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Stark auf der Zielgeraden. Andrzej Duda hat derzeit beste Aussichten, Polens nächster Präsident zu werden.
© dpa

Präsidentschaftswahlen am 24. Mai: Polen vor seinem Schicksalstag

Polen steht vor einem politischen Erdbeben. Kacyznskis Oppositionspartei PiS steht dank Überraschungskandidat Duda vor der Machtübernahme. Eine Reportage aus einem Land im Umbruch.

Die Bushaltestelle ist neu, doch der Fahrplan schon wieder abgerissen. Die beiden Dorfläden sind längst geschlossen. Ein paar Bauernkaten säumen die Hauptstrasse. In den Weichselauen wird Hopfen angebaut, viele haben auch kleine Apfelplantagen. „Zur Messe“, erzählen die Einwohner von Podgorz, müsse man nun ins Nachbardorf. Sie dauert ab morgens sechs bis abends acht. Doch statt Messwein, wird unter freiem Himmel vor dem Dorfladen das lokale Bier „Perla“ getrunken.
Noch sind im Nachbardorf Zastow-Polanowski an vielen Häusern die Flutschäden von 2010 zu sehen. Damals war die Gemeinde Wilkow das erste und bisher letzte Mal in Polens Schlagzeilen. Denn die hiesige Armut passt nicht zum Postkartenbild des rezessionsgefeiten Tigerstaates an der Weichsel, das die regierende Bürgerplattform (PO) für sich gepachtet hat. Die hiesige Wojwodschaft Lubelskie, eines der ärmsten Gebiete der EU, gehört dafür schon seit Jahren zu den Stammlanden der rechtsnationalen Oppositionspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS).
Vor zwei Wochen haben mehr als doppelt so viele Bürger hier bei der ersten Runde der Präsidentenwahlen für den Oppositionskandidaten Andrzej Duda (PiS) gestimmt als für den dem rechtsliberalen Regierungslager nahestehenden Amtsinhaber Bronislaw Komorowski. In manchen Dörfern kam dieser gar nur auf den dritten Platz – noch hinter dem rechtspopulistischen Rockmusiker Pawel Kukiz (landesweit 21%). Vor der Stichwahl vom Sonntag lautet die Gretchenfrage in Polen nun, wie sich Kukiz’ Wähler verhalten werden. Ihr Idol hat bisher nur gesagt, dass er nie im Leben für Komorowski stimmen würde. Gleichzeitig kritisiert Kukiz in Interviews auch Duda, der genauso zum „System“ gehören würde wie Komorowski.
Viele in Podgorz haben ihre Meinung schon längst gemacht. Die Hausfrau Ela erzählt von einem Komorwoski-Besuch auf einem nahen Weingut. Zwei Tage lang hätten Sicherheitsdienste das Dorf durchkämmt, dann sei der amtierende Präsident mit seiner schwarzen Wagenkolonne für zwei Stunden eingefahren. „Mit uns Einheimischen hat er gar nicht gesprochen“, erzählt Ela. Der Bauer Stasiu fürchtet, dass der Staatswald verkauft würde, wenn Komorowski für eine weitere Amtszeit bestätigt werde. „Dazu übernehmen Ausländer dann auch alle unsere Felder“, malt er den Teufel an die Wand.
An vielen Häusern ist ein Duda-Banner angebracht, auch die Orientierungstafeln der Gemeinden tun oft so, als gäbe es nur den lachenden Kandidaten mit dem freundlichen Bottox-Gesicht neben dem Parteilogo „PiS“. „Duda ist jung, energiegeladen und hat den Kontakt mit der Realität nicht verloren“, wirbt in der Lokalzeitung „Wspolnota Opolska“ der Student Pawel Matras. „Als neuer Staatspräsident wird Duda alles unternehmen, damit junge Polen nicht auswandern müssen“, sagt Matras.
Emigration, Arbeitslosigkeit, Renten- und Gesundheitssystem gehören zu den grossen Themen Dudas. Die traditionellen Slogans seines Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski – Patriotismus, Kritik an Deutschland, Russland und der EU sowie das angebliche Attentat auf die Präsidentenmaschine bei Smolensk im April 2010 – meidet Duda. Dem hat Amtsträger Komorowski außer Berechnungen, wie viel Dudas Versprechen den Staatshaushalt kosten würden, wenig entgegenzuetzen. Auch Komorowskis Mantra, er sei der erfahrene Landesvater für gefährliche Zeiten mit Putin, zog bisher nicht.

Nach der überraschenden Niederlage Komorowskis in der ersten Runde rollten zwar Köpfe im Wahlstab. Der Präsident übernahm wenig überzeigend ein paar Kernforderungen des Rockmusikers Kukiz ins schleunigst modifizierte eigene Wahlprogramm, nahm erstmals an einer Fernsehdebatte mit Duda teil und schnitt dabei besser ab, als von vielen befürchtet. Doch richtig zu überzeugen vermochte Komorowski nicht.
Die meisten Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Das Meinungsforschungsinstitut Milward Brown sieht vier Tage vor der Stichwahl Komorowski mit einem leichten Vorsprung von 2 Prozent vor Duda (45%). Jeder zwölfte Pole hat sich demnach noch nicht entschieden. Bei der regierenden Bürgerplattform (PO) hofft man auf eine Mobilisierung der Komorwoski-Fans an der deutschen Grenze. Dort gewann er bereits in der ersten Runde, doch die Wahlbeteiligung war miserabel. Die PiS wiederum erhofft sich von einem Wahlsieg Dudas eine günstige Stimmung für die Parlamentswahlen im Herbst. 2007 wurde Kaczynski bei vorgezogenen Neuwahlen überraschend abgewählt. Diese Schmach soll der weichgespülte rechtsnationale Kandidat Duda nun rächen.

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