Khashoggi und Co.: Politischer Mord mit Gift oder Eispickel
Jamal Khashoggi ist nur das jüngste Opfer. Es gibt eine lange Geschichte der Verfolgung von Gegnern im Ausland. Ein unvollständiger Rückblick.
Sicher ist: Jamal Khashoggi lebt nicht mehr. Der saudi-arabische Journalist starb, nachdem er vor drei Wochen das Konsulat seines einstigen Heimatlandes in Istanbul betreten hatte – gegen die Warnung von Unterstützern. Wie er ums Leben kam, ist so lange ungesichert, wie seine Leiche verschwunden bleibt. Doch die Indizien sprechen für einen grausamen Mord, begangen von Mitgliedern des saudi-arabischen Geheimdienstes, die eigens für die Tat nach Istanbul reisten.
Ebenso sicher: Khashoggi war der saudi-arabischen Regierung unbequem. Zuletzt kritisierte er den Krieg im Jemen und die Alleinherrschaft des wahhabitischen Herrscherhauses – hier besonders die Rolle des mächtigen Kronprinzen Mohammed Bin Salman.
Vollkommen offen ist, welche Konsequenzen der Tod Khashoggis haben wird. Der Westen reagierte zunächst zögerlich, als es darum ging, Aufklärung einzufordern. Groß sind die wirtschaftlichen Interessen, die sich mit dem Ölstaat verbinden, instabil ist das Machtgefüge, in dessen Mittelpunkt die arabische Monarchie eine führende Rolle einnimmt. Immerhin geht die Bereitschaft der meisten Akteure, sich der offiziellen saudischen Position anzuschließen, inzwischen gegen null.
Mit rückhaltloser Aufklärung oder gar Sühne darf allerdings kaum gerechnet werden. Mit mancher Überraschung dagegen schon, wie die lange Geschichte des politischen Mordes lehrt – angefangen bei Cäsar, dessen Attentäter vorgaben, die antike römische Republik retten zu wollen und stattdessen ihr Ende besiegelten. Hier einige weitere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit.
Viktor Skripal
Acht Tage kämpfte Dawn Sturgess um ihr Leben, doch am 8. Juli 2018 wurden die Geräte abgeschaltet. Die 44-Jährige hatte höchstwahrscheinlich das Pech, einziges Todesopfer eines Attentats zu werden, das nicht ihr gegolten hatte.
Gut vier Monate zuvor hatten sich die Ärzte im britischen Salisbury mit den gleichen Symptomen konfrontiert gesehen. Ihre Patienten waren mit dem Nervengift Nowitschok in Berührung gekommen: Viktor Skripal, ehemals Oberst des sowjetischen Geheimdienstes KGB, und seine Tochter Julija. Beide überlebten nur knapp. Skripal hatte als Doppelagent auch für den Westen gearbeitet. Er wurde enttarnt und ausgetauscht, lebte seitdem in Großbritannien.
Die Täter schienen schnell gefunden. Russlands Präsidenten Wladimir Putin wird nachgesagt, er selbst habe Skripals vorzeitigen Tod prophezeit, das Nervengift stammte zudem aus alten sowjetischen Beständen. Die Reaktionen kamen rasch, Großbritannien und kurz darauf auch seine westlichen Alliierten wiesen russische Diplomaten aus, verkündeten Sanktionen.
Inzwischen sollen auch die mutmaßlichen Attentäter enttarnt sein, als russische Agenten. Identifiziert wurden sie nicht vom britischen Geheimdienst, dem es immer noch an Beweisen für die Tat mangelt, sondern vom Recherchenetzwerk Bellingcat. Russland bestreitet nach wie vor die Verwicklung seines Geheimdienstes ebenso wie die Identität der Beschuldigten, beharrt auf seiner Version, diese seien harmlose Touristen anderen Namens. Andreas Austilat
Mahmud al Mabhuh
Am 20. Januar 2010 wird Mahmud al Mabhuh tot in Zimmer 230 des Dubaier Hotels Al Bustan Rotana aufgefunden. Der Palästinenser gilt als Chef-Waffenhändler der radikalislamischen Hamas und steht wegen der Entführung und Ermordung zweier Soldaten seit 20 Jahren auf der Fahndungsliste der israelischen Behörden. Schnell wird über den Einsatz eines Killerkommandos des israelischen Geheimdienstes Mossad spekuliert. Rund vier Wochen später identifiziert die Dubaier Polizei zehn Männer und eine Frau, die mit gefälschten, meist europäischen Pässen einreisten und Mabhuh erst paralysiert und dann erstickt haben sollen. Die Operation ist auf Überwachungsvideos fast lückenlos dokumentiert.
Großbritannien und Australien erklären im März beziehungsweise Mai, dass zweifelsfrei Israel die Verantwortung für die Ermordung und Passfälschung trüge. Diplomaten werden ausgewiesen. Die Zeitung „Haaretz“ fordert wegen der politischen Verwerfungen den Rücktritt von Mossad-Chef Meir Dagan. Israels offizielle Erklärung: „Wir bestätigen oder dementieren nichts.“ Moritz Honert
Kim Jong Nam
Am 13. Februar des vergangenen Jahres auf dem Flughafen von Kuala Lumpur. Ein 45-Jähriger steuert benommen auf einen Informationsschalter zu. Es geht ihm nicht gut, zwei Frauen haben ihm eine Flüssigkeit ins Gesicht gespritzt. Man bringt ihn ins Krankenhaus, wo er kurze Zeit später stirbt.
Der Tod von Kim Jong Nam führt zu einer schweren diplomatischen Krise zwischen Nordkorea und Malaysia. Denn sehr wahrscheinlich steckt Pjöngjang dahinter. Jong Nam, Halbbruder von Machthaber Kim Jong Un, verließ Nordkorea 2003 in Richtung Macau. Gegenüber einem japanischen Journalisten äußerte er sich kritisch über Heimatland und Familie. Dass Diktator Kim keine Verwandten kennt, wenn es um die Konsolidierung seiner Macht geht, zeigte sich schon 2013. Damals ließ er seinen Onkel umbringen. In Malaysia stehen nun die Täterinnen vor Gericht, eine stammt aus Vietnam, die andere aus Indonesien. Sie behaupten, nicht gewusst zu haben, dass sie ihr Opfer mit dem Nervengift VX angriffen. Sie seien von einem harmlosen Streich mit versteckter Kamera ausgegangen. Björn Rosen
Georgi Markow
Es geschah in London, an einem schmuddeligen Septembertag 1978, auf der Waterloo Bridge. Georgi Markow wartete auf den Bus, als ihm ein vorbeieilender Passant einen Regenschirm gegen den Oberschenkel rammte. Markow spürte einen Stich, der Passant entschuldigte sich, dann ging er weiter. Vier Tage später war Markow tot.
Das Regenschirmattentat ist bis heute eines der mysteriösesten Verbrechen der Nachkriegsgeschichte. Kein Täter wurde je verhaftet, ein Zeuge brachte sich um, bevor er aussagen konnte. Das tat schließlich ein KGB-General, Oleg Kalugin, im bulgarischen Radio. Seine Version gilt als glaubwürdig.
Georgi Markow war ein bulgarischer Dissident, der Staatschef Todor Schiwkow wiederholt verhöhnte. Mehrere Attentate auf Markow schlugen fehl, bis der bulgarische Geheimdienst beim KGB um „brüderliche Hilfe“ anfragte. Der schickte das Pflanzengift Rizin und einen Plan.
Die Bulgaren sollten das Gift in einer Kapsel verstecken, diese dann in der Regenschirmspitze, mit einem Auslöser am Griff sollten sie die Kapsel abschießen. Der Attentäter fand Markows Bein und drückte ab. Aufgeklärt wurde die Todesursache nur, weil sich die Kapsel nicht vollständig auflöste.
Ein bulgarischer Journalist ermittelte 2006 den Namen des mutmaßlichen Täters: Francesco Gullino, Deckname „Piccadilly“. Er lebt in Österreich und verkauft Antiquitäten. Marius Buhl
Leo Trotzki
Der Zeitpunkt des Mordes allein war skurril. Als Leo Trotzki im August 1940 der Schädel eingeschlagen wurde, war der Machtkampf gegen Stalin längst verloren. Trotzki lebte politisch bereits irrelevant im mexikanischen Exil. Stalin wollte seinen Widersacher trotzdem tot sehen und schickte im Mai 1940 ein Killerkommando in die Avenida Río Churubusco 410 in Coyoacán. Die Attentäter stellten sich jedoch so dilettantisch an, dass einige hinterher glaubten, Trotzki selbst habe den Mordversuch inszeniert. Als Konsequenz ließ der sein Haus zur Festung aufrüsten. Das half nur alles nichts, denn am 21. August desselben Jahres öffnete Trotzki seinem Mörder Ramón Mercader selbst die Tür.
Mercader war vom sowjetischen Geheimdienst NKWD ausgebildet worden und hatte sich unter dem Decknamen Frank Jacson in Trotzkis engstes Umfeld eingeschleust: Als Verlobter seiner Sekretärin. So kam er ungestört an den Wachleuten vorbei in Trotzkis Arbeitszimmer, wo er mit einem Eispickel auf den Russen einhämmerte. Der Geprügelte biss seinem Peiniger noch in die Hand und wies seine Leibwächter an, Mercader nicht zu töten, damit der im Verhör reden könne. Trotzki starb einen Tag später, Mercader kam für 20 Jahre ins mexikanische Gefängnis und wurde mit dem Titel „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet. Trotzkis Schriften blieben in Russland bis 1989 verboten. Christian Vooren
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