Bundesweite Razzien wegen G20-Randale: Polizei plant umfangreiche Öffentlichkeitsfahndung
In acht Bundesländern suchen Polizisten Hinweise auf mögliche Krawallmacher vom G20-Gipfel in Hamburg. Man habe vor allem auch "die Vernetzungsstruktur der linken Szene durchblicken wollen".
Rund fünf Monate nach den Krawallen beim G20-Gipfel in Hamburg hat die Polizei bundesweit mehrere Objekte der linken Szene durchsucht. Die Razzien der Hamburger Sonderkommission „Schwarzer Block“ begannen am frühen Dienstagmorgen.
Durchsucht wurden 30 Wohnungen in acht Bundesländern: in Hamburg, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz. Zwei der Objekte waren als Zentren der linken Szene bekannt. In Berlin wurde eine Wohnung durchsucht. Die Ermittler betonten, die Razzien hätten sich nicht gegen die in den Häusern befindlichen Projekte gewandt, sondern nur gegen dort wohnhafte Personen.
Bei einer Pressekonferenz am Dienstag sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer, es habe insgesamt nach G20 etwa 3000 Ermittlungsverfahren gegeben, 300 davon gegen namentlich bekannte mutmaßliche Täter. Diese Zahl steige weiter an. Noch elf der bereits festgenommenen Straftäter befänden sich in Untersuchungshaft. Die Sonderkommission sei nach wie vor mit der Video- und Bildauswertung beschäftigt. Noch in diesem Monat soll es eine umfangreichere Öffentlichkeitsfahndung geben. Täter, die noch nicht identifiziert werden konnten, sollen mit Unterstützung der Medien und der Öffentlichkeit gefunden werden.
Die meisten Beschuldigten wohnen nicht in Hamburg
Zum Ergebnis der Razzien am Dienstagmorgen sagte Jan Hieber, Leiter der Sonderkommission, man sei näher an den Kern der Autonomen Szene herangekommen. Anschließend dröselte er den Verlauf der Krawalle in Hamburg auf. Man habe eine Gruppe von Personen beobachteten, die sich bereits vor der Demonstration mit Wurfgeschossen ausgestattet und vermummt habe. Durch Zeugenaussagen von Polizeibeamten sei ermittelt worden, dass es aus dieser Gruppe heraus zu massiven Angriffen durch Stein- und Flaschenwürfe auf Polizisten gekommen sei. 59 Personen aus der Gruppe seien bereits verhaftet worden. Weitere Personen, die sich zunächst auch im Krankenhaus befunden hatten, wurden nun ausfindig gemacht oder sollen noch aufgespürt werden.
Nur fünf der insgesamt 75 namentlich bekannten Personen hätten einen Wohnsitz in Hamburg. Der Rest sei im übrigen Deutschland sowie im Ausland zu verorten. Ob und inwiefern sich diese Personen strafbar gemacht haben, müssten die Gerichte entscheiden, so die Ermittler am Dienstag. Man ginge jedoch davon aus, dass niemand zufällig oder unabsichtlich am Schwarzen Block teilgenommen habe. "Wir als Polizei haben da eine nüchterne Sicht auf die Dinge. Wir wollen herausfinden, ob Straftaten begangen wurden. Diesen Leuten unterstellen wir, dass sie die Gewaltbereitschaft eines schwarzen Blocks kennen", so Hieber. Und weiter: "Es handelt sich um einen gewalttätig und gemeinsam handelnden Mob, lassen Sie mich das so deutlich sagen. Und wer dies gutheißt oder teilnimmt, macht sich nach unserer Ansicht strafbar."
"Keine Zweifelsfrage"
Und so sei es bei den Durchsuchungen am Dienstag nicht mehr um Beweise gegangen. Man wisse, dass die Beteiligten am Tatort gewesen seien. Vielmehr haben man Vernetzungsstruktur der linken Szene durchblicken wollen sowie die Frage, wie die Taten geplant und abgesprochen worden seien. So seien bei den Razzien 26 PCs, Laptops etc. und 36 Mobiltelefone sichergestellt worden. Allerdings sollen die Verdächtigen teilweise gewarnt gewesen sein. Bereits am Montagabend soll in der linken Szene bekannt geworden sein, dass Razzien anstünden. Ermittler Hieber meinte zwar, dass man nicht das Gefühl gehabt habe, erwartet worden zu sein. Lediglich bei einem Objekt hätten die Beamten das Gefühlt gehabt, man sei auf sie vorbereitet gewesen.
Es sei keine Zweifelsfrage, ob es sich um eine Demonstration oder um Landfriedenbruch gehandelt habe, so Hieber. Dies sei durch das Gesetz festgeschrieben. Zweifelsfragen seien nicht mehr zu klären, die Polizei müsse nun genau dieser Strafverfolgung nachgehen.
Nicht betroffen von den Razzien war das bundesweit bekannte linksautonome Kulturzentrum Rote Flora, das vor allem seit den schweren Krawallen am 7. Juli im Schanzenviertel in die Kritik geraten war. Stattdessen konzentrierte sich die Polizei laut NDR auch auf die linksextreme Gruppierung „Roter Aufbau“. Sie hatte während des G20-Gipfels mit Gewalt gedroht. „Mit uns gibt es Molotowcocktails statt Sektempfang“, hatte der „Rote Aufbau“ bei einer Kundgebung und in sozialen Netzwerken verkündet. Die Durchsuchungen erfolgten den Angaben zufolge im Zusammenhang mit Ermittlungen zu Ausschreitungen während eines Polizei-Einsatzes im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld am Rande des G20-Gipfels.
Bundespolizisten gingen damals gegen etwa 200 Demonstranten vor, weil sie mit Steinen und Flaschen beworfen worden seien. Medien hatten nach Auswertung eines Einsatzvideos dagegen berichtet, die Beamten seien lediglich mit drei Bengalos beworfen worden. Die Sonderkommission geht nach NDR-Informationen davon aus, dass Hamburger Linksextremisten eine Rolle bei der Anbahnung der schweren Krawalle vom 6 bis 8. Juli spielten. Es habe eine monatelange Vorbereitung gegeben. „Wir sprechen hier nicht von einer feststrukturierten und auf Dauer vielleicht in jedem Fall angelegten Struktur, das wäre aus meiner Sicht übertrieben. Aber es ist ein Netzwerk, was auf Zeit geknüpft wird“, sagte Hieber dem Sender.
Dazu zähle nach NDR-Informationen, dass für den am frühen Morgen des 7. Juli durch die Elbchaussee marodierend gezogene schwarze Block wohl auf geheime Depots mit Vermummungsmaterial, schwarzer Kleidung und Pyrotechnik zurückgreifen konnte. Bei dem Zug durch die vornehme Straße an der Elbe brannten zahlreiche Autos. Soko-Leiter Hieber sagte dem NDR, dass den Erkenntnissen der Polizei zufolge militante Proteste von erfahrenen Leute angeführt würden, die sich mit der Situation vor Ort auseinandersetzten. Das bedeute auch, „dass die Hamburger Szene speziell Verantwortung getragen hat für Logistik in allen Bereichen, das schließt durchaus auch die militanten ein“.