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Opfer rechter Gewalt. Im Februar 2020 erschoss ein Rassist in Hanau neun Menschen aus Einwandererfamilien. Das war die schlimmste von mehr als 23 000 rechten Straftaten im vergangenen Jahr.
© Christine Schultze/dpa
Update Exklusiv

Kriminalität von Neonazis eskaliert: Rechte Straftaten erreichen offenbar neuen Höchststand

Rechtsextremisten haben 2020 aller Voraussicht nach so viele Angriffe verübt wie nie zuvor seit 2001. Die Polizei hat bereits mehr als 23.000 Delikte gemeldet.

Was seit Monaten zu befürchten war, hat sich jetzt bestätigt. Rechte Kriminalität hat im vergangenen Jahr die schon harten Zahlen von 2019 übertroffen und zumindest den zweithöchsten Stand seit 2001 erreicht.

Die Polizei stellte 2020 nach vorläufigen Erkenntnissen insgesamt 23.080 Straftaten von Neonazis und anderen Rechten fest. Das sind über 700 mehr, als das Bundesinnenministerium für 2019 in der endgültigen Bilanz gemeldet hatte.

Das Spektrum reicht von Hitlergruß über Bedrohung, Volksverhetzung und Sachbeschädigung bis zu Faustschlägen, Messerstichen und Terrorismus. Womöglich war 2020 sogar das schlimmste Jahr seit 2001. Damals hatte die Polizei das Erfassungssystem „Politisch Motivierte Kriminalität (PMK)“ eingeführt.

Da die Polizei regelmäßig viele Delikte nachmeldet und die endgültige Statistik noch nicht erstellt hat, ist der Höchststand für zwei Jahrzehnte zu erwarten. Bislang sind die 23.555 rechten Delikten von 2016, damals kochten die Proteste gegen den Zustrom von Flüchtlingen hoch, der traurige Rekord.

Die für 2020 gemeldeten 23.080 Delikte sind davon nicht weit entfernt. Erfahrungsgemäß berichtet die Polizei über den Februar hinaus noch über hunderte weitere Delikte aus dem Vorjahr. Ein Beispiel: im März 2020 hatte die Regierung von 20 856 rechten Straftaten im Jahr 2019 gesprochen. Im Mai meldete Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dann rund 500 Delikte mehr.

Petra Pau: "Coronakrise wirkt als Verstärker"

Die aktuellen Zahlen zu 2020 sind den Antworten der Bundesregierung auf monatliche Anfragen von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) und ihrer Fraktion zu entnehmen. Die Schriftsätze zur „PMK – rechts“ liegen dem Tagesspiegel vor.

Die noch fehlenden Angaben zum Dezember gingen jetzt bei Pau ein. „Diese schreckliche Entwicklung überrascht mich nicht“, sagte Pau am Donnerstag dem Tagesspiegel. Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nehme zu, „ebenso die Akzeptanz von Gewalt als Politikersatz“. Die Coronakrise wirke, wie 2015 und 2016 die sogenannte Flüchtlingskrise, „als Verstärker“. Für die aber schon länger anhaltende Verrohung sei auch die neoliberale Politik deutscher Regierungen mitverantwortlich.

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Bei den rechten Gewalttaten, die in der vorläufigen Bilanz für 2020 enthalten sind, meldet die Polizei ebenfalls eine hohe Zahl. Festgestellt wurden bundesweit 1054 Körperverletzungen und weitere gewaltsame Attacken rechter Täter. Das sind bereits 68 mehr als in der endgültigen Bilanz 2019. Nach den vorläufigen Erkenntnissen der Polizei wurden 2020 bei rechten Angriffen neun Menschen getötet und mindestens 307 Menschen verletzt.

Die neun Toten sind die Opfer des Anschlags in Hanau. In der hessischen Stadt hatte der Rassist Tobias Rathjen am 20. Februar 2020 gezielt auf Menschen aus Einwandererfamilien geschossen. Anschließend tötete Rathjen seine Mutter und sich selbst. Das Bundeskriminalamt bezeichnet allerdings nur die neun Toten aus den Einwandererfamilien als Opfer rechter Gewalt. Bei dem Mord an der Mutter wird kein politisches Motiv vermutet.

Haftbefehle gegen Mitglieder einer rechten Terrorgruppe

Die Polizei ermittelte 2020 knapp 6000 Tatverdächtige. Festnahmen gab es, folgt man den monatlichen Antworten der Bundesregierung, allerdings nur 61 sowie sechs Haftbefehle. Zumindest die letzte Zahl ist eindeutig zu klein.

Im Februar 2020 erwirkte die Bundesanwaltschaft Haftbefehle gegen zwölf Mitglieder einer rechtsterroristischen Vereinigung, die von den Behörden nach dem Anführer „Gruppe Werner S.“ genannt wird. Die Rechtsextremisten sollen geplant haben, mit Angriffen auf Politiker, Asylsuchende und Muslime bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen.

In der Summe aller Berichte der Bundesregierung zu rechts motivierter Kriminalität seit 2001 ergibt sich, dass die Polizei mehr als 360 000 Straftaten von Neonazis und anderen Rechten festgestellt hat. Knapp 21.000 Delikte waren Gewalttaten. Nach Recherchen des Tagesspiegels starben seit der Wiedervereinigung mindestens 187 Menschen bei rechten Attacken. Die Bundesregierung spricht von 109 Todesopfern rechter Gewalt.

Milde Strafen für Mitglieder der "Gruppe Freital"

Unterdessen verurteilte das Oberlandesgericht Dresden am Donnerstag in einem zweiten Prozess weitere Mitglieder und eine Unterstützerin der rechtsextremen Terrorvereinigung "Gruppe Freital" zu milden Strafen. Von den vier Angeklagten muss nur einer in Haft, er bekam zweieinhalb Jahre. Die weiteren drei Angeklagten erhielten Bewährungsstrafen. Die Gruppe hatte 2015 mit Sprengsätzen in der sächsischen Stadt Freital Unterkünfte von Asylbewerbern und ein Büro der Linkspartei attackiert. Außerdem wurde ein linkes Wohnprojekt in Dresden angegriffen. Im ersten Verfahren hatte das Oberlandesgericht 2018 den Rädelsführer und weitere sieben Rechtsextremisten zu Strafen zwischen vier und zehn Jahren Haft verurteilt.

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