Außenministerin in der Ukraine: Präsident Selenskyj dankt Baerbock für Unterstützung im Krieg
Als erstes Regierungsmitglied ist Baerbock in die Ukraine gereist. Dort besuchte die Außenministerin auch den Kiewer Vorort Butscha und Bürgermeister Klitschko.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Kiew empfangen und ihr für die Unterstützung des Landes im Krieg gegen Russland gedankt. Es sei von großem Wert für das Land, dass sich Deutschland solidarisch zeige mit dem ukrainischen Volk, sagte Selenskyj einem von der Präsidialverwaltung veröffentlichten Video zufolge am Dienstag.
Baerbock wurde von ihrem niederländischen Kollegen Wopke Hoekstra begleitet, der sich bestürzt zeigte über die Zerstörungen von Russlands Angriffskrieg unter anderem in den Vororten der Hauptstadt Kiew. Auch Baerbock besuchte die Orte Butscha und Irpin.
Zuvor hatte Baerbock die Wiedereröffnung der Mitte Februar geschlossenen deutschen Botschaft in der Hauptstadt Kiew noch an diesem Dienstag angekündigt. Die Arbeit der Botschaft werde in Minimalpräsenz wieder aufgenommen, sagte die Grünen-Politikerin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba in der Hauptstadt Kiew.
Bei den vorangegangenen Gesprächen hatte Baerbock Kuleba zum Treffen der Außenminister der G7-Gruppe der führenden demokratischen Industrienationen nach Schleswig-Holstein eingeladen. Sie freue sich, dass Kuleba ihre Einladung angenommen habe, sagte Baerbock am Dienstag nach Angaben eines Sprechers. Die G7-Außenminister kommen vom 12. bis 14. Mai in Weißenhäuser Strand an der Ostsee zusammen.
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In der Botschaft werde es zunächst einen eingeschränkten Betrieb geben, teilte Baerbock mit. Die letzten entsandten Mitarbeiter der Botschaft waren am 25. Februar nach Polen ausgereist und hatten teils von dort und teils von Berlin aus weitergearbeitet. Deutschland ist eines der letzten westlichen Länder, das die Wiedereröffnung seiner Botschaft in Kiew ankündigt hatte. Am Sonntag hatten die USA und Kanada die Rückkehr von Botschaftsmitarbeitern verkündet.
Davor waren bereits Vertretungen der EU, Frankreichs, Italiens, Großbritanniens, Österreichs und anderer Staaten in Kiew wieder eröffnet worden. Aus der Gruppe der G7-Staaten der führenden demokratischen Industrienationen fehlt nur noch Japan, das die Wiedereröffnung seiner Botschaft noch nicht angekündigt hat.
Baerbock als erstes Regierungsmitglied seit Kriegsbeginn in der Ukraine
Baerbock ist als erstes deutsches Kabinettsmitglied seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in die Hauptstadt Kiew gereist. Sie machte sich am Dienstag zunächst im Vorort Butscha ein Bild von der Lage und sicherte der Ukraine Unterstützung bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen während des russischen Angriffskrieges zu.
„Wir sind es diesen Opfern schuldig, dass wir hier nicht nur gedenken, sondern dass wir die Täter zur Verantwortung bringen und ziehen“, sagte sie. „Das werden wir als internationale Gemeinschaft tun. Das ist das Versprechen, was wir hier in Butscha geben können und geben müssen.“
In Butscha waren nach dem Abzug der russischen Truppen mehr als 400 Leichen gefunden worden – teils mit auf den Rücken gebundenen Händen. Baerbock wurde von einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft an dessen Haus empfangen.
„Butscha ist zum Symbol für Folter, Vergewaltigung, Mord geworden“
Auf Twitter schreibt die Außenministerin dazu: „Butscha ist zum Symbol geworden. Für unvorstellbare Verbrechen, für Folter, Vergewaltigung, Mord. Die Unvorstellbarkeit lässt diesen Ort weit weg erscheinen. Und dann steht man hier und begreift: Butscha ist eine ganz normale, friedliche Vorstadt. Es hätte jeden treffen können.“
Von dem Mut der Ukrainer im Kampf gegen die russische Aggression zeigte sich die Außenministerin beeindruckt. „Sie sind ein sehr tapferes Land, und alles, was wir tun können ist, an Ihrer Seite zu stehen“, sagte Baerbock.
Bei einem Treffen mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sicherte sie weitere Unterstützung im militärischen Bereich wie auch beim Wiederaufbau zu. „Hätte dieser brutale Vormarsch nicht zurückgedrängt werden können, dann hätte auch diese Stadt anders ausgesehen“, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag bei dem Treffen mit Klitschko mit Blick auf das russische Vorrücken auf die ukrainische Hauptstadt.
Ex-Boxweltmeister Klitschko dankte Baerbock für ihr Engagement und ihren Besuch in den Kriegszeiten. „Ihr Besuch in der Kriegszeit ist sehr wichtig für uns“, sagte er zu Baerbock. Der Bürgermeister zeigte ihr bei einem Rundgang einen Teil der Stadt und schenkte der Ministerin zum Abschluss noch ein Bildband: „Kiew - meine Liebe“ - mit Signatur von Klitschko.
Die Bundesregierung werde die Unterstützung fortführen und im militärischen Bereich weiter intensivieren. Dies gelte aber auch für die Unterstützung beim Wiederaufbau, gerade auch von kleineren Städten und von Orten, sagte Baerbock. Man tue alles dafür, „dass in den Orten, die schon befreit sind oder die nicht eingenommen worden sind, zumindest trotz der trügerischen Sicherheit das Leben weitergehen kann“.
Bei den Gesprächen, die Baerbock führte, ging es auch um die Notwendigkeit, das Land von russischen Minen zu befreien. Große Teile des Gebiets um die Hauptstadt seien vermint, sagte Militärgouverneur Olexander Pawljuk.
Irpins Bürgermeister warnt vor vielen russischen Minen
Irpins Bürgermeister Olexander Markuschyn sagte bei dem Treffen mit Baerbock, dass in Zukunft viele Minenräumer gebraucht würden – auch für die Gebiete im Osten der Ukraine. Nach dem Abzug der russischen Truppen sind nach Darstellung des Bürgermeisters inzwischen wieder 25.000 Menschen in die Stadt zurückkehrt, 5000 waren es demnach zur Zeit der russischen Besatzung. 2000 Wohnungen und 35 Hochhäuser seien zerstört worden durch russische Angriffe.
„Irpin hat einen hohen Preis für den Sieg bezahlt“, sagte Markuschyn. Er hatte der russischen Armee nach deren Abzug schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen. Es seien Zivilisten erschossen, Frauen vergewaltigt und Wohnungen geplündert worden.
Baerbock betrat auch ein völlig zerbombtes Mehrfamilienhaus in der Stadt. „Außenministerin eines Landes im Frieden zu sein, ist einfach. Aber eine ganz andere Sache ist es, Bürgermeister im Krieg zu sein. Mein ganz großer Respekt!“
Weiter ist unklar, ob Scholz nach Kiew reist
Die Außenministerin hat bei ihrem Besuch in Kiew erklärt, dass Deutschland künftig komplett ohne Energie des „Aggressors“ Russland auskommen wolle. „Deshalb reduzieren wir mit aller Konsequenz unsere Abhängigkeit von russischer Energie auf Null – und zwar für immer“, sagte Baerbock.
In den vergangenen Wochen hatte es um Besuche deutscher Politiker in der Ukraine viele Diskussionen gegeben. Eine Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der zusammen mit den Präsidenten Polens und der drei baltischen Staaten nach Kiew reisen wollte, hatte in Berlin erhebliche Verstimmung ausgelöst. Kanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete danach die Ausladung Steinmeiers als Hindernis für eine eigene Reise nach Kiew.
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Nachdem Steinmeier und Selenskyj die Irritationen vergangene Woche in einem Telefonat ausgeräumt hatten, kündigte Scholz an, dass Baerbock bald reisen werde. Ob und wann Scholz nach Kiew reisen könnte, ist weiter unklar.
Am Sonntag hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) als zweithöchste Repräsentantin des Staates nach dem Bundespräsidenten Kiew besucht. Vor ihr war am vergangenen Dienstag der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in Kiew.
Selenskyj hatte den Kanzler für den 9. Mai eingeladen – an diesem Montag feierte Russland den sowjetischen Sieg über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Selenskyj hatte erklärt, Scholz könne einen „sehr starken politischen Schritt“ unternehmen und an diesem Tag in die ukrainische Hauptstadt kommen. (dpa)