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Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo in Brüssel beim EU-Gipfel.
© dpa

EU-Gipfel: Polen rennt gegen die Wand - warum?

Polen hat versucht, die Wiederwahl von Donald Tusk als EU-Ratspräsident zu verhindern. Warum ging das schief, und warum hat sich das Land sehenden Auges isoliert? Ein Bericht aus Brüssel.

So etwas hat es bei einem EU-Gipfel noch nicht gegeben: Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo legt es schon ganz zu Beginn auf einen Eklat an. Gleich beim Hineingehen in das neue Brüsseler Ratsgebäude macht sie ihre Kampfansage: „Nichts ohne unsere Zustimmung“, fordert sie mit unbewegter Miene auf dem roten Teppich. Damit ist klar: Die polnische Regierung versucht alles, um die Wiederwahl des Polen Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten zu verhindern, die direkt als erster Tagesordnungspunkt auf dem Programm des Treffens steht. Szydlo wirbt dann noch einmal für den Kandidaten, den sie ins Rennen schickt: Jacek Saryusz-Wolski, ein langjähriger EU-Parlamentarier, der allerdings nur unter Eingeweihten bekannt ist. Der Mann hat aber ohnehin keine Chance, weil für das wichtige Amt an der Spitze des Rates ohnehin nur ein ehemaliger Staats- und Regierungschef infrage kommt. Szydlo setzt dann noch einen drauf: Sie sagt, sie könne es nicht verstehen, dass „Gewalt“ der Vorrang vor Recht gegeben werde. Gewalt?

Schützenhilfe hatte ihr zuvor der polnische Außenminister gegeben. Daheim in Polen gegenüber einem TV-Sender hatte Witold Waszczykowski damit gedroht, Polen könne den Gipfel platzen lassen. „Es gibt keinen Grund zur Eile. Keinen Grund, die Entscheidung heute zu treffen.“ Ansonsten ist die polnische Regierung in Brüssel komplett isoliert. Berlin, Paris, Rom – alle großen Länder stützen Tusk. Da für seine Wiederwahl nicht Einstimmigkeit erforderlich ist, wurde er ohne Probleme wiedergewählt. Sogar der ungarische Regierungschef Viktor Orbán, der sonst keine Gelegenheit auslässt, den Brüsselern das Leben schwer zu machen, war für Tusk. Damit hatte sich Polen in eine ausweglose Lage manövriert: Auch Tschechien und die Slowakei sind für Tusk. Das sind neben Polen die drei anderen Länder der Visegrad-Gruppe, die in Fragen von Asyl und Zukunftsoptionen der EU an einem Strang gezogen und damit immer wieder eine Einigung erschwert haben. Damit ist nicht auszuschließen, dass die Visegrad-Gruppe jetzt auseinanderbricht.

Den Deutschen die Schuld geben

Unmittelbar bevor das Treffen losging, zog sich Angela Merkel mit ihrer polnischen Amtskollegin Szydlo zurück. Allerdings blieb Szydlo auch nach ihrem Treffen mit der Kanzlerin bei ihrer harten Haltung. Am Ende stand es bei der Abstimmung über die Wiederwahl Tusks nach Angaben von Diplomaten 27 zu 1: Nur aus Polen hatte es eine Stimme gegen den EU-Ratschef gegeben. „Habemus (...) Presidentum. Viel Glück, Donald“, twitterte Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel nach der Wahl.

Hintergrund des kopflosen Vorgehens der polnischen Regierung ist, dass die in Warschau regierende nationalkonservative PiS-Partei mit Tusk verfeindet ist. Regelrecht verhasst ist Tusk beim Chef der PiS, Jaroslaw Kaczynski. Der skurrile und extrem fromme Politiker glaubt, dass Tusk hinter dem Flugzeugabsturz steht, bei dem sein Zwillingsbruder Lech 2010 umkam.

Eigentlich sollte die Wahl gar nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen und binnen weniger Minuten abgehandelt werden. Doch die Selbstinszenierung der polnischen Einsamkeit auf europäischem Parkett durchkreuzte alle Pläne. Offensichtlich änderte die polnische Regierung dann ihre Strategie. Wie aus Regierungskreisen verlautete, versicherte Szydlo, den Gipfel nicht Hals über Kopf verlassen zu wollen. Vermutlich war ihr klar geworden, dass sie bei einer überstürzten Abreise keinen Einfluss mehr auf den Gang der Dinge haben würde. Szydlo wird nun zwar bis zum Ende des Gipfels dableiben, aber als Zeichen des Protests ihre Zustimmung zu den Schlussfolgerungen verweigern. Das erklärte sie am Donnerstag gegenüber Journalisten.

Noch schärfere Worte kamen aus Warschau. Die Wiederwahl von Tusk sei ein Zeichen dafür, dass die Europäische Union von Deutschland dominiert wird, sagte der Vorsitzende der regierenden PiS-Partei, Jaroslaw Kaczynski, am Donnerstag. Außenminister Witold Waszczykowski sprach von einem „Diktat aus Berlin“.

Eigentlich sollte es am ersten Gipfeltag um die Wirtschaftspolitik gehen. Im Beisein von EZB-Präsident Mario Draghi wollen die Regierungschefs der EU die konjunkturellen Aussichten erörtern. So schlecht sehen die gar nicht aus. Erstmals seit Langem sollen in diesem Jahr sämtliche Volkswirtschaften wachsen, außerdem soll in allen Mitgliedsländern die Arbeitslosigkeit zurückgehen. Der Bundeskanzlerin ist ein weiteres Thema wichtig. Es gelte, eine Bestandsaufnahme der laufenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen der EU mit Japan sowie mit den südamerikanischen Staaten – Mercosur – zu machen.

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