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Schuldenkrise: Polternde Deutsche, malade Franzosen

Berlin wächst in der EU in eine Führungsrolle hinein – mit der Folge, dass die Angst vor deutscher Dominanz in Paris zunimmt. Abfällige Äußerungen einiger deutscher Politiker tun ihr Übriges.

Als ein französisches Meinungsforschungsinstitut vor einigen Wochen mit einer repräsentativen Umfrage herausfinden wollte, welchem europäischen Staatenlenker die Franzosen am ehesten die Überwindung der Krise Europas zutrauen, da nannte nur eine Minderheit den Namen von Präsident Nicolas Sarkozy. Den größten Zuspruch der Franzosen erhielt hingegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ob die gleiche Umfrage heute wieder zu diesem Ergebnis kommen würde, ist fraglich.

Denn inzwischen gilt die Bundeskanzlerin in Frankreich als diejenige, die auf der anderen Seite des Rheins nicht nur für die Verschärfung der Krise verantwortlich gemacht wird, sondern auch für eine neue Bedrohung – nämlich die Gefahr einer von Deutschland dominierten Europäischen Union. „Das Gespenst eines deutschen Europa steht wieder auf“, schreibt die angesehene Zeitung „Le Monde“.

Wurde Deutschlands Sparkurs in Frankreich bis vor kurzem noch als Beispiel einer erfolgreichen Budgetpolitik angesehen, so hat sich das Blatt jetzt gewendet: Inzwischen ruft die Unnachgiebigkeit, mit der Berlin die Haushaltsdisziplin in der Euro-Zone verteidigt und auf strenge Kontrollen für die nationalen Budgets pocht, in der politischen Klasse in Paris immer mehr Unwillen hervor.

Durch ihr „systematisches“ Nein zu rechtzeitigen Entscheidungen habe Merkel die Europäische Union an den „Rand des Abgrunds“ geführt, meint der Kolumnist Bernard Guetta in der linken Zeitung „Libération“. Auch das regierungsnahe Blatt „Figaro“ wirft der Bundeskanzlerin ein „Spiel mit dem Feuer“ vor. Und Jacques Attali, der frühere Berater des ehemaligen sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, verweist auf die beiden Weltkriege und warnt: „Heute ist es erneut Deutschland, das die Waffe zum kollektiven Selbstmord des Kontinents in der Hand hält.“

François Hollande, der Präsidentschaftskandidat der Sozialisten, der am kommenden Wochenende zum SPD-Parteitag nach Berlin reisen will, wirft Sarkozy vor, nur noch den Entscheidungen der deutschen Kanzlerin zu folgen. Der Abgeordnete Arnaud Montebourg vom linken Flügel der Sozialisten unterstellt Merkel wiederum eine „Politik à la Bismarck“.

Die Dominanz der deutschen Partner wird indes umso drückender empfunden, als die Malaise in Frankreich sich mit einem Gefühl der Ohnmacht mischt. Aus dem Euro auszutreten, hieße „Tod durch Autarkie“, sagt der frühere Europaabgeordnete Jean-Louis Bourlanges. Wenn sich hingegen Frankreich der deutschen Austeritätspolitik unterwerfe, so bedeute dies wiederum „Tod durch Ersticken“, warnt Bourlanges.

Aus der Sicht der Bundesregierung hängen die Irritationen im Ausland vor allem damit zusammen, dass sich deutsche Politiker bei ihren Äußerungen zur Euro-Rettung immer wieder im Ton vergreifen. So hatte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt jüngst beklagt, dass sich EU-Kommissionschef José Manuel Barroso mit seinen Plänen für Euro-Anleihen zum „Söldner der Dolce-Vita-Länder“ mache. Derartige Äußerungen seien provinziell und ließen völlig außer Acht, dass die Diskussion um den Euro längst nicht mehr eine rein innerdeutsche Debatte sei, heißt es im Auswärtigen Amt. Im Gegenteil: Gerade wegen der deutschen Führungsrolle würden Wortmeldungen hiesiger Politiker zur Schuldenkrise wie in einer riesigen Echokammer in ganz Europa sehr genau registriert, gibt man im Auswärtigen Amt zu bedenken.

Offenbar ist die Tatsache, dass polternde Auftritte im Ausland genau zur Kenntnis genommen werden, noch nicht überall im deutschen Politikbetrieb angekommen. Das gilt nicht nur für manche Liberale, sondern auch für Vertreter anderer Parteien – etwa Unions-Fraktionschef Volker Kauder, der sich beim CDU-Parteitag darüber freute, dass bei der Haushaltskonsolidierung „auf einmal in Europa deutsch gesprochen“ werde. Vor allem in Großbritannien löste diese Formulierung Empörung aus. Selbst Kanzlerin Merkel hatte zumindest bis zum Sommer gelegentlich dem Populismus-Reflex nachgegeben, als sie etwa mahnte, „dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen“ sollten in der Euro-Zone – ein Seitenhieb auf Griechen, Spanier und Portugiesen. Seit dem Sommer verzichtet Merkel aber auf derartige Spitzen. Ihr Credo lautet nun schon seit Monaten: „Mehr Europa“.

Kein Zweifel: Deutschland hat in der Euro-Krise das größte Gewicht. Aus der Sicht des Auswärtigen Amtes führt dies aber zu einem grundlegenden Wandel. In Deutschland, heißt es im Außenamt, sei die Neigung weit verbreitet, „es allen recht machen zu wollen“. Diese Haltung sei nun aber nicht erlaubt angesichts der europäischen Führungsrolle, in die Deutschland gerade hineinwachse. Gleichzeitig sei immer auch Vorsicht geboten, weil die Führungsrolle Berlins von den EU-Partnern wegen der deutschen Geschichte nicht in gleicher Weise akzeptiert würde wie die Vorrangstellung der USA, zumal das kollektive Gedächtnis in den anderen Nationen der Gemeinschaft „relativ nah an der Oberfläche“ liege. Es kann also niemand überrascht sein, wenn demnächst wieder einmal im Süden der Euro-Zone Demonstranten Protestplakate mit Hakenkreuz-Symbolen vor sich hertragen.

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