Nach Covid-19-Erkrankung: Premier Johnson aus Krankenhaus entlassen – 10.600 Tote in Großbritannien
Der Zustand des britischen Premierministers hat sich gebessert. Boris Johnson durfte die Klinik verlassen – wird aber nicht sofort die Arbeit aufnehmen.
Der britische Premierminister Boris Johnson ist am Sonntag aus dem Krankenhaus entlassen worden. „Ich habe heute das Krankenhaus nach einer Woche verlassen“, berichtete er am Sonntag in einer über Twitter verbreiteten Videobotschaft. Der staatliche Gesundheitsdienst NHS (National Health Service) habe sein Leben gerettet. Aus dem Kreis der Klinikmitarbeiter lobte er insbesondere Jenny aus Neuseeland und Luis aus Portugal. „Sie standen 48 Stunden an meinen Bett, als die Dinge hätten auch anders ausgehen können", hieß es in der ersten öffentlichen Erklärung seit seiner Verlegung auf die Intensivstation am vergangenen Montag.
Der 55-jährige Johnson wird auf Anraten seiner Ärzte nicht sofort wieder mit seiner Arbeit beginnen, wie ein Sprecher der Downing Street mitteilte. Der Regierungschef werde sich auf dem offiziellen Landsitz des Premiers, Chequers in der Nähe von London, erholen. Schon am Samstagabend hatte Johnson den Mitarbeitern der Klinik in Parlamentsnähe mitgeteilt: „Ich verdanke ihnen mein Leben.“
Mehr als 10 600 Menschen starben nach Angaben des Gesundheitsministeriums vom Sonntag bislang in Großbritannien an ihrer Infektion mit Sars-CoV-2. Experten rechnen allerdings mit einer hohen Dunkelziffer; vor allem zahlreiche Opfer in Seniorenheimen sind noch nicht erfasst. Die meisten Toten wurden in England - insbesondere in der britischen Hauptstadt - registriert. Gesundheitsminister Matt Hancock sprach angesichts des Überspringens der 10 000er Marke von einem „düsteren Tag“.
Wie die britische Nachrichtenagentur PA unter Berufung auf Regierungskreise berichtete, erhielt Johnson im Krankenhaus Briefe und Baby-Ultraschallbilder von seiner schwangeren Verlobten Carrie Symonds sowie Tausende Karten mit Genesungswünschen. Zudem hatte er sich unter anderem mit Filmen die Zeit vertrieben.
Der Politiker war am vergangenen Sonntag zu Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht worden. Sein Zustand verschlechterte sich aber derart, dass er am Montag auf die Intensivstation der Klinik gebracht werden musste. Am Donnerstag kam er wieder auf die normale Station.
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Johnson war Ende März positiv auf das Coronavirus getestet worden. Seine schwere Erkrankung und seine Verlegung auf die Intensivstation inmitten der Coronavirus-Krise hatten Großbritannien in einen Schockzustand versetzt. Er ist der ranghöchste Politiker weltweit, der an Sars-CoV-2 erkrankt ist.
Beim Pflegepersonal nehmen unterdessen die Beschwerden über die Zustände in den britischen Krankenhäusern zu. Sie klagen vor allem über einen eklatanten Mangel an Schutzausrüstung gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus. Die größte Gewerkschaft der Krankenschwestern und Pfleger, RCN, rief dazu auf, sich als "letztes Mittel" der Arbeit zu verweigern, sollte die Ausrüstung fehlen - auch wenn dies angesichts der Berufsethik sehr schwer fallen dürfte.
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Nach Angaben von Gesundheitsminister Matt Hancock starben bereits 19 NHS-Mitarbeiter an Covid-19. Dies habe aber nicht an ihrer mangelnden Ausrüstung gelegen, versicherte er am Samstag. Offenbar sind bei dem Personal vor allem Vertreter von Minderheiten betroffen, da sie einen Großteil des NHS-Personals stellen.
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Insgesamt dürfte die Zahl der Corona-Toten in Großbritannien schon bald die Marke von 10.000 überschreiten. Die tatsächliche Zahl dürfte noch weitaus höher liegen, da nur die Opfer in Krankenhäuser gezählt werden, nicht aber beispielsweise in Alten- und Pflegeheimen.
Die Zahl der bestätigten Infektionen liegt bei fast 80.000 - doch dürfte sie angesichts der niedrigen Testkapazitäten ebenfalls deutlich höher sein. Mehr als ein Drittel der schwerstkranken Corona-Patienten in Großbritannien sind nach einem Bericht der BBC Vertreter der schwarzen, asiatischen oder anderer ethnischer Minderheiten.
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Die Regierung von Premierminister Johnson hatte anfangs lange gezögert, mit strikten Maßnahmen die Verbreitung des Virus einzudämmen. Mittlerweile sind außer Johnson auch eine ganze Reihe anderer hochrangiger Regierungsvertreter infiziert.
Großbritannien könnte nach Einschätzung der Wellcome-Stiftung in der Bilanz das am schlimmsten von der Corona-Pandemie betroffene Land innerhalb Europas werden. Im Vereinigten Königreich werde die Todesrate möglicherweise die höchste sein, sagte der Direktor der Stiftung, Jeremy Farrar, am Sonntag dem britischen Sender BBC. Zweifellos müsse man aus der derzeitigen Lage Lehren ziehen, betonte er. Massentests könnten noch helfen, Zeit zu gewinnen, um das Gesundheitswesen aufzurüsten.
Nach dem jetzigen Ausbruch rechnet der Experte, der auch die britische Regierung berät, mit einer zweiten und dritten Welle. Er hoffe auf einen Impfstoff bis Herbst, dann müsse noch die Produktion für die Impfung vieler Millionen Menschen hochgefahren werden. „Ich würde hoffen, dass wir das in zwölf Monaten schaffen, aber das ist an sich schon ein beispielloser Ehrgeiz“, sagte Farrar. (dpa, AFP)