Wirtschaftskrise in Venezuela: Poker gegen die Zeit
In Venezuela ist alles knapp: Lebensmittel, Strom, Geld – weil der Erdölpreis immer weiter sinkt. Die Opposition will den Präsidenten Maduro abwählen lassen, dieser reagiert mit Sparparolen und Lohnerhöhungen.
In einem Land, das außer Erdöl und Schönheitsköniginnen wenig produziert, ist Polar ein Wahrzeichen: Vom Maismehl bis zum Bier stellt die Firma einen Großteil von dem her, was die Venezolaner essen und trinken. Bislang zumindest. Doch viele Zutaten werden importiert – zum Beispiel Hopfen. Und weil es wegen dem Verfall der Erdölpreise, der Wirtschaftskrise und der Devisenkontrollen keine Dollar mehr gibt, werden Venezuelas Biertrinker demnächst nicht nur im Dunkeln, sondern auch auf dem Trockenen sitzen: Vor einigen Tagen wurde in der Polar-Fabrik im Bundesstaat Carbobo die letzte Flasche abgefüllt. Neben Polar gibt es noch die Brauerei „Regional“, doch sie hat nur einen Marktanteil von 20 Prozent.
Es ist deshalb nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das Bier in die lange Liste der Produkte einreiht, die im sozialistischen Paradies Mangelware sind – vom Klopapier über Eier bis zu Windeln. Einer Umfrage des Instituts Venebarómetro zufolge verzehrt die Hälfte der Bevölkerung nur noch ein bis zwei Mahlzeiten täglich. Hinzu kommen oft stundenlange Strom- und Wassersperren. Neulich empfahl Präsident Nicolás Maduro den Frauen, ihre Haare nicht mehr zu föhnen, um Strom zu sparen – und reduzierte die Arbeitswoche der Staatsangestellten auf zwei Tage.
Seine Regierung steht mit dem Rücken zur Wand, ihr von Petrodollars gespeister Sozialismus befindet sich im freien Fall – im Rhythmus der Erdölpreise. Die Volkswirtschaft wird nach Einschätzung des Ökonomen Asdrúbal Oliveros zwischen 2013 und Ende 2016 um 47 Prozent geschrumpft sein.
Maduro klammert sich an die von ihm kontrollierte Justiz, ans Militär – und an Verschwörungstheorien: Die Lage sei Teil eines von heimischen Eliten mit den USA angezettelten Umsturzplans, erklärte er. Und Polar-Eigner Lorenzo Mendoza, der drittreichste Mann des Landes, sei zu geizig, um sein Privatvermögen zur Versorgung der Venezolaner zu opfern. Die bürgerliche Opposition, die schon im Dezember die Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress eroberte, deren Initiativen aber systematisch vom regierungstreuen Obersten Gericht annulliert werden, sammelt mittlerweile Unterschriften, um Maduro abzuberufen. In den ersten zwei Tagen kamen 1,5 Millionen zusammen – mehr als zehnmal so viel wie vom Wahlgericht verlangt. Der Moment ist günstig: Maduros Popularität liegt laut Venebarómetro bei 23 Prozent, während 47 Prozent der Befragten die Opposition unterstützen.
Die Regierung spielt auf Zeit
Vor dem Referendum sind aber noch zahlreiche Hürden zu überwinden. Das Wahlgericht muss die Unterschriften prüfen, danach müssen erneut 20 Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben, um den Termin festzusetzen. Die Regierung spielt auf Zeit: Wenn das Referendum nach Mitte Januar stattfindet, wird Maduro zwar abberufen, aber es finden keine Neuwahlen statt, sondern sein Vizepräsident führt die Regierung bis zum regulären Ende der Amtszeit im Januar 2019. Die Verkürzung der Arbeitswoche, so vermutet die Opposition, ist Teil dieser Verzögerungstaktik.
Ob die Wirtschaft und die Bevölkerung so lange durchhalten, wie ein demokratischer Ausweg bräuchte, ist unklar. Eine Erholung der Erdölpreise ist nicht in Sicht. Venezuela steuert nach Berechnungen von Börsenexperten auf die Zahlungsunfähigkeit zu. Die Inflation dürfte laut Weltwährungsfonds dieses Jahr 700 Prozent erreichen. Plünderungen, Raubüberfälle, Morde und Lynchjustiz nehmen zu.
Seit dem Tod von Präsident Hugo Chávez vor drei Jahren haben auch die Differenzen innerhalb der regierenden Sozialistischen Einheitspartei (PSUV) zugenommen. Maduro erbte weder das Talent noch die Legitimität seines politischen Mentors. Selbst viele Weggefährten kritisieren die grassierende Korruption und die Verzerrung durch Preis- und Devisenkontrollen, die eine neureiche Millionärsschicht geschaffen haben. Diese Unternehmer, deren Offshore-Konten regelmäßig in einschlägigen Ermittlungen von den Panama-Papers bis zu Swiss-Leaks auftauchen, bilden zusammen mit einer korrupten Militärsclique um Ex-Parlamentspräsident Diosdado Cabello die wichtigste Stütze Maduros. Gegen viele laufen internationale Ermittlungen – gegen Cabello in den USA wegen Drogenhandels. Ein Sturz der Regierung könnte sie hinter Gitter bringen.
Ihnen gegenüber steht eine Gruppe um Chávez’ langjährigen Weggefährten, den Gouverneur von Zulia, Francisco Arias Cárdenas, die auf eine innerparteiliche Erneuerung und Maduros Rücktritt setzt. Viel hängt in Venezuela davon ab, welcher Richtung sich das Militär anschließt.
Zum Tag der Arbeit erhöhte Maduro erst einmal den Mindestlohn um 30 Prozent – je nach Wechselkurs verdient ein Arbeiter nun zwischen 36 und 77 Euro im Monat; 105 Prozent mehr als Anfang des Jahres. Ebenfalls am Sonntag wurden die Uhren um 30 Minuten vorgestellt. Die Nutzung von mehr Tageslicht soll Strom sparen.
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