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Gas aus Katar. Im neuen Flüssiggashafen im Ostseebad Swinemünde soll verflüssigtes Erdgas (LNG) aus Katar angeliefert werden. Er soll Mitte des Jahres fertig werden.
© IMAGO

Ukraine-Krise: Polen will die EU unabhängiger machen

Premierminister Donald Tusk schlägt ein Einkaufskartell für Gas und die Förderung heimischer Alternativen vor. Aus seiner Sicht sind das Kohle und Schiefergas.

Die EU-Staaten sollen ihre russischen Energieimporte drosseln – so lautet der Wunsch von Donald Tusk. In einem Gastbeitrag für die „Financial Times“ hat Polens Ministerpräsident sein persönliches Fazit aus der Ukraine-Krise in eine einfache Botschaft gepackt: „Übermäßige Abhängigkeit von russischer Energie schwächt Europa.“ Bei seinem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am kommenden Freitag in Berlin wird Tusk darlegen können, wie er sich ein entschiedeneres Vorgehen der EU-Staaten gegenüber Russland vorstellt. Als Schlüssel dient ihm dabei der Aufbau einer Europäischen Energieunion, für die er sich ins Zeug legt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Tusk die Abhängigkeit der Europäer von russischen Energielieferungen anprangert. Vor einem Besuch Merkels in Polen kritisierte er im vergangenen Monat, dass insbesondere Deutschland auf russische Gaslieferungen angewiesen sei und damit der politische Handlungsspielraum der gesamten Europäischen Union beschränkt werde. Polen gehört neben Großbritannien, Schweden und den baltischen Staaten zu den EU-Ländern, die harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland fordern. Allerdings könnten solche Sanktionen auch zu Gegenmaßnahmen des russischen Präsidenten Wladimir Putin führen. Putin hatte der Ukraine bereits mit einem Stopp der Gaslieferungen gedroht, falls Kiew seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt.

Angst vor dem Lieferstopp

Ein solcher Lieferstopp hätte Auswirkungen für die Europäer. In den südosteuropäischen Staaten ist der russisch-ukrainische Gasstreit zur Jahreswende 2008/2009 noch in schlechter Erinnerung – damals kam es in Bulgarien und der Slowakei zu massiven Energieengpässen. Als Reaktion auf diese Krise ist die Yamal-Pipeline so umgerüstet worden, dass das Gas über diese Röhre auch "rückwärts" nach Polen oder die Ukraine fließen kann. Dieser Mechanismus ist in der aktuellen Krise auch bereits zum Einsatz gekommen.

Auch wenn angesichts der frühlingshaften Temperaturen derzeit solche Engpässe nicht drohen, so wollen sich vor allem die Osteuropäer dennoch langfristig vom russischen Gaslieferanten Gazprom lösen. Gegenwärtig deckten mindestens zehn EU-Staaten mehr als die Hälfte ihres Bedarfs durch Gazprom ab, kritisiert Tusk. Sein Gegenvorschlag: Verstärkte Versorgungssicherheit durch heimischen Kohleabbau, Förderung von Schiefergas und Flüssiggas-Importe (LNG) unter Umgehung Russlands. Gleichzeitig sollten die 28 EU-Staaten ihr Gas künftig gemeinsam in Russland einkaufen, schlug Tusk vor. Tusk verweist in seinem Beitrag darauf, dass auch heute schon der Kauf von Uran für die Atomkraftwerke in der Gemeinschaft zentral über die europäische Behörde Euratom abgewickelt wird. Und selbst das ordnungspolitisch orientierte Centrum für europäische Politik in Freiburg meldet keine grundsätzlichen Bedenken gegen ein solches Kartell an. „Auf der anderen Seite steht ja auch ein Monopolist“, sagte dessen Energieexperte Moritz Bonn  , „das Endergebnis könnte auch aus marktwirtschaftlicher Sicht ein besseres sein.“ Allerdings sei es zu „bevorzugen, das bereits Beschlossene umzusetzen, nämlich den Ausbau der Energieinfrastruktur“.

Ob all das  kurzfristig möglich sein wird, bezweifelt auch der Autor. Tusk selbst spricht von verschiedenen Phasen der Umsetzung. Als erstes sollten neue Energieverträge mit Russland gemeinsam verhandelt werden. Aus bestehenden bilaterale Arrangements müssten dann schrittweise geheime Nebenabsprachen veröffentlicht oder den europäischen Markt verzerrenden Klauseln entfernt werden. Wie schwer allein das werden könnte, weiß der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange aus einem erst 2012 abgeschlossenen  Gesetzgebungsverfahren: „Da war der Widerstand der Mitgliedstaaten  groß. Keiner wollte sich in die Verträge schauen lassen“, so Lange: „Und eine Koordinierung war auch  nicht durchsetzbar.“ In der Bundesregierung sieht man die Vorhaben zur Verringerung der Abhängigkeit denn auch eher als langfristiges Projekt, das allerdings „in den nächsten Monaten aufs Gleis gesetzt wird“, wie ein EU-Diplomat das ausdrückte.

In Brüssel stößt Tusk mit seinem Vorschlag auf offene Ohren. Im März hatten die Staats- und Regierungschefs der EU die Kommission damit beauftragt, einen Plan vorzulegen, wie die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen verringert werden kann. Auf dem EU-Gipfel im Juni sollen die Kommissionsvorschläge diskutiert werden.

Das Thema Energiesparen spielt bei Tusk keine Rolle

Was Tusk in seinem Vorschlag nicht erwähnt, sind die großen Potenziale von effizienterer Energienutzung und weniger Verbrauch. „Was in der Klimaschutzdebatte richtig ist, gilt auch hier“, sagt die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms: „Weniger zu verbrauchen, ist mehr.“ Die Grünen im Bundestag nahmen Tusks Vorschlag sehr zurückhaltend auf. Da gehe es ja vor allem um Kohle, monierte ein Sprecher. Wenn es allerdings um die Fertigstellung des Flüssiggas-Hafens in Swinemünde geht, könnten sich auch die Grünen mehr Kooperation mit Polen vorstellen. Das haben sich Polen und Deutschland schon seit Jahren vorgenommen, zuletzt beim Treffen des „Grünen Weimarer Dreiecks“ im Februar, als die Umweltminister Polens, Deutschlands und Frankreichs über die künftige EU-Klimapolitik diskutierten. Dort wurde eine engere deutsch-polnische Zusammenarbeit für mehr Energieeffizienz vereinbart. Mehr als eine Modernisierung der Fernwärmeversorgung in der polnischen Nachbarstadt von Görlitz, Zgorezelec, und die Zusage von 2,7 Millionen Euro für ein Strohheizkraftwerk in Daszyna kam dabei aber nicht heraus.

Irene Hahn-Fuhr, Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau, hat beobachtet, dass „ambivalente Signale aus Deutschland polnische Partner stark verunsichern“. Solange die Energiewende als unklar wahrgenommen werde, erscheine Polen dieser Weg als zu riskant – und zu teuer. Das deckt sich mit der jüngsten Analyse der deutsch-polnischen Beziehungen der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Polens Abhängigkeit von der Kohle

Polens Stromerzeugung beruht zu 90 Prozent auf der Verbrennung von Stein- und Braunkohle. Allerdings sind 40 Prozent der polnischen Kohlekraftwerke älter als 40 Jahre, heißt es in einer aktuellen Studie der Heinrich-Böll-Stiftung, in der die drei Kohleländer Deutschland, Polen und Tschechien verglichen werden. Obwohl in Polen mehr Steinkohle abgebaut wird als sonst irgendwo in der EU ist Polen seit 2012 Steinkohleimporteur. Seit vor drei Jahren die hohen Kohlesubventionen gesenkt worden sind, ist die Produktion deutlich zurückgegangen. Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) dürften die wirtschaftlichen Kohlevorräte Polens ohnehin 2030 weitgehend verbraucht sein. Und auch in Sachen Schiefergasproduktion spricht aus Tusks Vorschlag viel Wunschdenken. Denn die bisherigen Bohrungen waren eher ernüchternd. Bis tatsächlich unkonventionelles Erdgas erzeugt werden könnte, kann es noch Jahre dauern.

Polens politische Elite hält wenig von erneuerbaren Energien

Erneuerbare Energien, immerhin auch heimische Energiequellen, spielen in Tusks Vorschlag ebenfalls keine Rolle. Polen hat sich selbst in seiner Energiestrategie 2030 zum Ziel gesetzt, den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch bis 2020 auf 15 Prozent und bis 2030 auf 16 Prozent zu erhöhen. Die EU hatte Polen allerdings das Ziel 15,5 Prozent bis 2020 gesetzt und wegen der mangelnden Umsetzung dieser Vorgabe im vergangenen Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren in Gang gesetzt. Bisher liegt der Anteil der Biomasse an den polnischen Erneuerbaren Energien bei mehr als 90 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass seit 2005 ein Quotensystem für erneuerbare Energien mit handelbaren Zertifikaten in Kraft ist. Dieses System hat vor allem die Verfeuerung von Biomasse in Kohlekraftwerken attraktiv gemacht. Diese Biomasse wird allerdings überwiegend importiert. Bisher verfügt Polen über eine Windleistung von gerade mal 2500 Megawatt. Zum Vergleich im angrenzenden Bundesland Brandenburg ist eine Kapazität von 4800 Megawatt Windleistung installiert.

In polnischen Thinktanks wird allerdings schon länger darüber diskutiert, wie Polen seine Effizienzpotenziale und seine Möglichkeiten, erneuerbare Energien auszubauen, besser nutzen kann. Dabei herausgekommen ist zum Beispiel eine Studie des Instituts für Wirtschaftsstudien, das einen Umbau der polnischen Energieversorgung auf klimafreundliche Energieträger bis 2050 untersucht hat und zu dem Schluss kommt, dass Polen mit einer solchen Strategie nicht nur seine Energieversorgung sondern auch seine Wirtschaft modernisieren könnte. Die Studie der Böll-Stiftung wird erst im Mai veröffentlicht werden. Aber eine informelle Parlamentariergruppe, die erneuerbare Energien besser fördern möchte, hat bereits Interesse an einer Diskussion darüber signalisiert. Und Greenpeace hat pünktlich zum Klimagipfel in Warschau Ende des vergangenen Jahres eine Aktualisierung seiner Energy-Revolution-Studie über eine CO2-freie Energieversorgung in Polen aktualisiert. Auch diese Studie sieht große Arbeitsplatz- und Modernisierungspotenziale. Die IEA wiederum hat in einer Umfrage schon 2011 ermittelt, dass mehr als 45 Prozent der Polen großes Interesse haben, Solaranlagen, kleine Windräder oder Biogasanlagen für ihren eigenen Bedarf zu nutzen.

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