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Medwedew (l.) und Putin.
© dpa

Nach der Wahl: Putin-Partei muss Koalitionen schmieden

Ministerpräsident Putins Partei verliert die Zweidrittelmehrheit, bleibt aber stärkste politische Kraft in Russland. Der Überdruss der Russen könnte noch zunehmen.

„Wir leben seit heute in einem anderen Land. Der Kaiser ist nackt und muss das zugeben, wenn er sich nicht lächerlich machen will.“ So kommentierte Boris Nemzow, einer der Führer der liberalen Opposition, den Ausgang der Parlamentswahlen in Russland, kaum, dass Sonntagabend die ersten Hochrechnungen einliefen. Denn die verhießen für den eine Woche zuvor zum Präsidentschaftskandidaten gekürten Premier Wladimir Putin nichts Gutes. Und inzwischen haben sich die Vermutungen zur Gewissheit verdichtet.

Nach Auszählung aller Stimmen steht fest, dass Putins Partei „Einiges Russland“ in der Duma mit nur noch knapp 50 Prozent ihre satte Zweidrittelmehrheit verloren hat. Auch die absolute Mehrheit der Sitze kann sich die Partei in der Wahl, die als Startschuss für den geplanten Ämtertausch zwischen Ministerpräsident Putin und Präsident Dmitri Medwedew galt, nur knapp sichern: Lediglich durch eine Sperrklausel stellt „Einiges Russland“ 238 der 450 Sitze im neuen Parlament mehr als die Hälfte der Abgeordneten. 2007 hatte sie noch 64,3 Prozent geholt. Die Kommunisten dagegen kommen auf 92 Mandate – 35 mehr als bisher –, das linksnationale „Gerechte Russland“ auf 64. Die ultranationale Liberaldemokratische Partei sicherte sich 56 Sitze.

Während Medwedew die Wahl als „fair, ehrlich und demokratisch“ bezeichnete und als Ursache der Stimmenverluste untergeordnete Funktionäre der Partei, welche die Bevölkerung irritiert hätten, ausgemacht haben will, monierten Kritiker, selbst dieses Ergebnis sei nur durch Manipulationen zustande gekommen. Die Opposition ging am Montagabend aus Protest auf die Straße. Trotz strömenden Regens demonstrierten im Zentrum Moskaus nach Medienangaben 5000 Menschen. Mehr als 300 wurden festgenommen, als sie zum Sitz der Zentralen Wahlkommission marschieren wollten, berichtete die Agentur Ria-Nowosti.

Wahlbeobachter der Zivilgesellschaft hatten gleich aus mehreren Regionen berichtet, dass massenhaft Stimmzettel zugunsten von „Einiges Russland“ noch vor Öffnung der Wahllokale eingeworfen worden waren. Außerdem hätten Gruppen von meist kremlnahen Jugendlichen außerhalb ihres Wohnbezirks abgestimmt und mit der eigens dazu ausgestellten Berechtigung ein Dutzend Wahllokale abgeklappert. Auch Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats kritisierten Unregelmäßigkeiten. Der Wahlkampf sei durch „begrenzten politischen Wettbewerb und einen Mangel an Fairness“ geprägt gewesen. Bei der Stimmenauszählung seien wiederholt die Vorschriften verletzt worden. Zudem habe es Manipulationen, darunter auch von Wahlurnen, gegeben. Die Bundesregierung äußerte sich besorgt.

Die Experten russischer Thinktanks sind sich mehr oder minder einig, dass der Absturz der Putin-Partei vor allem auf Überdruss zurückzuführen ist. Statt auf neue Angebote habe „Einiges Russland“ voll auf die Wahrung des bisher Erreichten gesetzt. Auf Stabilität, die in Stagnation umgeschlagen ist, wie sogar Spitzenkandidat und Noch-Präsident Medwedew frühzeitig gewarnt hatte.

Medwedew und Putin versuchten, sich und ihre Getreuen über die Niederlage mit der Erkenntnis hinwegzutäuschen, dass „Einiges Russland“ immerhin stärkste politische Kraft bleibe. Und Putin sieht den Regierungskurs bestätigt: „,Einiges Russland’ ist die Partei, auf die sich die Regierung bei ihrer Arbeit stützt“, sagte er nach Angaben der Agentur Interfax. Deshalb sei das Ergebnis wichtig für das ganze Land. Die absolute Mehrheit sorge für eine „ruhige und rhythmische Arbeit“.

Dennoch: Bei Entscheidungen mit Zweidrittelmehrheit wie beispielsweise Verfassungsänderungen muss die Partei künftig den Kompromiss mit der Opposition suchen. Medwedew nahm sogar das Wort „Koalition“ in den Mund. Experten wie der als Querdenker in Ungnade gefallene ehemalige Chef der staatsnahen „Stiftung für effektive Politik“, Gleb Pawlowski, sind dagegen vorsichtiger: Die Einheitsrussen würden nur punktuell und mit wechselnden Partnern kooperieren, sagte er Radio Echo Moskwy. Allein schon, um den Anschein des Machtmonopols aufrechtzuerhalten, würden sie sich nicht per Koalitionsvertrag an Juniorpartner ketten, sondern versuchen, diese gegeneinander auszuspielen.

Ähnlich äußerte sich auch Expremier Michail Kasjanow. Die Hauptgefahr bestehe derzeit darin, dass die Oppositionsparteien ihren Sieg nicht in politisches Kapital ummünzen, sondern stattdessen versuchen würden, sich um tagespolitischer Vorteile willen mit Putin zu arrangieren. Die Enttäuschung der Wähler, warnte Kasjanow, könnte dann in Wut umschlagen. Das ist nicht ganz abwegig, zumal die Finanzkrise Kreml und Regierung zwingen könnte, die sozialen Wohltaten, mit denen sie vor den Wahlen für sich warben, in Teilen wieder zurückzunehmen.

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