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Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow
© imago images/ITAR-TASS/Yelena Afonina/TASS PUBLICATION
Update

Propaganda über brutale Killer-Kommandos: Putins Tschetschenen-„Bluthund“ meldet erstmals eigene Tote

Die russische Führung will die Moral der ukrainischen Bevölkerung brechen und schickt öffentlichkeitswirksame Angst-Gegner. Doch auch die haben eigene Verluste.

Die russische Inszenierung sieht so aus: Der blutige Ruf von Wladimir Putins „Fußsoldaten“ eilt ihm schon voraus – jetzt steigt also auch noch der brutale Machthaber Tschetscheniens in den Krieg ein, Ramsan Kadyrow. Seine islamistischen Kämpfer beten im Wald noch einmal vor der Schlacht. Dann rücken die Spezialkräften in Richtung Kiew aus, in den Händen der Attentäter-Kommandos eine Art Kartenspiel mit den Namen und Fotos ihrer menschlichen Ziele.

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In einem Video sind angeblich etwa 12.000 tschetschenische Kämpfer zu sehen, die sich in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny versammelt haben sollen, um in den Krieg zu ziehen. Es wurde unter anderem vom staatlich unterstützten russischen Nachrichtensender RT veröffentlicht.

Die Propaganda-Erzählung von den in die Schlacht ziehenden Tschetschenen ist offenbar zumindest teilweise ein weiterer Schritt der psychologischen Kriegsführung von Russlands Präsident Putin. Es soll vor allem Angst in der ukrainischen Bevölkerung verbreitet werden.

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„Hier geht es darum, die Menschen glauben zu machen, dass das, was in Tschetschenien passiert ist, auch in der Ukraine passieren wird – dass sie in der Stadt randalieren, plündern, vergewaltigen und töten werden“, sagt Kaukasus-Experte Jean-François Ratelle von der Universität von Ottawa lehrt dem US-Magazin „Foreign Policy“.

Die Tschetschenen seien dafür berüchtigt, dass sie „bei der Aufstandsbekämpfung äußerst brutal vorgehen und sich nicht an das Völkerrecht halten“, erklärt Ratelle, der einige Zeit im Kaukasus mit islamistischen Aufständischen verbracht hat. „Sogar noch mehr als russische Söldner.“

Soldaten versammeln sich in Grosny
Soldaten versammeln sich in Grosny
© Musa Sadulayev/AP/dpa

Aber: Nun muss auch der „Bluthund“ Kadyrow erstmals offiziell eigene Opfer einräumen. Das berichtet „Spiegel Online“ unter Verweis auf Kadyrows Social-Media-Accounts auf Telegram und VK-Kontakte. „Übrigens, zum Thema Opfer“, schreibt Kadirow demnach am Ende einer längeren Nachricht mit Beleidigungen gegen die ukrainische Regierung. Es seien zwei tschetschenische Soldaten getötet und sechs weitere verletzt worden. „Ja, im Krieg wird getötet, und das war nun mal ihre Berufswahl.“ Nun hätten sie ihr Leben für die Sicherheit Russlands und der Ukraine gegeben.

Doch das Bild von blutrünstigen tschetschenischen Kämpfern ist auch ein – zudem von Russland gerne gepflegtes – Klischee. Es ist geprägt durch den brutalen Krieg zwischen moskautreuen Kräften und tschetschenischen Separatisten, der von Mitte der 1990er Jahre bis 2009 immer wieder aufflammte.

Seitdem hat Moskau riesige Geldsummen in die muslimische Region im Süden Russlands gepumpt, um sie wieder aufzubauen. Kadyrow wiederum ist ein treuer Gefolgsmann Putins geworden. Im Gegenzug hat er ein hohes Maß an Autonomie in Tschetschenien eingeräumt bekommen. Doch nach Einschätzung des Kaukasus-Expetren Ratelle stehen nicht alle Tschetschenen hinter der russischen Linie. Er geht von einer tiefen innenpolitischen Spaltung über die russische Herrschaft in Tschetschenien aus.

Gleichwohl ist Kadyrow weit über die Grenzen Tschetscheniens hinaus berüchtigt: Erst kürzlich hat er ein äußerst brutales Vorgehen gegen LGBTQ-Menschen eingeleitet, das weit über die Maßnahmen hinausgeht, die in Putins sozialkonservativem Russland ergriffen werden.

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Zudem hat Putins wiederholter Einsatz tschetschenischer Spezialeinheiten in seinen Kriegen deren furchteinflößendes Image gestärkt. Dabei konnte er sich stets auf Kadyrow verlassen, der seine Streitkräfte etwa zur Unterstützung von Militäroperationen des Kremls nach Syrien und Georgien schickte. Auch jetzt gehört er zu den lautstärksten Befürwortern nicht nur des Einmarschs in Kiew, sondern der Annexion der gesamten Ukraine.

Laut russischen Angaben sollen derzeit 10.000 bis 70.000 tschetschenische Kämpfer die Hauptstreitkräfte Moskaus unterstützen. Unabhängig sind diese Angaben kaum zu überprüfen. Kaukasus-Experte Ratelle meint jedoch: „Ich sehe keinen Beweis dafür, dass sie bereit sind, Kiew zu stürmen oder in Kiew eingesetzt zu werden.“

Soldaten versammeln sich in Grosny
Soldaten versammeln sich in Grosny
© Musa Sadulayev/AP/dpa

Der Journalist Neil Hauer berichtet von vor Ort, dass Tschetschenen möglicherweise auf dem Flughafen Antonov westlich von Kiew gelandet seien. Auf Bildern soll zu sehen sein, wie Spezialeinheiten in der nahe gelegenen Stadt Hostomel die tschetschenische Flagge hissen. Doch ein kleines Kontingent tschetschenischer Kämpfer am Stadtrand von Kiew ist nicht ganz das, was die kremlnahe Propaganda versprochen hat.

Zudem haben ukrainische Truppen nach eigener Darstellung bei heftigen Kämpfen in der Umgebung von Hostomel eine aus Russland kommende tschetschenische Sondereinheit zerschlagen. Hostomel liegt am nordwestlichen Rand der Region Kiew und war zu Beginn des Kriegs Ziel starker russischer Angriffe. Neben dem internationalen Flughafen befindet sich dort auch ein großer Eisenbahnknotenpunkt.

Bei den Gefechten rund um Hostomel soll laut ukrainischen Angaben auch der Tschetschen-General Magomed Tuschajew getötet worden sein, wie ein Gefangener später verraten habe. Wie die Zeitung „Ukrainska Pravda“ am frühen Sonntagmorgen weiter berichtet, erbeuteten die ukrainischen Soldaten bei diesen Kämpfen größere Mengen an Waffen.

Auch diese Angaben lassen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen. Auf seinem eigenen Telegramm-Kanal bestreitet Kadyrow, dass Tuschajew getötet worden sei. Er hat ein Video hochgeladen, das angeblich Tuschajew mit einem anderen tschetschenischen Kommandeur, der sich in der Ukraine aufhält, zeigt. Kadyrow behauptet: „Sie sind lebendiger als die Lebenden.“

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