Griechenland und der Zweite Weltkrieg: Politiker von Grünen und SPD offen für Entschädigungen
Die Bundesregierung hat sich festgelegt: Forderungen Griechenlands nach Reparationen für die Gräuel der Deutschen im Zweiten Weltkrieg seien vom Tisch. Doch die Griechen finden immer mehr Fürsprecher - auch in Deutschland.
Entgegen der Haltung der Bundesregierung in der Reparationsfrage mehren sich die Stimmen, die eine Entschädigung Griechenlands für die Folgen der Nazi-Besatzung fordern. „Politisch ist der Fall aus meiner Sicht eindeutig: Wir sollten auf die Opfer und deren Angehörige finanziell zugehen“, sagte die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, „Spiegel Online“. „Es geht darum anzuerkennen, dass wir in Griechenland schlimmes Unrecht begangen haben“, sagte die zweimalige Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten.
SPD-Vize Ralf Stegner sagte „Spiegel Online“: „Wir sollten die Frage der Entschädigungen nicht mit der aktuellen Debatte über die Euro-Krise verknüpfen. Aber unabhängig davon bin ich der Meinung, dass wir die Entschädigungsdiskussion führen müssen.“ Das gehöre zum Umgang „mit unserer eigenen Geschichte“. Auch der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter meinte, Deutschland könne die Forderungen Griechenlands nicht einfach vom Tisch wischen. „Weder moralisch noch juristisch ist dieses Kapitel eindeutig abgeschlossen“, sagte er. Die Bundesregierung wäre „gut beraten, mit Griechenland Gespräche über die Aufarbeitung der deutschen Verbrechen in Griechenland und eine gütliche Lösung zu suchen“.
Die Bundesregierung sieht dagegen die Reparationsforderungen Griechenlands als erledigt an. Doch in Hellas gewinnen die Befürworter solcher Ansprüche immer mehr Anhänger. Am Montag hatte der neue griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos den Streit erneut angeheizt, als er in Athen sagte, er wolle alle rechtlichen Mittel zur Begleichung noch offener deutscher Kriegslasten ausschöpfen. Bereits lange vor dem Sieg der linken Syriza-Partei von Alexis Tsipras hatte Athen immer wieder versucht, den Spardruck der deutschen Kreditgeber mit unbezahlten historischen Rechnungen zu kontern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte dazu zum Beispiel im Juli 2013: „Wir schließen uns dieser Rechtsauffassung nicht an.“ Die Bundesregierung sieht die Angelegenheit als rechtlich abschließend geregelt an.
Um die Debatte besser zu verstehen, lohnt ein Blick in die Geschichte. Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes schlummert ein Dokument, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch viel Ärger bereiten kann. Der Bericht „Wirtschaftsverwaltung in Griechenland unter deutscher Besatzung“ mit der Signatur R 27320 hat bereits zu einem kleinen Historikerstreit geführt. Während die einen von „griechischen Schuldenlegenden“ sprechen, sehen andere die deutsche Schuld als nicht beglichen an. In dem Dokument geht es um eine Anleihe, die die Nationalsozialisten dem besetzten Griechenland 1942 auferlegt haben, zur „Begleichung“ von Besatzungskosten.
Die Befürchtung ist, dass auch andere Staaten Forderungen erheben
Die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin sieht dieses Thema als erledigt an. Denn sonst könnte eine ganz andere Debatte losbrechen, die um Reparationen. Dann könnten auch andere Staaten neue Forderungen erheben. „Da Kredite zurückgezahlt werden müssen und das Londoner Schuldenabkommen von 1953 diese Kategorie von Ansprüchen nicht eingeschränkt hat, kann es im Prinzip auch heute noch einen Rückzahlungsanspruch geben“, betont der Münchner Historiker Hans Günter Hockerts, der sich intensiv mit dem Thema Wiedergutmachung nach 1945 beschäftigt hat. Für den Forscher ist die Rückzahlung der Anleihe die aussichtsreichste Forderung Griechenlands. Es geht um 476 Millionen Reichsmark - aber schon dieser Betrag ist umstritten. Der Historiker Götz Aly verweist auf im Gegenzug erfolgte deutsche Lebensmitteleinfuhren und Gold zur Stützung der Drachme; deutsche Passiva und Aktiva seien nicht korrekt verbucht worden. Für Athen - aber auch für Linken-Fraktionschef Gregor Gysi - wären das mit Zinsen heute Ansprüche von rund elf Milliarden Euro, Hockerts geht eher von fünf Milliarden aus. Er schlägt zur Befriedung einen deutsch-griechischen Fonds vor - ohne Forderungen aus dem Krieg offiziell anzuerkennen, könnte Deutschland sich erkenntlich zeigen. „So käme man vielleicht aus dem schrecklich verkrampften Verhältnis heraus, in dem man nur Rechnung und Gegenrechnung kennt.“
Die Debatte wirft ein Schlaglicht auf die grundlegende Frage, ob Deutschland seine finanzielle Schuld wirklich abgegolten hat. Das Thema „Zwangsanleihe“ ist ein Sonderfall - auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zweifelt an, ob der Fall wirklich finanziell als erledigt betrachtet werden kann. Dahinter steht aber die viel größere Frage - die Athen auch aufwirft -, ob das Thema Reparationen abschließend geklärt ist. Rein formal hat Deutschland 2010 letzte Kriegsschulden getilgt - und damit für sich dieses Kapitel finanziell abgeschlossen. Die Bundesregierung beruft sich darauf, dass alles erledigt sei, vor allem durch den 2+4-Vertrag zur deutschen Einheit. Zudem wurde mit Athen am 18. März 1960 ein Entschädigungsabkommen geschlossen: Es flossen damals aber nur 115 Millionen D-Mark. Ist Merkels Auffassung korrekt? Der Bremer Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano findet die Argumentation „rechtlich untragbar“ und das Abblocken „beschämend“. „Da wird mit unerbittlicher Härte eine Schlussstrich-Politik verfolgt, weil ein Präzedenzfall befürchtet wird.“ Er sieht gerade in Sachen Anleihe beim Gang vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag Erfolgschancen. Sein Göttinger Kollege Frank Schorkopf meint dagegen im „Spiegel“, alle Schuld sei abgegolten, Deutschland habe im Zuge der europäischen Integration zweistellige Milliardenbeträge an Athen gezahlt. „Diese Summe erreicht ohne weiteres die Höhe möglicher Reparationszahlungen.“ Für Fischer-Lescano ist das aber kein juristisches Argument, sondern „ein Stammtischargument“.
1953 wurde für Reparationen ein Moratorium vereinbart
Die Frage von historischer Schuld und Wiedergutmachung ist eine komplexe - die SS verübte schlimme Massaker in Griechenland, etwa im Dorf Distomo 1944. 1946 hatte Griechenland nach Angaben des Historikers Hockerts knapp 14 Milliarden Dollar an Reparationen gefordert. Aber nach dem „Diktatfrieden“ von Versailles 1919 und für Deutschland kaum zu stemmenden Reparationsverpflichtungen, die den Aufstieg Adolf Hitlers begünstigten, wollten die Westmächte diesen Fehler nun nicht noch einmal wiederholen. West-Deutschland wurde im aufziehenden Ost-West-Konflikt zudem als Partner gebraucht - im Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurde daher ein Moratorium vereinbart, bis zu einer deutschen Friedenslösung. Artikel 5, Absatz 2 legte fest, eine Prüfung der durch den Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen werde bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt. Die Bundesrepublik brachte stattdessen individuelle Regelungen auf den Weg, als erstes bekam Israel drei Milliarden D-Mark. Mit den westeuropäischen Ländern, darunter wie erwähnt 1960 auch Griechenland, schloss man sogenannte Globalabkommen. Damit wurden unter anderem Opfergruppen wie Juden finanziell entschädigt. Für Athen war damit die Frage von Reparationen keineswegs erledigt.
Im 2+4-Vertrag wurde das Thema Reparationen für abgeschlossen erklärt
Im 2+4-Vertrag (BRD, DDR - Sowjetunion, USA, Großbritannien, Frankreich) wurde 1990 „die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ vereinbart. Statt einer Prüfung der Ansprüche wurde auch das Thema Reparationen dabei für abgeschlossen erklärt. Im November 1990 nahmen Dutzende Staaten, auch Griechenland, in der KSZE-Charta von Paris den 2+4-Vertrag und damit die Reparationsregelung begrüßend „zur Kenntnis“ - aber die Charta war kein völkerrechtlicher Vertrag, Griechenlands Forderung blieb virulent. Doch das Dilemma Athens: Es fehlten damals und es fehlen heute Mitstreiter für ein Aufrollen der Reparationsfrage. Denn Kanzler Helmut Kohl (CDU) schloss nach der Einheit auch mit osteuropäischen Staaten Globalabkommen ab, es war die Zeit der großen Scheckbuch-Diplomatie. Das müsse am Ende für Griechenland ja nicht eine milliardenschwere Vollentschädigung sein, „aber eine Geste beispielsweise durch Einrichtung eines Fonds ist wichtig“, meint der Rechtsprofessor Fischer-Lescano. „Die Ungleichheit in der Entschädigungsfrage ist frappierend“, sagt er.
Schon 1995 forderte Griechenland eine Lösung
Das ZDF-Magazin „frontal 21“ wies zuletzt noch einmal auf ein sehr wichtiges Dokument hin, das zeigt: Athen hat das Thema Reparationen nicht erst jetzt in der Euro-Krise entdeckt, wo man sich von Merkel gegängelt fühlt. In einer Verbalnote der Botschaft von 1995 an das Auswärtige Amt heißt es unter Punkt II: „Griechenland hat nicht auf seine Ansprüche auf Entschädigungen und Reparationen für während des Zweiten Weltkriegs erlittene Schäden verzichtet.“ Die Zeit sei reif für die Ausarbeitung einer für beide Seiten akzeptablen Lösung. Die Ansprüche gegen die andere Besatzungsmacht Italien seien bereits 1947 durch einen Friedensvertrag geregelt worden. „Die Ansprüche gegen Deutschland sind jedoch offen geblieben“. Das sind sie für Athen bis heute. (dpa/AFP)