Bericht der Antidiskriminierungsstelle: Rassismus bleibt das Hauptproblem
Vor allem wegen ihrer Herkunft werden Menschen herabgesetzt und benachteiligt. Die Antidiskriminierungsstelle zählt fast 1200 Meldungen über Rassismus.
Ein Drittel der Beschwerden und Anfragen, die im vergangenen Jahr bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingingen, betrafen Rassismus – das war erneut der größte Einzelposten in der Statistik der unabhängigen Stelle und zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Die ADS gibt es seit 2006 , sie soll durch Beratung Menschen helfen soll, die wegen ihrer ethnischen Wurzeln, Religion, Weltanschauung, ihrer sexuellen Identität oder wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden. Eine weitere Aufgabe sind die Produktion von Wissen zum Thema und die Aufklärung der Öffentlichkeit über Diskriminierung.
Der Anteil dessen, was im Gesetz Benachteiligung "aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft“ heißt, stieg zwischen 2018 und 2019 weiter, von 31 auf 33 Prozent aller Anfragen, heißt es im Jahresbericht der ADS, den die Behörde am Dienstag veröffentlichte.
Demnach haben sich die Meldungen über rassistische Herabsetzung, die dort eingingen, in fünf Jahren von 2015 bis 2019 verdoppelt, von 545 Anfragen 2015 auf 1.176 im vergangenen Jahr. In einer Umfrage fand die ADS 2019 heraus, dass zum Beispiel jede und jede Dritte mit einem Migrationshintergrund solche Erfahrungen machen musste; zugleich äußern 41 Prozent der deutschen Bevölkerung Bedenken, eine Wohnung an Einwanderer zu vermieten.
Morde "fügen sich in gesellschaftliches Klima ein"
Da in Deutschland Fälle rassistischer Diskriminierung nicht systematisch erfasst werden, kann die Zahl lediglich eine Richtung angeben und deutlich machen, dass er auch hierzulande ein größeres Problem ist. Sie werfe „nur ein Schlaglicht“ darauf, heißt es im Bericht, da etliche Betroffene sich an kommunale oder zivilgesellschaftliche Stellen wendeten oder aus Angst oder Resignation ihre Erfahrungen überhaupt nicht meldeten. Bernhard Franke, seit 2018 kommissarischer Leiter der ADS, sprach vom "Grundrauschen der Ausgrenzung", das die Stelle erfasse. "Was wir aufnehmen, sind Versuche, Menschen auszusortieren."
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, auf dessen Grundlage die ADS arbeitet, bietet allerdings keinen Schutz vor Diskriminierung durch staatliches Handeln – Beschwerden wegen gegen Behörden oder wegen Polizeiübergriffen, die derzeit gerade stark diskutiert werden, fallen daher nicht in die Zuständigkeit der ADS.
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Die ADS verweist im Bericht auf die besonders brutalen Anschläge in nicht einmal einem Jahr, vom Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke über die Attacke auf die Hallenser Synagoge bis zum Mord an Menschen aus migrierten Familien in Hanau im Februar. Sie seien nicht isoliert zu sehen, mahnt die ADS. Hier zeige sich Rassismus zwar in seiner aggressivsten Form, aber: „Sie fügen sich in ein gesellschaftliches Klima, in dem Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in allen Lebensbereichen sichtbarer werden.“
Nach Rassismus war auch im vergangenen Jahr Benachteiligung wegen des Geschlechts mit 29 Prozent der zweithäufigste Grund, sich bei der ADS zu melden. Es folgen Behinderung (26) Alter (12) Religion (7), sexuelle Identität (4) und Weltanschauung (2).
[Mehr zu den Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität lesen Sie hier.]
Tatort, auch dies in Fortsetzung der letzten Jahre, war mit einem Anteil von mehr als einem Drittel (36 Prozent) überwiegend der Arbeitsmarkt, entweder während einer Bewerbung oder im Job. Erst darauf folgen in der ADS-Statistik sogenannte Alltagsgeschäfte, also Diskriminierung in Restaurants, Banken oder im Urlaub.
Künstliche Intelligenz - die neue Gefahr für die Gleichheit
Zum Thema sexuelle Belästigung verwies die ADS auf eine Studie, die sie in Auftrag gegeben und bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht hat: Demnach erleben dies 13 Prozent der Frauen und 9 Prozent der Männer am Arbeitsplatz. Täter – und Täterinnen – sind in mehr als der Hälfte der Fälle (53 Prozent) die, die ihre professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, als Kunden, Klienten, Patienten.
Ein ebenfalls hoher Anteil (43 Prozent) geht auf Kollegen auf der gleichen oder ähnlichen Hierarchiestufe zurück. Fast ein Fünftel der Attacken geht von Vorgesetzten aus, von rangniedrigeren Kolleginnen und Kollegen lediglich ein Zehntel. In 82 Prozent der gezählten Fälle waren Männer die Täter.
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Die ADS warnt in ihrem Bericht auch vor wachsender Diskriminierung durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Weil Algorithmen beim Auswerten großer Datenmengen automatisch Gruppen – meist Risikogruppen – erzeugten, stünden sie dem Ziel, vor Diskriminierung zu schützen, geradezu feindlich gegenüber: Kerngedanke des Antidiskriminierungsrechts sei es gerade, Individuen gegen solche Muster zu verteidigen, wenn die darauf hinausliefen, einzelnen Personen angebliche oder tatsächliche Gruppeneigenschaften zuzuschreiben, die sie diskriminieren.
Die vielen Lücken im Gesetz
Wieder wies die Antidiskriminierungsstelle eindringlich auf die vielen Lücken im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz hin, auf dessen Grundlage sie arbeitet. Sie darf sich nicht nur nicht um staatliches Handeln kümmern, sondern auch nicht um Hassrede im Netz. Und da sie keine Musterklagen führen darf, kann sie Menschen nicht helfen, denen die Mittel, Zeit oder der Mut zu Gerichtsverfahren fehlen.
Außerdem fehlen Schutzgründe wie der sozioökonomische Status, also herabsetzendes Verhalten etwa gegen Arme. Die ADS spricht sich für eigene Antidiskriminierungsgesetze der Länder aus, auch um mehr Daten zur Lage zu erhalten.
Sie selbst unterstützt gerade den laufenden Afrozensus, der die Erfahrungen und die Lage der etwa eine Million schwarzen Menschen in Deutschland erfassen soll. Berlin hat letzte Woche das bundesweit erste Ländergesetz verabschiedet. Es schafft das von der ADS vermisste Verbandsklagerecht, nimmt staatliches Handeln – also von Polizei, Behörden, Schulen - in den Blick und erleichtert es Menschen, die Diskriminierung erfahren, dafür den Beweis anzutreten.
Polizeigewerkschaften und die Opposition kritisierten das Berliner Landesgesetz vor allem deswegen scharf und sprechen von „Umkehr der Beweislast“.
Kritik am Bundesgesetz gab es dagegen von SPD und Grünen. Aziz Bozkurt, Vorsitzender der SPD-AG Migration und Vielfalt, erklärte zum Jahresbericht der ADS: "Beim Thema Diskriminierung und Rassismus wandert der Blick aktuell gerne schnell ins Ausland. Dabei sind die Herausforderungen in unserem Land enorm." Das AGG habe noch zu viele Schutzlücken; der kürzlich gebildete Kabinettsausschuss gegen Rassismus und Rechtsextremismus müsse dessen Reform dringend auf die Tagesordnung setzen. Für die Grünen sagte auch deren Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, das Gesetz sei "leider nicht mehr als ein zahnloser Tiger". Es reiche bei weitem nicht aus, um Diskriminierung effektiv zu bekämpfen.
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