Politische Bildung in Sachsen: "Populisten nicht jede Bühne geben"
Roland Löffler ist neuer Chef der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen. Ein Interview über AfD-Erfolge, politische Streitkultur und "besorgte Bürger".
Herr Löffler, bei der Bundestagswahl am 24. September ist die AfD in Sachsen stärkste Kraft geworden, knapp vor der CDU. Am Tag darauf haben Sie Ihren Posten als neuer Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung angetreten. Ihr erster Gedanke zum Wahlausgang?
Die Tendenz war zu erwarten. Dass es so zugespitzt kommt, hat mich dann aber doch überrascht. In dem Wahlergebnis drückt sich ein Bruch im Vertrauen zu den etablierten Parteien aus. Dazu kommt eine Unzufriedenheit mit sehr konkreten Problemen in Sachsen: Lehrermangel, Ungewissheiten in den ländlichen Räumen, Ängste vor Globalisierung, demografischer Wandel. Und wahrscheinlich auch eine wachsende Distanz zwischen Bürgern und Politik.
Vor einem Jahr hat der im Auftrag der Landesregierung erstellte „Sachsen-Monitor“ gezeigt, dass die Fremdenfeindlichkeit in Sachsen besonders ausgeprägt ist. Beispielsweise sagten 58 Prozent der Sachsen: „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.“ Bundesweit sind nur 18 Prozent dieser Auffassung. Wie erklären Sie sich solche Unterschiede?
Der „Sachsen-Monitor“ ist in puncto Fremdenfeindlichkeit deutlich, ansonsten ambivalent: Die Sachsen sind mit der wirtschaftlichen Entwicklung zufrieden. Aber es gibt keine Aufstiegsvisionen mehr: Fragen wie „Wird es mir bessergehen?“, „Wird es meinen Kindern bessergehen?“ werden nicht mit breiter Mehrheit bejaht. Auch die Mittelschicht sieht ihren Status als gefährdet an. Widersprüchlich ist auch: Einerseits wird die Demokratie hochgeschätzt, andererseits halten die Bürger kaum etwas von Parteien. Es gibt eine Skepsis gegenüber den Gerichten, die ich sehr irritierend finde. Das persönliche Engagement für Politik scheint gering zu sein. Viele sagen: Man soll mehr für die Demokratie tun, aber bitte nicht ich.
Daraus folgt?
Die Landeszentrale will eine politische Streitkultur pflegen, die zu einer Versachlichung der Debatte führt. Wir wollen Menschen ermutigen, sich ihrer Sache selbst anzunehmen. Vertrauen lässt sich vor allem auf der kommunalen Ebene wiederherstellen. Mit den Dialogen der Landeszentrale zur Flüchtlingsproblematik ist in den vergangenen Jahren Vorbildliches geschehen. Diese Dialoge auch als Reaktion auf Pegida waren aber nur eine Art Feuerwehr-Arbeit in festgefahrenen kommunalen Meinungs- und Willensbildungsprozessen. Politische Bildung ist aber grundsätzlich auf langfristige Prozesse ausgelegt.
Ist es richtig, das Gespräch mit „besorgten Bürgern“ zu suchen, die sich dann womöglich sogar in ihren rassistischen Positionen bestärkt fühlen?
Dialog kann Dinge in Bewegung bringen. Es ist unser gesetzlicher Auftrag, mit Bürgern zu sprechen. Was ist denn ein „besorgter Bürger“? Ist ein „besorgter Bürger“ gleich ein Rassist? Wenn wir es ernst nehmen, überparteilich zu sein und uns den Grundfragen der Demokratie ebenso widmen wie aktuellen Fragen, müssen wir natürlich miteinander reden. Aber: Wir reden mit denen, die reden wollen. Wenn Leute kommen, um zu krakeelen, sind sie am falschen Ort. Das hat mit unserem politischen Bildungsauftrag nichts mehr zu tun. Wir haben Erschütterungen in der politischen Kultur, darin liegt auch eine Chance: Die politische Bildung wird in dieser politischen Großwetterlage neu über ihre Arbeit nachdenken müssen. Ein bisschen ist das Laborarbeit, vielleicht sogar für ganz Deutschland. Das spannende in einem Labor ist, dass man nicht weiß, was rauskommt.
Braucht es auch eine andere Bildungspolitik?
Die zurückgetretene sächsische Kultusministerin Brunhild Kurth hat einen wichtigen Impuls gegeben: Sie hat gesagt, auch die Schule ist ein politischer Ort. Politische Bildung muss dort intensiviert werden. Wenn politische Bildung in Sachsen nur in der neunten und zehnten Klasse Pflichtfach ist, dann stellt sich natürlich die Frage: Ist das ausreichend? Ich hoffe sehr, dass bald die Gemeinschaftskunde auch in der siebenten und achten Klasse unterrichtet wird. Und zweitens: Wenn Schule nach dem politischen Umbruch 1989 aus guten Gründen entideologisiert, aber in der Praxis leider auch entpolitisiert worden ist, führt das dazu, dass Lehrer unsicher sind, wenn plötzlich politische Themen aufkommen und in der Schule diskutiert werden sollen.
Wie kann Schule politischer werden?
Ausgewogen, sachorientiert. Der Lernende muss die Chance bekommen, mündig mit politischen Themen umzugehen. Was kontrovers in der Gesellschaft ist, muss auch im Unterricht kontrovers behandelt werden. Schulleiter müssen gestärkt werden. In den Schulen müssen politische Diskussionen angstfrei geführt werden können. Solange in bestimmten Regionen Angstzustände herrschen, wird es schwierig. Da kann eine Landeszentrale für politische Bildung Hebammendienste leisten. Eine Gesellschaft muss nicht in allem übereinstimmen, aber sie muss Konflikte angstfrei austragen können.
Kurt Biedenkopf, der frühere Ministerpräsident, hat dieser Tage noch einmal bekräftigt: Die Sachsen seien immun gegen Rechtsradikalismus. Teilen Sie diese Einschätzung?
Überhaupt nicht. Ich bin über diese Aussage sehr verwundert. Viele Studien belegen, dass Rechtsextreme seit den 1990er Jahren in bestimmten Regionen wie der Sächsischen Schweiz, dem Erzgebirge, aber zum Beispiel auch in Vorpommern strategische Brückenköpfe aufgebaut haben. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern konnten diese Strukturen durch die Wahl der NPD in die Landtage sogar quasi staatlich finanziert werden. Natürlich gibt es das Phänomen Rechtsextremismus in Sachsen. Das heißt ausdrücklich nicht, dass ich allen Sachsen Rechtsextremismus unterstelle. Die Mehrheit der Bevölkerung steht nicht rechts. Aber zu behaupten, dass eine Bevölkerung immun gegen irgendwas ist – wer will das schon mit Sicherheit feststellen?
Aber sind im Umkehrschluss alle AfD-Wähler bloß Protestwähler?
Es sind viele Protestwähler. Ich bin gespannt, was der nächste „Sachsen-Monitor“, der voraussichtlich im November veröffentlicht wird, hier an weiteren Entwicklungen aufzeigt.
Stichwort „Sachsen-Monitor“ und AfD-Wahlerfolge: Beobachten Sie bei Menschen, die sich in Sachsen gegen Fremdenfeindlichkeit oder Rechtsextremismus engagieren, Ohnmachtsgefühle? Nach dem Motto: Es hat doch gar keinen Zweck, sich in Sachsen für Weltoffenheit zu engagieren.
Ich bin noch zu neu hier, um das abschließend beurteilen zu können. Mir geht eine andere Frage im Kopf herum: Warum wundern wir uns über den erstarkenden Rechtspopulismus? Wir haben ähnliche Entwicklungen in Österreich, in Frankreich, Slowakei, Ungarn, Polen. Unsere politische Kultur in Europa wird zunehmend erschüttert, Tabubrüche werden immer häufiger geduldet. Im Netz wird jenseits des Komment gehetzt und gepöbelt, selbst ein Präsident der USA vergreift sich seit Monaten im Ton. Und wir wundern uns, dass der „Bürger von nebenan“ sich immer enthemmter äußert?
Zugespitzt: Donald Trump legitimiert Pegida?
Er ist nicht Geburtshelfer von Pegida. Aber er ist Teil eines internationalen Phänomens, eines populistischen Trends. Er schafft mit einen Rahmen, in dem die Hemmschwellen absinken. Von Führungspersönlichkeiten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erwarte ich mehr – nämlich ein Vorbild zu sein.
Wie muss die Antwort der Politik aussehen?
Dass man eben nicht mitmacht. Wir müssen unsere Auseinandersetzungen in Deutschland auf einem akzeptablen Niveau führen. Das kann hart in der Sache sein. Aber der Ton macht eben auch die Musik.
Und wenn die AfD Tabubruch auf Tabubruch setzt?
Inhaltlich gegenhalten und mitunter auch gar nicht reagieren. Man muss den Populisten nicht jede Bühne geben.
Roland Löffler (46) ist seit September 2017 Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen. Er studierte Evangelische Theologie in Tübingen, Berlin, Cambridge und Marburg. Vor seinem Wechsel nach Dresden war er zuletzt Geschäftsführer der Stiftung Westfalen-Initiative in Münster. Das Gespräch führte Matthias Meisner.