Die Koalition und die Erbschaftsteuer: Reform in Geiselhaft
Die Koalition findet wieder keine Einigung bei der Reform der Erbschaftsteuer. CSU-Chef Horst Seehofer blockiert - so lange andere Streitthemen ungeklärt sind.
Dass die Grünen und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) einer Meinung sind, kommt nicht so häufig vor. Die Koalitionsrunde vom Mittwochabend aber kommentierten beide ganz ähnlich. Die abermalige Nicht- Einigung bei der Erbschaftsteuer für Unternehmensnachfolger führe zu „Rechtsunsicherheit“. Grünen-Fraktionsvize Kerstin Andreae sagte, die Koalition sei unfähig, einen Kompromiss zu finden. Für BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber ist die Vertagung einer Einigung „mehr als bedauerlich“.
Aber die Reform der Erbschaftsteuer ist in Geiselhaft genommen worden. CSU-Chef Horst Seehofer blockiert seit Monaten nicht nur, um Änderungen in der Sache durchzusetzen, sondern den Zeitdruck bei der Erbschaftsteuerreform in den Verhandlungen über andere Streitthemen zu nutzen: der Neuordnung des Finanzausgleichs und der Aufteilung der Flüchtlingskosten zwischen Bund und Ländern. Beide Themen werden am 16. Juni auf der Tagesordnung des Treffens der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten stehen. Und so lange Seehofer nicht sicher sein kann, dass dort Beschlüsse fallen, die ihm genehm sind, wird er bei der Erbschaftsteuer nicht zum Kompromiss bereit sein. Differenzen mit der Schwesterpartei scheut er nicht.
Es herrscht Zeitdruck
Der Zeitdruck entsteht, weil die Reform der Erbschaftsteuer auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Dezember 2014 zurückgeht – das dem Gesetzgeber auftrug, eine neue Regelung zur Besteuerung von Unternehmenserben bis zum 30. Juni 2016 zu schaffen. Zwar hat das Gericht unlängst durchblicken lassen, dass bei einem Verstreichen des Termins das alte Recht weitergilt, aber dennoch besteht Rechtsunsicherheit, weil natürlich die nächste Klage nicht lange auf sich warten lassen wird. Und was Karlsruhe in einem neuen Durchgang entscheidet, ist ungewiss – es könnte aber für die Erben härter ausfallen, denn die Richter verlangten jetzt schon eine klare Bestimmung, dass von einer bestimmten Unternehmensgröße an die Freistellung von der Steuer nur noch bei tatsächlicher Bedürftigkeit erfolgt. Reiche sollen also Steuer zahlen. Das ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf schon sehr zugunsten der Unternehmer ausgelegt worden. In der SPD hält man die Vorlage daher für grenzwertig in verfassungsrechtlicher Hinsicht. An diesem Freitag treffen sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit dem bayerischen Ministerpräsidenten zum Weiterverhandeln. Gabriel zeigte sich am Donnerstag aber skeptisch, dass man sich schnell einig werde.
Aber Kompromiss bei Energiewende
Immerhin gelang es der Runde, den Streit um die künftige Förderung erneuerbarer Energien zu beenden. In der langen Nachtsitzung der Kanzlerin mit den Länderchefs am Dienstag hatte Seehofer hier noch auf stur geschaltet – und die Runde verlassen, als er sah, dass er mit seiner Forderung zur Berücksichtigung der Biomasse nicht durchkam. Er wollte erreichen, dass bei der Ausschreibung neuer Ökostromanlagen diese Energieform mit 250 Megawatt berücksichtigt wird. Nun fand die Koalitionsrunde den Kompromiss, dass in den ersten drei Jahren ein Ausbau bis 150 Megawatt möglich ist, in drei weiteren Jahren dann bis 200 Megawatt. Das Verfahren freilich wirkt langsam befremdlich: Was in Bund-Länder-Runden nicht geht, wird in Koalitionsrunden geregelt – oder umgekehrt. Die Verfassungsinstanzen Bundestag und Bundesrat werden immer mehr durch diese informellen, im Grundgesetz nicht vorgesehenen Gremien ersetzt.
Schwesig muss warten
Dass die Koalitionsrunde sich beim Bundesteilhabegesetz einigte (was Arbeitsministerin Andrea Nahles als Erfolg verkaufen kann), kam wenig überraschend. Das Gesetz soll die Hilfen für Behinderte bundesweit einheitlich regeln. Das kann teurer werden als die bisherigen Leistungen (15 Milliarden Euro jährlich), welche die Kommunen im Rahmen der Sozialhilfe tragen. Die Kommunen sollen daher vom Bund mit fünf Milliarden Euro entlastet werden. Wenig überraschend war auch, dass eine Entscheidung zu dem von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) geplanten Gesetz zur Lohngerechtigkeit vertagt wurde. Ziel ist, dass Frauen eine Auskunft verlangen können, ob sie im Unternehmen so viel verdienen wie Männer in vergleichbaren Positionen. Der Union geht das zu weit – allenfalls in Betrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern soll es gelten.