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Eine Frau demonstriert in Polen gegen PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski.
© dpa

Proteste gegen Einschränkung der Pressefreiheit: Polen schlittert in die politische Dauerkrise

Beschränkungen für Parlamentspresse lösen Besetzung und Massenproteste aus - "Solidarnosc" droht mit Gewalt gegen Opposition

Fieberhaft versuchte die rechtsnationale Regierung in Polen am Montag die Wogen wieder etwas zu glätten, während ein gutes Dutzend liberale Abgeordnete der Opposition immer noch den Ratssaal des Sejms, Polens großer Kammer, besetzten. Sie setzte damit einem am Freitagabend begonnen Protest gegen geplante Einschränkungen der Medienberichterstattung aus dem Parlament fort. Ihnen waren am Wochenende Tausende von Polen im ganzen Land gefolgt, um gegen die Arroganz der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zu demonstrieren. „Wir bleiben bis zum Sieg“, ließen die Besetzer der Großen Kammer und eine Unterstützer vor dem Parlament wissen.

Am späten Montagnachmittag trafen sich deshalb PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski, Polens starker Mann, und Sejm-Präsident Marek Kuchcinski (PiS) bei Staatspräsidenten Andrzej Duda (ebenfalls PiS) zu Krisengesprächen. Gleichzeitig empfing Senatspräsident Stanislaw Karczewski (PiS) eine große Journalistendelegation zu Sonderungsgesprächen über die künftige Parlamentsberichterstattung. In beiden Kammern (Sejm und Senat) hat die Kaczynski-Partei PiS seit ihrem demokratisch einwandfreien Wahlsieg vom Oktober 2015 die absolute Mehrheit, was unter Parteichef Jaroslaw Kaczynski indes zusehends einer Aushebelung der in Demokratien üblichen Checks and Balances führt.

Einzig Kaczynskis Innenminister Mariusz Blaszczyk goss am Montag neues Öl ins Feuer, indem er der liberalen Opposition einen von langer Hand geplanten versuch des Staatsstreichs vorwarf. „Sie wollen die Regierung stürzen“, sagte er an dem seit Jahresfrist von der PiS gleichgeschalteten Staatsradio. Die Opposition weiß, dass wir 2019 wieder gewählt werden, wenn wir wie bisher die Wahlversprechen halten“, sagte Blaszczak, der am Wochenende mehrere Proteste mit Polizeigewalt hatte auflösen lassen. Die mit der PiS verbündeten heutige Gewerkschaft „Solidarnosc“ kündigte am Montagabend an, ihre Mitglieder wenn nötig zu regierungsfreundlichen Gegendemonstrationen aufzurufen. Auch vor Straßenkämpfen habe man keine Angst, sagte Gewerkschaftsführer Piotr Duda sinngemäß.

Die Anti-PiS-Proteste waren am Freitagabend ausgebrochen nachdem der Präsident der großen Kammer, Marek Kuchcinski (PiS) Pläne für eine empfindliche Einschränkungen der Berichterstattung aus dem ganzen Parlament im neuen Jahr angekündigt hatte. Demnach sollten künftig keine Fernsehaufnahmen aus den beiden Ratssälen mehr erlaubt sein und je Redaktion nur noch zwei schreibende Korrespondenten zugelassen werden. Oppositionelle Abgeordnete der beiden liberalen Parteien Bürgerplattform (PO, 2007-2015 an der Regierung) und Nowoczesana.pl (Die Modernen) besetzten daraufhin das Rednerpult und blockierten damit das Parlament, das noch die wichtige Verabschiedung eines Staatshaushaltes für 2017 auf der Traktandenliste hatte. Die regierenden PiS wich in der Not vor Mitternacht - rechtlich durchaus fraglich - in einem Nebensaal aus und ließ dort ihr Budget annehmen. Damit ist die Auszahlung etwa des großzügigen Kindergeldes (500+) in Polen auch 2017 gesichert, ein eingehaltenes Wahlversprechen, das die PiS trotz rechtsstaatlichen Mängeln und autoritären Anwandlungen Kaczynskis und seiner engsten Parteifreunde weiterhin im Umfragehoch hält.

Vor dem Parlament spielten sich derweil wüste Szenen ab. Das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) hatte die Polen über soziale Netzwerke eilends zu einer Unterstützungsdemo für die liberalen Abgeordneten und die bisher noch freien privaten Medien gerufen. Tausende kamen mitten in der Nacht zusammen und blockierten die Zufahrtswege zum Sejm, mit dem Ziel Kaczynski und seine hörige Premierministerin Beata Szydlo im Sejm einzuschließen.

Diese hatten nämlich just auf eine Einschränkung der Pressefreiheit im Parlament gedrängt, nachdem ein umstrittener ex-kommunistischer PiS-Parteigänger Anfang Woche von regierungskritische Journalisten zu einer Stellungsnahme über seine damalige Verfolgung der demokratischen Opposition gedrängt wurde. Bisher konnten selbst Fernsehkameras den Abgeordneten auch in den langen Fluren des Parlaments auflauern und sie zur Rede stellen.

Jaroslaw Kaczynski und seine PiS geben sich zwar gerne als besonders aufrechte Anti-Kommunisten, doch der Parteichef (und frühere Dissident) benutzt ausgerechnet den ehemaligen kommunistischen Staatsanwalt Stanislaw Piotrowicz (PiS) für seine Attacken auf das Verfassungsgericht. Die von Piotrowicz ausgearbeiteten Gesetzesnovellen haben das Verfassungsgericht de facto paralysiert.

Da am Montag die Amtszeit des bisherigen Verfassungsgerichtspräsidenten Marek Rzeplinski endete, den die Opposition als letzter Hüter der Demokratie betrachtet, sind die Befürchtungen, Polen könnte unter Kaczynski in eine gelenkte Demokratie a la Putins Russland abdriften, dieser Tage in Polen besonders groß. Genau vor Jahresfrist, ebenso mitten im Weihnachtsschlussverkauf, hatte die PiS mit ihren Attacken auf das Verfassungsgericht und die Pressefreiheit begonnen.

Bereits gibt es PiS-Pläne für eine Übernahmen des Verfassungsgerichts. Ist erst einmal der neue Verfassungsgerichtspräsident ein Kaczynski-Anhänger, so kann sich die polnische Regierung gegenüber Brüssel sowie der Venedigkommission des Europarats „großzügig“ zeigen und die Blockade des Verfassungsgerichtes beenden. Genau dies sieht ein vermutlich von Plan Piotrowicz und Kaczynski gemeinsam geschmiedeter Plan für 2017 vor.

Deshalb waren für Montagabend neben Demonstrationen vor dem Sejm auch wieder Mahnwachen vor dem Verfassungsgericht geplant.

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