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Die britische Regierungschefin Theresa May in der vergangenen Woche in London.
© imago images / Matrix

Chaos um den Brexit: Planlos in die Verlängerung

Kopflos versucht Regierungschefin May, den Brexit-Deal zu retten. Im Amt wird sie sich wohl aber vorerst halten und um Verlängerung bitten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Für eine Reihe unvorhergesehener Wendungen hält der englische Sprachschatz die schöne Formulierung „twists and turns“ bereit. Das Chaos rund um den Brexit, das in erster Linie von der Regierungschefin Theresa May zu verantworten ist, ist voll von solchen „twists and turns“. Die letzte überraschende Volte geht allerdings auf das Konto des Parlamentspräsidenten John Bercow. Während May immer noch kopflos die eigenen Leute auf den Scheidungsvertrag mit der EU einzuschwören versuchte, hat ihr Bercow gewissermaßen den Stecker gezogen.

Anders als von der Regierungschefin geplant, wird es in dieser Woche wohl keine Abstimmung mehr über eben jenen EU-Austrittsvertrag geben, der schon zweimal im Unterhaus durchgefallen ist. Der Parlamentschef grub eine Regel von 1604 und eine Verfahrenserläuterung aus dem Jahr 1844 aus, um einer Premierministerin Einhalt zu gebieten, der zunehmend die Bodenhaftung im Unterhaus verloren geht. Der bekennende Remainer Bercow zeigte damit ganz nebenbei, welche Macht Parlamentarier in Demokratien gegenüber der Exekutive notfalls entfalten können.

Die schlechte Nachricht ist, dass die weitere Entwicklung im Brexit-Drama jetzt genauso ungewiss ist wie zuvor. Zwar gibt es im Unterhaus eine große Mehrheit gegen einen No-Deal-Brexit. Um dieses Schreckensszenario zu verhindern, müsste die Regierung in den kommenden Tagen aktiv werden. Sollte indes die politische Lähmung im Londoner Regierungsbezirk von Westminster anhalten, droht die Gefahr, dass die Regierung gewissermaßen in den „Hard Brexit“ schlafwandelt.

Die EU wird die Verlängerung nicht einfach durchwinken

Darüber hinaus stellt sich die Frage, welches Angebot die verbleibenden 27 EU-Staaten May am Donnerstag beim Gipfel machen können. Als wahrscheinlich gilt, dass May um eine kurze Brexit-Verschiebung von drei Monaten über das ursprünglich geplante Datum vom 29. März hinaus bitten wird.

Allerdings ist offen, ob die EU einer Verlängerung ohne weitere Diskussion zustimmt. Denn noch immer fehlt von den Briten eine mehrheitsfähige Festlegung darüber, was sie eigentlich beim Brexit wollen. Und weil wenig dafür spricht, dass die Regierungschefin dies Problem demnächst löst, könnten May – und mit ihr die EU – in knapp zwei Wochen planlos in die Verlängerung stolpern.

Hat May noch einen Trumpf im Ärmel?

Schließlich gibt es noch eine weitere Unbekannte in der Brexit-Rechnung: Mays politische Zukunft. Zu den Besonderheiten der politischen Krise in London gehört die Tatsache, dass sich die Premierministerin trotz aller Rückschläge überhaupt noch im Amt halten kann. Das liegt vor allem daran, dass ihr in der eigenen Partei vorerst niemand ernsthaft den Job der Regierungschefin streitig machen will. Ein weiteres Misstrauensvotum bei der Tory-Fraktion muss sie vor Jahresende somit nicht befürchten.

Und möglicherweise hat May noch einen Trumpf im Ärmel: Falls die EU eine großzügig bemessene Verlängerungsfrist anbieten sollte, könnte sie trotz des Einspruchs des Parlamentspräsidenten Bercow doch noch in der kommenden Woche eine Abstimmung über den Austrittsvertrag ansetzen – gewissermaßen unter neuen Vorzeichen und in Übereinstimmung mit den Parlamentsregeln. Das Zittern um den Brexit geht weiter.

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