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Ruslan Boschirow (links) und Alexander Petrow wurden im staatlichen russischen Kanal RT als Touristen vorgestellt.
© dpa

Terrorverdacht gegen russische Spione: Prag überdenkt sein Verhältnis zu Moskau

Nach der Ausweisung von Diplomaten verhängt Tschechien weitere Strafen: Russischer Konzern verliert Milliardenauftrag.

Alexander Petrow und Ruslan Boschirow scheinen eine bizarre Vorliebe für Orte zu haben, die nicht zwingend als Hotspots des internationalen Tourismus gelten. Vor drei Jahren besuchte das russische Pärchen das britische Salisbury, angeblich um die Kathedrale zu besichtigen. Kurz darauf kämpften der russische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter in Salisbury um ihr Leben. Sie waren mit dem in der Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Novichok vergiftet worden, ergaben die Ermittlungen. Ein paar Jahre vorher, 2014, hielten sich die beiden „Touristen“ offenbar im tschechischen Vrbetice im Südosten des Landes auf. Sehenswürdigkeiten gibt es dort keine, wenn man nicht ein Munitionsdepot mit Restbeständen aus Zeiten des Warschauer Vertrages dafür hält.

Im Munitionsdepot von Vrbetice kam es in zeitlicher Nähe zu dem Besuch Petrows und Boschirows zu zwei Explosionen, bei denen zwei Menschen starben. Mit der zeitlichen Verzögerung von sieben Jahren gab Tschechiens Regierungschef Andrej Babis nun am vergangenen Wochenende bekannt, es gebe „klare Beweise“ dafür, dass Angehörige des russischen Militärgeheimdienstes GRU in die Explosionen verwickelt waren. Die tschechische Polizei veröffentlichte Fahndungsfotos zweier Tatverdächtiger: Petrow und Boschirow. Westliche Experten hegen inzwischen keine Zweifel, dass die beiden Angehörige des russischen Militärgeheimdienstes sind.

Der Skandal belastet das tschechisch- russische Verhältnis so schwer wie nie zuvor seit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus. Tschechien wies 18 russische Diplomaten aus, Russland antwortete mit der Ausweisung von 20 tschechischen Diplomaten. Der tschechische Senatspräsident Milos Vystrcil sprach von „Staatsterrorismus“, die Sprecherin des russischen Außenministeriums von einer Provokation, hinter der man die Hand Washingtons erkenne. Im derzeit ohnehin angespannten Verhältnis zu Russland gibt es neue Verwerfungen.

Zwei Wochen des Zögerns

Die Enthüllungen kamen überraschend. Ursprünglich hatte Innenminister Jan Hamacek am Montag nach Moskau reisen wollen, um über Lieferungen des russischen Corona-Impfstoffes Sputnik V zu verhandeln. An dieser offiziellen Version gibt es in den tschechischen Medien nun Zweifel. Das Portal „rozhlas.cz“ geht davon aus, dass der Prager Regierung ein Bericht der Geheimdienste zu den Explosionen in Vrbetice bereits seit Anfang April bei einer Sitzung des Staatssicherheitsrates vorlag. Offenbar gab es danach intensive Verhandlungen in der Koalition von Andrej Babis, wie mit dem brisanten Material umzugehen sei. Erst zwei Wochen später entschloss sich Babis, an die Öffentlichkeit zu gehen. Staatspräsident Milos Zeman, der keinen Hehl aus seinen Sympathien für den russischen Präsidenten Wladimir Putin macht, war über dieses Vorgehen offenbar erst einen Tag vor der Pressekonferenz des Regierungschefs eingeweiht worden.

Russland geht durch die Spionageaffäre nun ein Milliardengeschäft durch die Lappen. Das auf den Bau von Kernkraftwerken spezialisierte Unternehmen Rosatom hatte sich an der Ausschreibung für eine Modernisierung des tschechischen Atomkraftwerks Dukovany beteiligt. Wirtschaftsminister Karel Havlicek, der der Ano-Partei des Regierungschefs Babis angehört, hatte sich zuvor erkennbar dafür eingesetzt, dass Rosatom den Zuschlag erhält.

Inzwischen hat die tschechische Regierung erklärt, der russische Anbieter sei nicht mehr im Wettbewerb. Auch Verhandlungen über einen Vertrag zur Lieferung von Sputnik V seien nicht mehr aktuell, sagte Hamacek. Als einen eher symbolischen Akt beschloss die Prager Regierung am Montag eine „Strategie zur Abwehr hybrider Gefahren“. In ihm wird das Ziel formuliert, die „strategische Abhängigkeit von Ländern mit andersartiger Wertorientierung“ zu vermindern. Frank Herold

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