Auch Regisseur Senzow frei: Putin und Selenskyj zufrieden mit Gefangenenaustausch
Seit Ende Juli hatte der ukrainische Präsident Selenski mit Moskau verhandelt. Nun bewegen sich die Konfliktparteien tatsächlich aufeinander zu.
Nach dem beispiellosen Gefangenenaustausch zwischen Kiew und Moskau haben sich der russische Präsident Wladimir Putin und sein Kollege Wolodymyr Selenskyj zufrieden geäußert. Beide Seiten hätten den humanitären Aspekt der Aktion hervorgehoben, teilte der Kreml am Samstagabend mit. Der Austausch habe eine große Bedeutung für eine Normalisierung und Gesundung der bilateralen Beziehungen, hieß es in einer Mitteilung des russischen Präsidialamtes. Selenskyj hatte demnach Putin am Abend angerufen. Er äußerte sich in Kiew ähnlich über das Telefonat.
Beide Seiten hätten in dem Gespräch auch betont, wie wichtig die Einhaltung der Waffenruhe im Kriegsgebiet Ostukraine sei. Die Feuerpause ist brüchig. Immer wieder kommt es zu Scharmützeln mit Todesfällen auf beiden Seiten. Die beiden Staatschefs bekräftigten demnach auch das Ziel, die bewaffneten Kräfte von der Demarkationslinie abzuziehen.
Selenskyj und Putin sprachen nach Angaben beider Präsidialverwaltungen auch über die Fortsetzung des Minsker Friedensprozesses und des so bezeichneten Normandie-Formats. Beide beziehen sich auf den 2015 in Minsk vereinbarten Friedensplan für die Ostukraine. Der Plan soll wieder belebt werden.
Dafür soll ein Normandie-Gipfel angesetzt werden. Der Name stammt von dem ersten Treffen dieser Art in Frankreich. Deutschland, Frankreich und die Ukraine setzen sich für einen neuen Gipfel ein. Ein Termin steht aber weiterhin nicht fest. Selenskyj und Putin vereinbarten, dass für einen Gipfel konkrete Ergebnisse absehbar sein müssten. Sie einigten sich darauf, ihre Kontakte fortzusetzen.
Am Samstag hatten beide Seiten den größten Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und Russland seit Jahren vollzogen. In Kiew trafen auch die 24 ukrainischen Seeleute ein, die seit November in russischer Haft gesessen hatten. An Bord der Maschine war außerdem der ukrainische Regisseur Oleg Senzow. Der Austausch lief nach der Formel 35 gegen 35 ab.
Selenski nahm die Freigelassenen in Empfang
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski nahm die Freigelassenen in Empfang - mit Handschlag und Umarmung. Der Gefangenenaustausch sei ein "erster Schritt" zur Beendigung des Konflikts mit Russland, sagte Selenski. Er erklärte, er habe den Gefangenenaustausch mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin verabredet. Er hoffe nun auf ein Treffen im sogenannten „Normandie-Format“, bei dem Vertreter Russlands und der Ukraine unter der Vermittlung von Frankreich und Deutschland Wege zum Frieden ausloten. Beobachter rechnen allerdings damit, dass Friedensbemühungen lang und kompliziert werden. Bislang hat die Regierung alle Wünsche nach Rückgabe der Krim abgewiesen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte den Gefangenenaustausch. Dieser sei ein hoffnungsvolles Zeichen, sagte Merkel am Samstag einem Tweet von Regierungssprecher Steffen Seibert zufolge. „Ich freue mich für die ukrainischen Seeleute und Oleg Senzow, die nun endlich wieder nach Hause können.“ Es lohne sich, weiter mit aller Kraft an der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu arbeiten. „Die Bundesregierung ist dazu bereit“, ließ Merkel mitteilen.
Auch US-Präsident Donald Trump begrüßte den Gefangenenaustausch. „Sehr gute Nachrichten, vielleicht ein erster großer Schritt zum Frieden“, schrieb Trump am Samstag auf Twitter. „Glückwunsch an beide Länder!“
Auf dem Airport Wnukowo-2 in Moskau hob ein Flugzeug unter anderem mit den seit November inhaftierten 24 ukrainischen Seeleuten an Bord ab. Deutschland und die EU hatten immer wieder ihre Freilassung gefordert. In Moskau und Kiew warteten Angehörige und offizielle Vertreter der Staaten auf die Freigelassenen.
In Kiew hatte Selenski immer wieder versprochen, alles für die Freilassung der ukrainischen Seeleute zu tun. Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg hatte bereits im Mai ihre Freilassung gefordert. Zuvor hatte Selenski am Freitagabend mehrere Inhaftierte begnadigt und damit den Austausch mit Russland vorbereitet.
Präsident Putin hatte den Austausch als eine konkrete humanitäre Aktion angekündigt. „Das wäre ein guter Schritt vorwärts in Richtung einer Normalisierung“, sagte Putin am Donnerstag auf dem fernöstlichen Wirtschaftsforum. Über einen Gefangenenaustausch war zuletzt immer wieder spekuliert worden.
Die nun freigelassenen Seeleute waren Ende November mit ihrem Schiff auf dem Weg vom Schwarzen ins Asowsche Meer vor der Halbinsel Krim vom russischen Grenzschutz gewaltsam gestoppt worden. Moskau wollte die Matrosen wegen Grenzverletzung bestrafen. Ihnen drohten jeweils lange Haftstrafen.
Bei Kämpfen wurden UN-Schätzungen zufolge 13.000 Menschen getötet
Der Austausch gilt als ein wichtiger Erfolg für Staatschef Selenski in Kiew. Er hatte im Mai in seiner ersten Rede im Amt gesagt, dass die Rückkehr der Ukrainer für ihn Priorität habe. Er und Putin telefonierten in den vergangenen Wochen mindestens zweimal. Danach gab es die Hoffnung, dass alle Gefangenen auf beiden Seiten schnell freikommen. Wie viele insgesamt in Haft sind, ist nicht bekannt. Kiew übergab im Juli eigenen Angaben zufolge Moskau eine Liste mit den Namen von 150 Ukrainern, die in russischen Gefängnissen säßen.
Hintergrund ist der Konflikt zwischen beiden Ex-Sowjetrepubliken. Russland hatte vor gut fünf Jahren die ukrainische Halbinsel Krim annektiert. Seit 2014 stehen zudem Teile der ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk an der Grenze zu Russland unter Kontrolle von Aufständischen, die von Moskau unterstützt werden. Bei Kämpfen dort wurden nach UN-Schätzungen rund 13.000 Menschen getötet.
„Ich danke allen Menschen, die für uns gekämpft haben“
Der prominenteste Freigelassene ist der ukrainische Filmemacher Senzow. „Ich danke allen Menschen, die für uns gekämpft haben“, sagte der 43-Jährige nach seiner Landung in Kiew. Der Künstler wurde 2015 trotz internationaler Proteste wegen Terrorismusvorwürfen zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilt. Erst im Juli hatte Selenski einen Austausch des Regisseurs gegen den mittlerweile von der Ukraine unter Auflagen freigelassenen Journalisten Kirill Wyschinski angekündigt. Wyschinski, der für die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti in der Ukraine arbeitete, war am Samstag ebenfalls in der Maschine von Kiew nach Moskau.
In Verbindung mit dem geplanten Gefangenenaustausch könnte auch die überraschende Freilassung eines ehemaligen Kämpfers aus dem Separatistengebiet Donbass stehen. Ein Gericht in Kiew ließ den 58-Jährigen am Donnerstag frei. Der Ex-Kommandeur einer Luftabwehreinheit der prorussischen Rebellen soll ein Schlüsselzeuge sein für den Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 im Juli 2014 im Gebiet Donbass. Damals kamen alle 298 Insassen ums Leben.
Ein internationales Ermittlerteam unter Führung der niederländischen Staatsanwaltschaft verdächtigt Russland, ein Buk-Flugabwehrsystem ins Rebellengebiet gebracht zu haben. Damit soll die Maschine abgeschossen worden sein. Zuvor hatten 40 EU-Parlamentsabgeordnete an Präsident Selenski appelliert, den Verdächtigen nicht an Russland zu übergeben. Die Ermittler in den Niederlanden befürchteten nun, dass der Mann als Zeuge nicht mehr zu Verfügung stehen wird. (dpa, AFP, Reuters)