Türkei: Recep Tayyip Erdogan wehrt sich gegen Anklage
Der türkische Präsident wittert hinter den Korruptionsvorwürfen, die gegen seine Ex-Minister erhoben wurden, ein Komplott gegen die Regierung. Nun entscheidet ein Untersuchungsausschuss des Parlaments, ob gegen die vier Anklage erhoben werden soll.
Gut ein Jahr nach Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe gegen einige Minister der türkischen Regierung rückt das Thema erneut in den Mittelpunkt des Interesses. An diesem Montag entscheidet ein Untersuchungsausschuss des Parlaments in Ankara darüber, ob die vier wegen der Vorwürfe zurückgetretenen Minister vor Gericht gestellt werden sollen. In der Regierungspartei AKP regt sich Widerstand gegen den Wunsch von Präsident Recep Tayyip Erdogan, die Politiker von allen Vorwürfen freizusprechen.
Der Unbeugsame
Hakki Köylü ist in seiner bisherigen politischen Karriere in der AKP nicht als Revoluzzer aufgefallen. Der frühere Anwalt und Staatsanwalt sitzt seit dem Regierungsantritt der Erdogan-Partei vor zwölf Jahren als Hinterbänkler im Parlament, doch jetzt fällt dem 64-jährigen eine Schlüsselrolle in einer hochbrisanten Angelegenheit zu. Köylü ist Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, der sich in den vergangenen Monaten die Korruptionsvorwürfe gegen die Ex-Minister angesehen hat und der jetzt über einen Prozess entscheiden muss. Erdogan kann nicht sicher sein, dass der Parteisoldat Köylü tut, was er von ihm erwartet: Köylü nimmt seine Aufgabe als Ermittler ernst und besteht auf dem Recht des Ausschusses, die vier Ex-Minister und ihre Vermögensverhältnisse genau unter die Lupe zu nehmen.
Erhebliche Vermögenszuwächse
Ex-Wirtschaftsminister Zafer Caglayan, der frühere EU-Minister Egemen Bagis, der ehemalige Innenminister Muammer Güler und Ex-Bauminister Erdogan Bayraktar waren Ende 2013 von Istanbuler Staatsanwälten im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen genannt worden. Caglayan ließ sich demnach unter anderem von einem Geschäftsmann eine Schweizer Edel-Armbanduhr im Wert von mehreren hunderttausend Euro schenken.
Erdogan ließ die damaligen Staatsanwälte und viele an dem Fall beteiligte Polizisten feuern, anschließend stellte die auf Linie gebrachte Justiz die Ermittlungen ein. Im Parlament von Ankara aber gingen die Nachforschungen weiter. Die AKP hat im Untersuchungsausschuss mit neun von 15 Mitgliedern zwar die Mehrheit, doch auch in der Regierungspartei macht sich Unmut angesichts des Verhaltens der beschuldigten Ex-Minister breit. Gutachter sprachen im Ausschuss von erheblichen Vermögenszuwächsen bei drei der vier Politiker, doch die Betroffenen wollten oder konnten nicht so recht erklären, woher sie das viele Geld haben.
Details der Beratungen drangen trotz einer verhängten Nachrichtensperre an die Öffentlichkeit, was den Druck auf die AKP erhöhte: Einige Abgeordnete fragen sich, was sie ihren Wählern erzählen sollen, wenn die Ex-Minister ungeschoren davonkommen. Spätestens im Juni stehen in der Türkei Parlamentswahlen an. Laut Medienberichten ist in der AKP im Gespräch, mindestens einen Ex-Minister vor Gericht zu stellen, um nicht den Eindruck einer Partei zu vermitteln, die korrupte Politiker schützt.
Erdogan macht Druck
Erdogan dringt laut Presseberichten aber darauf, alle früheren Minister freizusprechen. Schließlich würde eine Anklage durch das Parlament seine These, wonach die Korruptionsvorwürfe haltlos und Teil eines finsteren Komplotts gegen die Regierung sind, in sich zusammenbrechen lassen. Wegen der Meinungsverschiedenheiten zwischen der AKP-Führung und den Abgeordneten wurde die Abstimmung im Ausschuss von Ende Dezember auf diesen Montag verschoben.
Jetzt steht die Stunde der Wahrheit an. Der Ausschussvorsitzende Köylü wies laut Medienberichten die Unschuldsbeteuerungen von zwei Ex-Ministern als unglaubwürdig zurück und deutete an, dass Vermögenswerte der Betroffenen konfisziert werden könnten. Der Ausschuss fasst am Montag eine Entschlussempfehlung an das Parlamentsplenum. Dort fällen die Abgeordneten in den kommenden Wochen die endgültige Entscheidung über ein Verfahren gegen die vier Ex-Minister vor dem Verfassungsgericht. Oppositionszeitungen berichten, Erdogan mache persönlich Druck auf die Ausschussmitglieder, um einen Freispruch der Politiker zu erreichen. Doch zumindest einige Abgeordnete können es sich leisten, nur nach ihrem Gewissen zu entscheiden. So scheidet Auschuss-Chef Köylü nach drei Legislaturperioden im Sommer aus dem Parlament aus – er muss Erdogan keinen Gefallen mehr tun.