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Junge Polizisten leisten am 18.10.2017 in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) in der Fachhochschule der Polizei ihren Eid.
© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/ZB

Körperliche Eignung: Polizisten könnten künftig kleiner werden

Jetzt bezweifelt auch der Europäische Gerichtshof, dass Beamtinnen und Beamte eine Mindestgröße brauchen, um ihren Dienst zu tun. Zumindest in Berlin will man trotzdem daran festhalten - noch.

Als sich Maria-Eleni Kalliri zur Ausbildung bei der Polizei im griechischen Küstenort Vrachati bewarb, war sie noch hoffnungsvoll. Doch leider: Mit 1 Meter 68 lag sie zwei Zentimeter unter der festgelegten Mindestgröße. Jetzt bekommt die Frau eine neue Chance. Die starre Grenze ist rechtswidrig, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Donnerstag. Dass Männer und Frauen gleichermaßen das Mindestmaß von 1,70 Meter erfüllen müssten, stelle eine mittelbare Diskriminierung weiblicher Bewerberinnen dar. Sie seien im Schnitt kleiner und dadurch häufiger betroffen.

Das Urteil ist maßgeblich für alle Gerichte in der EU. Ein identisches Mindestmaß für beiderlei Geschlechter dürfte sich daher in allen Mitgliedstaaten erledigt haben, in denen es vorgesehen ist. In der Bundesrepublik ist die Polizei Ländersache, entsprechend geht man unterschiedliche Wege. Bayern etwa fordert 165 Zentimeter von beiden Geschlechtern, erlaubt aber Ausnahmen. Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Brandenburg verzichten ganz auf ein Mindestmaß, die Bundespolizei hat ihres ausgesetzt. In Berlin müssen Bewerberinnen weiterhin 1,60 Meter groß sein, Bewerber 1,65 Meter. Ähnlich ist es in vielen übrigen Bundesländern.

Es gibt "Überlegungen, ob man davon abweicht"

Das EuGH-Urteil dürfte für Deutschland überwiegend keine direkten Folgen haben. Allerdings wirft es ausdrücklich die Frage auf, ob Mindestgrößen der einzige Weg seien, um die körperliche Eignung für den Polizeidienst sicherzustellen. Bei der Auswahl seien auch andere Instrumente denkbar, etwa Leistungstests. Die Berliner Polizei ist trotzdem skeptisch. Ein Sprecher sagte dem Tagesspiegel, jeder Polizist müsse für alle Polizeiaufgaben einsetzbar sein. Dies werde mit der Untergrenze gewährleistet. Allerdings seien die Dinge im Fluss und es gebe zumindest „Überlegungen, ob man davon abweicht“. Fixe Regelungen könnten „nicht mehr zeitgemäß sein“.

„Nicht mehr zeitgemäß“ ist dabei die vornehme Umschreibung dafür, dass der bisherige Umgang mit Bewerbern auch rechtswidrig sein könnte. Ein aktuelles Beispiel dafür bildet ein Fall aus Nordrhein-Westfalen. Dort fehlten einem jungen Mann amtlich gemessene 1,8 Zentimeter für die erforderliche Körperhöhe von 1,68 Meter. Leider untauglich, bescheinigte der Regierungsmedizinaldirektor. Doch auch hier klagte der Abgelehnte, und zwar mit einem einleuchtenden Argument: Wenn Frauen bereits mit den in NRW erlaubten 163 Zentimetern voll dienstfähig sind, müsse es bei ihm, der er dieses Maß übererfüllt, erst recht der Fall sein.

Frauenförderung soll erlaubt sein

Das zuständige Oberverwaltungsgericht Münster ist dem nicht ganz gefolgt. Auch starre Grenzen könnten noch gerechtfertigt sein, urteilte es im September, ebenso möglicherweise diesbezügliche Unterschiede zwischen Mann und Frau. Doch letztere nur, wenn sie sich als Element der Frauenförderung erweisen, also das Ziel haben, mehr Bewerberinnen in den Polizeidienst zu locken. Das wiederum sei nicht per ministeriellem Erlass zu regeln, sondern nur durch den Gesetzgeber selbst. Weil es daran fehlte, bekam der Kläger doch noch Recht. Das Urteil könnte theoretisch noch vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochten werden, doch ist dort noch nichts davon bekannt.

Der Rechtsstreit gibt einen tiefen Einblick, wie die Länder-Polizeien offenbar um jeden Zentimeter kämpfen. In NRW hatten Untersuchungen im Jahr 2005 ergeben, dass Länge zählt – wobei die Gründe dafür mitunter etwas kurios anmuten. So sei es in Einzelfällen nicht möglich gewesen, den Fahrersitz der bei der Polizei beliebten Volkswagen-Transporter weit genug nach vorne zu schieben, damit Kurzgewachsene noch sicher an die Pedalen gelangen. Schutzwesten hätten zu Problemen geführt, da kleine Beamte nach dem Schießen im Liegen aufgrund des Gewichts schlecht wieder hätten aufstehen können. Eingriffstechniken wie die „Festnahmetechnik 360 Grad“ seien unwirksam, weil dabei der Kopf des Gegners zu hoch liegen könnte. Bei Zugriffen im Trupp müssten sich die Beamten zudem eng vor- und hintereinander bewegen können – Kurzbeinige könnten die Formation stolpern oder stürzen lassen, hieß es.

Gefahr für Leib und Leben?

Im Gerichtsverfahren wurden diese älteren Erkenntnisse aktualisiert. Ergebnis der dafür eingesetzten Arbeitsgruppe: 1 Meter 63, wie es in NRW für Frauen vorgeschrieben ist, sei unverzichtbar. „Eine Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben unterhalb einer Körpergröße von 160 Zentimetern ist sachgerecht nicht möglich.“ Und in den 2,9Zentimetern oberhalb dieses Wertes seien „bereits Einschränkungen festzustellen, die nicht hinnehmbare Risiken für die dauerhafte Aufgabenwahrnehmung einerseits, als auch Gefahren für Leib und Leben der Beamtinnen und Beamten andererseits bergen.“

Auch vonseiten der Berliner Polizei wird auf diese Studien verwiesen. Daher ist schwer vorstellbar, dass sich die Einstellungspraxis hier in naher Zukunft ändern könnte. Allerdings sind bundesweit verschiedene Klagen dazu anhängig. Während die Menschen im Schnitt größer werden, werden Polizisten dann möglicherweise kleiner.

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