Prozess gegen russische Punk-Band: Pussy Riot erwartet ein politischer Prozess
In Moskau beginnt am Montag das Verfahren gegen die regierungskritische Frauenband. Mit Häkelmasken vor dem Gesicht hatten sie in einem Punk-Gebet die Gottesmutter bestürmt, Putin zu vertreiben. Was ist von dem Prozess zu erwarten?
Russische Bürgerrechtler und kritische Medien sind sich weitgehend einig: Mit dem heute beginnenden Prozess gegen die feministische Punk-Gruppe Pussy Riot werden die politische Macht und die von ihr abhängige Justiz nicht Stärke, sondern Schwäche zeigen. Bis zu sieben Jahren Haft drohen den Band-Mitgliedern, Maria Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch. Der Anwalt der Band, Mark Feigin, sagt, er rechne nicht mit einem fairen Prozess. Seine Befürchtungen sieht er schon dadurch bestätigt, dass die Causa vor dem selben Moskauer Gericht verhandelt wird, wie die von Ex-Jukos-Chef Michail Chodorkowski 2010. Weite Teile der Öffentlichkeit vermuteten damals politische Hintergründe. Chodorkowski hatte die Opposition unterstützt.
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Was wird den Frauen vorgeworfen?
Mit Häkelmasken vor dem Gesicht hatten sie in einem Punk-Gebet die Gottesmutter bestürmt, Putin zu vertreiben und dabei die orthodoxe Liturgie persifliert. Nicht irgendwo, sondern auf dem Altar der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche, die russisch-orthodoxen Christen so heilig ist wie der Petersdom den Katholiken. Und das zwei Wochen vor den Präsidentenwahlen Anfang März. Die staatlichen Ankläger sprechen von „Anstiftung zu religiösem Hass“ und bemühen dazu, obwohl auch in Russland die Trennung von Staat und Kirche gilt, nicht nur russisches Straf-, sondern auch byzantinisches Kirchenrecht. Ein Konzil, das in der Spätantike tagte, hatte Musik und Tanz in Gotteshäusern sowie das Betreten selbiger in „Narrenkleidung“ untersagt. Der Vorwurf der Gemeingefährlichkeit, wegen dem die drei Punkerinnen seit Ende Februar in Untersuchungshaft sitzen, basiert auf ähnlich wackeliger Rechtsgrundlage.
Was sagt der Prozess über die aktuelle politische Lage in Russland?
Wie bewerten die Russen die Aktion von Pussy Riot?
Gläubige sprachen von Gotteslästerung und selbst Wohlmeinende – Künstler und demokratische Intellektuelle, die die „Performance“ durch das Verfassungsrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sehen und für christliche Milde plädierten – von Geschmacklosigkeit. Angeschlagen von Massenprotesten, so der Tenor kritischer Beobachter, habe Wladimir Putin in der heißen Phase des Wahlkampfs Kritik an seiner Person als Angriff auf das System gewertet – und entsprechend verfolgen lassen. Damit habe er die Tatsache völlig verkannt, dass Pussy Riot ihn vor allem als Vertreter der Macho-Gesellschaft und nicht als Politiker vorführte. Aktuell eint die Empörung über die Verfolgung der Punkerinnen Liberale, Linke und Nationalisten bei der Vorbereitung neuer Aktionen im Herbst. Die Frauen haben mit ihren Aktionen der Opposition allerdings nicht unbedingt nur genutzt: Gleich mehrere Zeitungen fürchten, die Feministinnen hätten, wenn auch unfreiwillig, dem System in die Hände gespielt. Performances dieser Art würden die ohnehin von Richtungsstreit und internen Rivalitäten gebeutelten Regimegegner diskreditieren, die Massen abschrecken und dadurch verhindern, dass die Protestbewegung den Sprung zur Opposition schafft. Die Protestbewegung kann sich bisher nicht auf gemeinsame Ziele einigen: Bei Linken und Nationalisten wächst die Gewaltbereitschaft. Mit einer Sitzblockade lieferten sie den Ordnungskräften bei den letzten großen Aufmärschen vor Putins Vereidigung die Steilvorlage für hartes Durchgreifen und Massen-Festnahmen. Die Liberalen gehen zu ihnen mehr und mehr auf Distanz, ihre Wähler engagieren sich vor allem für Neuwahlen von Präsident und Parlament und lehnen einen Systemwandel mit nichtverfassungskonformen Methoden konsequent ab.
Welches Urteil wird erwartet?
Wenn die Justiz den Argumenten von Verteidigung und Menschenrechtlern folgen würde, dann würde sie die Frauen statt wegen Extremismus – dazu gehört auch religiöser Hass – wegen groben Unfugs verurteilen. Darauf stehen Ordnungsstrafen und gemeinnützige Arbeit. Staubwedeln, so ein kritischer Sender, würde die Missetäterinnen eher bußfertig machen als russische Vollzugsanstalten. In diesen sei noch niemand zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft geläutert worden. Doch Zurückrudern ist schwer für den Kreml. Die Frauen müssen mit Strafen von bis zu sieben Jahren rechnen. Längst hat sich die Sache zu einem internationalen Skandal ausgewachsen. Und die Frauen von Pussy Riot zu Weltstars gemacht. Amnesty International erklärte sie zu politischen Häftlingen, westliche Politiker und Künstler, darunter Sting, fordern ihren Freispruch.
Was sagt der Prozess über die aktuelle politische Lage in Russland aus?
Das Verfahren ist nur die Spitze des Eisbergs. Menschenrechtler hatten schon im vergangenen September vor einem neuen Rückbau der ohnehin nur zarten Ansätze von Demokratie gewarnt. Damals verzichtete Dmitri Medwedew zugunsten Wladimir Putins auf die Kandidatur für eine weitere Amtszeit. Und die Kritiker scheinen Recht zu behalten. Schon im Juni – einen Monat nach Putins Vereidigung – beschloss die Duma, ein vom Präsidentenamt eingebrachtes Gesetz, das Verstöße gegen die Ordnung bei Aufmärschen und Kundgebungen mit drakonischen Strafen geahndet werden sollen. Für einen regelrechten Aufschrei sorgte Anfang Juli auch das „Agenten-Gesetz“. Nichtstaatliche Organisationen, die sich ganz oder teilweise aus dem Ausland finanzieren, werden künftig als „ausländische Agenten“ –geführt und streng kontrolliert. Damit nicht genug: Auch die Zugeständnisse, zu denen Medwedew sich durch landesweite Massenproteste nach den umstrittenen Parlamentswahlen im Dezember gezwungen sah, wurden so hingebogen, dass reale politische Konkurrenz und Pluralismus wieder auf der Strecke bleiben.