Habitat-Konferenz zur Zukunft der Städte: Quantensprung in ein gutes Leben
In Nabón bestimmen die Einwohner über alle Ausgaben der Gemeinde mit. Solche Bürgerhaushalte sind Teil der indigenen Philosophie und machen die Bewohner zufrieden.
Die Sonne geht hinter den Anden auf. Bauern schultern ihre Macheten, Esel laufen durch die Gassen. Vor dem Rathaus von Nabón sitzen ein paar indigene Frauen in Tracht und chatten auf ihren Smartphones im kommunalen WLAN. Im modernen Sportkomplex der Gemeinde ziehen Mädchen ihre Bahnen im Hallenbad; kickende Bauernjungs vertreiben sich auf dem Kunstrasenplatz die Zeit bis zum Schulbeginn.
Tradition und Moderne in Einklang zu bringen ist die Herausforderung, der sich die Gemeinde im Süden Ecuadors gestellt hat. In der Hauptstadt Quito wird im Oktober die Habitat-Konferenz zur Zukunft der Städte stattfinden.
Die Idee für die neue Art von Kommunalpolitik hatten vor 15 Jahren zwei Frauen, die nacheinander Bürgermeisterinnen wurden. Sie hatten wenig Geld – Nabón war 2001 laut Volkszählung eine der rückständigsten Gegenden mit 93 Prozent Armut, einem durchschnittlichen Schulbesuch von drei Jahren und 67 Prozent unterernährten Kindern. Aber die Bürgermeisterinnen hatten Ideen, die indigene Philosophie vom „Guten Leben“ in Harmonie mit Natur und Mitmenschen inspirierte sie.
„Dezentralisierung, Partizipation und Stärkung der heimischen Produktion“, resümiert die aktuelle Bürgermeisterin Magaly Quezada die Elemente. Die Strategie bekam den Slogan „Nabón limpio“ – „Sauberes Nabón“ . Sie schwor den Ort auf die Produktion organischer Lebensmittel und den Tourismus ein. Das lag nahe, denn Nabón ist eine typische ländliche Gemeinde mit 18.000 Einwohnern, die sich auf 668 Quadratkilometern verteilen.
Als erstes mussten ordentliche Straßen her, was sich glücklicherweise in das Infrastrukturprogramm der Zentralregierung einfügte, die dafür die Mittel zur Verfügung stellte. Ein neuer Busbahnhof am Ortseingang entlastete das Zentrum. Die Umstellung der Anbaumethoden forderte einen Mentalitätswandel, der von den Bauersfrauen angeführt wurde, die dabei zugleich dem traditionellen Machismo ein Schnippchen schlugen. Heute gibt es zahlreiche Kooperativen – viele davon in Frauenhand – die Gemüse, Milch oder organische Erdbeeren vertreiben und bis in die nächste Stadt Cuenca liefern.
Die Beziehungen zwischen Staat und Kommune sind ein Konfliktherd
„Es gab viele Widerstände“, erinnert sich Quezada. Als die Bauern ihre Milch zu Frischkäse verarbeiteten, verlangte das Gesundheitsministerium ein Hygiene-Gütesiegel, was zu einem bürokratischen Hürdenlauf führte. Für seinen selbst gebrannten Agavenschnaps fand Bauer Remigio Capelo monatelang keine Flasche, die nicht schon von den großen Alkoholherstellern patentiert war. Ein zentralistischer Staat und oligopolistische Wirtschaftsstrukturen – ein Erbe der spanischen Kolonialzeit – sind oft das größte Hindernis für lokale Entwicklung in Lateinamerika.
Die Beziehungen Staat-Kommune sind ein Konfliktherd geblieben. Zumal wenn, wie im Falle Nabóns, nicht die gleiche Partei regiert. Drei Viertel ihrer Einnahmen erhalten die Kommunen aus der Hauptstadt, deshalb will Präsident Rafael Correa immer ein Wörtchen mitreden. In Nabón will er partout eine moderne „Milleniumsschule“ nach us-amerikanischem Vorbild durchsetzen. Doch die Bürger wollen lieber an ihren interkulturellen Dorfschulen festhalten, die auf Quechua und Spanisch unterrichten. Was nicht als Fortschrittsfeindlichkeit zu verstehen sei, so Quezada, sondern als der Versuch, den Fortschritt zu kontrollieren und zu dosieren.
Problematisch ist die starke Abhängigkeit von Quito auch aus wirtschaftlichen Gründen. Denn wenn wie derzeit die Rohstoffpreise einknicken und der Zentralstaat deutlich weniger Einnahmen hat, wird das überproportional an die Kommunen weitergegeben. Vor allem wenn es sich um ländliche Gemeinden wie Nabón handelt. Sie werden in Lateinamerika oft vernachlässigt, denn über 80 Prozent der Bevölkerung lebt in Städten.
Das Land hingegen ist zum Spekulationsgut für Großprojekte – Staudämme, Minen, Windparks, Sojamonokulturen – geworden. Menschen stehen den Investoren im Weg. Die Probleme der unkontrollierten Landflucht hat hingegen die Politik auszulöffeln. Megastädte wie Mexiko oder Buenos Aires sind zu Molochen geworden. Sie konzentrieren Haushaltsmittel, die größer sind als die mancher Kleinstaaten und sind traditionell Sprungbretter für die Präsidentschaft.
Patentrezepte von oben funktionieren nicht
Das führt oft zu einer wenig nachhaltigen Stadtgestaltung, denn das Füllen von Wahlkampfkassen, prestigeträchtige Großprojekte und Klientelismus (Bus- und Taxilizenzen für die Transportmafia, obwohl U-Bahnen effizienter und umweltschonender wären) stehen im Vordergrund.Die Bewohner, die unter Smog, Wasserknappheit und Verkehrschaos leiden, baden die kurzsichtige Planung aus.
In Nabón hingegen reden die Bürger mit. Den Quantensprung brachten die Bürgerhaushalte. „Sie sind revolutionär, weil sie die klientelistische Logik unserer Politik auf den Kopf stellen“, sagt Quezada. Die Bürger müssen nicht nur entscheiden, wo sie das Geld investieren, sondern auch selbst mit anpacken, etwa bei der Unterhaltung von gemeindeeigenen Bauten. „Geschenke und Paternalismus sind kontraproduktiv. Wir müssen Eigenverantwortung stärken“, betont Quezada. Das hat für die Politiker aber einen Preis. „Jeder Cent, den ich ausgebe, wird hinterfragt.“
Der Prozess bringt eine ständige Debatte mit sich, wohin die Entwicklung gehen soll. Patentrezepte von oben funktionieren nicht, ist Quezada überzeugt. Den Bürgern von Nabón ist es zum Beispiel wichtig, dass Lebensqualität auch für diejenigen garantiert wird, die wirtschaftlich nicht produktiv sind: Jugendliche und ältere Menschen. Deshalb gibt es ein Altenheim, eine Kinderkrippe und den Sportkomplex.
Auch wenn die Einkommen weiterhin unter dem Landesdurchschnitt liegen, haben inzwischen 98 Prozent der Bewohner Strom, 97 Prozent fließend Wasser und 60 Prozent einen Abwasseranschluss. Nabón ist frei von Analphabetismus, und die Müttersterblichkeit wurde dank der Wiederbelebung der traditionellen Hebammen fast auf Null reduziert.
Doch das Wesentliche liegt Quezada zufolge woanders: „Wir sind selbstbewusst geworden und nehmen unser Schicksal in die Hand.“ Bei Umfragen geben fast 90 Prozent der Bürger an, dass sie gerne in Nabón leben und positiv in die Zukunft blicken. „Es gibt Dinge, die schwer messbar aber von unschätzbarem Wert sind“, sagt der indigene Sozialdezernent Gustavo Morocho. „Wir schlafen mit offenen Türen, haben sauberes Wasser, saubere Luft und gesunde Lebensmittel.“
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