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Vor dem Bürgeramt von Rongcheng sind auf großen Postern die Porträts von «Modellbürgern» ausgestellt.
© dpa/Andreas Landwehr

China: Punkte für den "besseren Menschen"

China führt ein digitales Sozialpunktesystem ein, das die Kreditwürdigkeit der Bürger ermittelt. Wer in sozialen Netzwerken die falschen "Freunde" hat, kann Punkte verlieren.

Das kommunistische China will bis 2020 ein Sozialpunktesystem der Behörden einführen, das Vertrauenswürdigkeit ermitteln und zwischen guten und schlechten Bürgern unterscheiden soll. Schon heute messen ähnliche kommerzielle Sozialkreditsysteme der großen Internetkonzerne Alibaba und Tencent die Kreditwürdigkeit von Millionen Internetnutzern. Es ist wie mit dem Big Brother in George Orwells Roman „1984“ ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre. Westliche Kritiker warnen vor einem „digitalen Totalitarismus“.

Doch unter Chinesen gibt es dahingehend wenig Problembewusstsein. Das Punktesystem wird von der großen Mehrheit sogar positiv bewertet, wie eine Studie der Freien Universität Berlin ermittelt hat. 49 Prozent der 2209 Befragten äußern ihre „starke Zustimmung“, während 31 Prozent „irgendwie zustimmen“. Zusammen ergab die Online-Umfrage also 80 Prozent Zustimmung. Das Ergebnis ist überraschend. „Weil sie das Gefühl haben, niemandem trauen zu können, sind viele Menschen dem Sozialkreditsystem positiv gegenüber eingestellt“, sagt Professorin Genia Kostka, die Autorin der Studie.

Kritische Äußerungen führen zu Punkteverlust

Chinas Online-Riesen, die weltweit Vorreiter bei mobilen Zahlsystemen über Smartphones sind, sammeln heute schon fleißig Daten über Konsumverhalten und Zahlungskräftigkeit ihrer Kunden. So wird die Kreditwürdigkeit festgestellt, wobei auch der Punktestand der jeweiligen Freunde eine Rolle spielt. Die Sozialpunktesysteme der Behörden sind zwangsweise. Doch sind sie erst in Pilotprojekten im Land eingeführt. Auch hier ist ein hoher Punktestand als „guter“ Bürger notwendig, um bei der Bank einen Kredit zu einem normalen Zins für einen Wohnungskauf zu bekommen.

Punktabzug gibt es für Regelverstöße, Verkehrsvergehen oder Zahlungsverzug . Allzu kritische Äußerungen in sozialen Medien könnten auch dazu führen, dass jemand im Punktesystem nach unten rutscht, warnen Kritiker. Mit Spenden oder Freiwilligenarbeit lässt sich das Konto wiederum auffüllen.

Ohne eine freie Presse in China gibt es kaum Problembewusstsein oder Sorgen über Missbrauch. Es geht der Führung auch um die Erziehung ihrer Untertanen. Viele der Befragten gaben an, ihr Verhalten schon geändert zu haben oder sich online selbst zu zensieren. Fast jeder Fünfte teilt andere Inhalte, weil er Teil eines Sozialpunktesystems ist. Genauso viele haben sich auf sozialen Medien schon von „Freuden“ getrennt, weil deren schlechter Punktestand potenziell die eigene Vertrauenswürdigkeit verringern könnte.[dpa]

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