Russland-Koordinator Schockenhoff (CDU): „Putin setzt auf Repression“
Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, über den politischen Stil des neuen und alten russischen Präsidenten - und über die ungewisse Zukunft des Petersburger Dialogs.
Herr Schockenhoff, lange hat Deutschland darauf gesetzt, dass Wladimir Putin sein Land nicht nur stabilisieren, sondern modernisieren würde. Ist von dieser Hoffnung nach seiner Wiederwahl noch etwas übrig?
Viele Russen haben Anfang Mai gegen Putins Amtseinführung protestiert. Seither hat er im Schnellverfahren politische Entscheidungen getroffen und durchs Parlament gepeitscht, die sehr kritisch zu sehen sind. Die russische Führung bietet ihrer Gesellschaft keinen Dialog an. Putin setzt auf Repression und Konfrontation.
Welche Beispiele dafür sehen Sie?
Das Versammlungsrecht wurde im Schnellverfahren eingeschränkt. Vor Demonstrationen gegen Putin wurden die Wohnungen von Oppositionellen durchsucht, um sie einzuschüchtern. Nichtregierungsorganisationen werden durch eine Gesetzesänderung nun als „ausländische Agenten“, also als Staatsfeinde stigmatisiert, wenn sie mit Ausländern zusammenarbeiten. Es drohen Einschränkung bei der Nutzung des Internets und der freien Wahlbeobachtung. Wir erleben sogar, dass der russische Staat die Tätigkeit freiwilliger Helfer bei Naturkatastrophen eingrenzen will. Der Staat sieht zivilgesellschaftliches Engagement als Bedrohung an, nicht als konstitutives Element einer demokratischen Ordnung.
Wohin führt das?
Diese Entwicklungen sind undemokratisch und stehen der dringenden Modernisierung des Landes entgegen, für die Putin die aktive Mitarbeit der Gesellschaft braucht. Russland fällt in allen internationalen Rankings zurück, egal ob es um Korruptionsbekämpfung, Wettbewerbsfähigkeit oder demografische Entwicklung geht. Putin sieht die eigene Bevölkerung jedoch nicht als Partner, sondern als Bedrohung des Staates.
Video: "Pussy Riot": Banges Warten auf das Urteil
Welche Rolle spielt dabei der Prozess gegen die Punk-Band Pussy Riot?
Das Anti-Putin-Lied in der Kirche war geschmacklos, das rechtliche Vorgehen gegen die Band aber ist völlig maßlos. Die monatelange Untersuchungshaft und das angedrohte Strafmaß stehen in keinem Verhältnis zu den Taten der Frauen. In Wirklichkeit geht es um die Einschüchterung jeder Opposition gegen Putin. Jede Kritik am Regime soll im Keim erstickt werden.
Vor wenigen Tagen hat sich Putin in London für ein mildes Urteil ausgesprochen – ein Zeichen der Einsicht?
Das war keine Trendwende. Putin geht es um das Image Russlands im Ausland, nicht um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das Image ist ihm wichtig, weil Russland Gastgeber der nächsten Olympischen Spiele ist.
Auch in der russischen Außenpolitik gibt es massive Fehlentwicklungen. Warum war Russland nicht bereit, Syriens Präsident Assad die Unterstützung zu entziehen?
Die russische Außenpolitik arbeitet in Kategorien aus der Zeit des Kalten Krieges. Sie betont einseitig den Wert der Souveränität eines Landes und verlangt Nichteinmischung. In einer Welt, in der wir fast 50 „failed states“ (gescheiterte Staaten) haben, reichen diese Prinzipien nicht mehr aus, um Sicherheit zu gewährleisten. Das Festhalten an Assad zeigt, dass Russland derzeit nicht willens oder nicht in der Lage ist, bei internationalen Krisen zu einer Lösung beizutragen.
Macht der Petersburger Dialog noch Sinn oder wird er zu einer Alibiveranstaltung?
Der Petersburger Dialog wurde gegründet als offenes Diskussionsforum zur Verständigung der Zivilgesellschaften beider Länder. Ich werde als neuer Leiter der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft gegenüber Russland darauf dringen, dass wir auch offen diskutieren und zu Absprachen kommen.
Wählt Russland noch unabhängige Teilnehmer aus?
Ich hoffe, dass wir beim nächsten Treffen im November in Moskau eine prominente und öffentliche Diskussion über die politischen Fehlentwicklungen führen können. Das müssen wir versuchen. Und danach müssen wir eine kritische Bilanz ziehen. Wenn ein offener Austausch der Zivilgesellschaften nicht mehr möglich ist, muss man den Petersburger Dialog einstellen.