von 2013, nachdem man 2009 in die so ersehnte Koalition mit der Union eingetreten war, ist nach wie vor ein Trauma. Es geht um die Selbstvergewisserung einer Partei, die an dieser Stelle versucht, ihre Linie zu finden. Redet man mit den Parteifunktionären bis hinein in die oberste Bundesspitze, so sind viele davon überzeugt, dass es der neu aufgestellten Partei besser ergehen würde, wenn sie zunächst vier Jahre in der Opposition wachsen könnte.
Koalition oder Opposition?
Andererseits wissen die Liberalen, dass man ihnen eine solche Grundhaltung auch als verantwortungslos auslegen könnte. Trotzdem sagt einer der langjährigen Parlamentarier und ehemalige Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag, Otto Fricke: „Die Krönung für einen Politiker, der gestalten will, ist nicht die Exekutive, sondern das Parlament.“ Auch der Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen und Lindner-Vertraute Johannes Vogel sagt: „Es gibt mit keinem Partner einen Automatismus, dass man in Koalitionsgesprächen zusammenkäme – auch nicht mit der Union. Wenn wir nicht hinreichend viele Projekte durchsetzen können, gehen wir lieber in die Opposition.“
Auch Parteichef Christian Lindner sagt ähnlich wie andere Präsidiumsmitglieder, dass man nur in eine Regierung eintrete, wenn man die Chance habe, eigene Inhalte auch umzusetzen. Das allerdings ist auch eine offene Formulierung, die man sich so oder so zurechtlegen kann. Es gibt einige in der FDP, die sich für ein Bündnis mit den Sozialdemokraten erwärmen können, die aber gleichzeitig fürchten, dass die SPD eher „weiter nach links will“. Eine andere Furcht hat die FDP wiederum vor der Union: Dass sie nämlich auch weiterhin eher auf dem Status Quo beharrt und nicht dazu zu bewegen sein wird, eine innovative, mutige Politik zu machen.
Bildung als Topthema
An der Parteispitze haben sie deshalb beschlossen, kurz vor der Bundestagswahl am 24. September die wichtigsten „Prüfsteine“ für mögliche Koalitionen zu nennen. Es dürfte klar sein, dass die Top-Themen der Liberalen im Wahlprogramm, nämlich Bildung und Digitalisierung, darunter sein werden. Mit Sicherheit auch die Forderung nach einer modernen, neuen Einwanderungspolitik.
Der Parteitag, der noch bis zum Sonntag andauert, hat dafür die Voraussetzungen geschaffen. Das Wahlprogramm ist im Großen und Ganzen abgesegnet worden, die Liberalen meinen es ernst, etwa mit dem Motto mehr bundesstaatliche Verantwortung für bessere Bildung. Ein Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern soll die Finanzierung sichern, gleichzeitig sollen die Schulen selbst mehr Freiheit haben, diese Mittel einzusetzen, so dass der Wettbewerb ermöglicht wird. Allerdings hat der Parteitag nicht befürwortet, was die Parteiführung wörtlich auch wollte, nämlich die „Abschaffung des Kooperationsverbots“.
Einwanderungspolitik: "Karrierismus im Wohlfahrtsstaat"
Die FDP will auch das Riesenthema Digitalisierung am liebsten direkt an die Bildung andocken. Nicht nur mit der Hardware, also der technischen Ausstattung, sondern inhaltlich: Die Kinder sollen von der ersten Klasse an auch an die digitale Welt herangeführt werden: Programmieren, Big Data, Gefahren oder Chancen der sozialen Medien, wirtschaftliche Zusammenhänge.
Auch die Einwanderungspolitik dürfte für die Liberalen entscheidend sein für eine mögliche Regierungsbeteiligung. Gerade Parteichef Christian Lindner ist das Thema wichtig. Die Hürden für qualifizierte Zuwanderung sollen gesenkt und Einwanderung besser gesteuert werden. Wer als Flüchtling kommt, soll dauerhaft nur dann bleiben, wenn er Standards für eine dauerhafte Einwanderung erfüllt, etwa bei Sprache oder Ausbildung. Kürzlich hatte Lindner es im Tagesspiegel so formuliert: „Wir haben einen humanen Sozialstaat, aber wenn wir uns nicht aussuchen, wer bei uns bleibt, würden wir einen Karrierismus im Wohlfahrtsstaat fördern, in dem sich Leute abkoppeln und blickdichte Parallelwelten alimentiert werden.“