Neutralität der Ukraine im Fokus: Pläne für direkte Verhandlungen zwischen Putin und Selenskyj
Die heftigen Kämpfe in der Ukraine gehen weiter, die Gespräche zwischen Moskau und Kiew immerhin auch. Und sie werden offenbar konkreter. Ein Überblick.
Während die Kämpfe in der Ukraine knapp drei Wochen nach Beginn des Krieges mit unverminderter Härte fortgesetzt werden und sich das Leid der Menschen zunehmend verschärft, wird weiter nach einer diplomatischen Lösung gesucht. Diese Lösung könnte zunächst in einer Waffenruhe mit Russland münden. Daraus wiederum könnte eventuell eine langfristige Lösung für ein friedliches Nebeneinander der beiden Nachbarstaaten erwachsen.
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Noch am Mittwoch wollten Vertreter beider Länder ihre Gespräche im Online-Format fortsetzen. Vor allem die Ukraine verbreitete zuvor Berichte über große militärische Erfolge, während die russischen Truppen weiter versuchten, auf ukrainische Städte vorzurücken.
Wie die militärische Ausgangslage bei den Verhandlungen wirklich ist, bleibt unklar. Gleichzeitig zeichnete sich am Mittwoch allerdings durch Aussagen beider Seiten vage ab, wie ein Ausweg aussehen könnte. Und offenbar werden die Verhandlungen konkreter.
Nach Informationen der Zeitung „Financial Times“ arbeiten beide Seiten an einem 15-Punkte-Plan. An erster Stelle stünden die von Russland geforderte Neutralität und Entmilitarisierung der Ukraine sowie der von Kiew verlangte Abzug russischer Truppen. Territoriale Streitfragen sollten demnach erst später diskutiert werden.
Wie sich die Ukraine positioniert
Derzeit würden Dokumente für mögliche direkte Gespräche zwischen Staatschef Woloymyr Selenskyj und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgearbeitet, zitierte die russische Staatsagentur Ria Nowosti den ukrainischen Präsidentenberater Mychajlo Podoljak am Mittwoch aus einem Interview mit dem US-Sender PBS.
„Unsere Position bei den Verhandlungen ist recht klar: Sicherheitsgarantien, Waffenstillstand und ein Rückzug russischer Truppen“, schrieb Podoljak auf Twitter. Eine Einigung sei nur im direkten Austausch zwischen den Staatschefs Russlands und der Ukraine möglich.
„Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden, sind direkte Gespräche der beiden Präsidenten. Daran arbeiten wir bei diesen Verhandlungen“, so Podoljak. Derzeit würden diese Dokumente ausgearbeitet, welche die Staatschefs dann vereinbaren und unterzeichnen können. „Das könnte schon bald passieren.“
Zuvor hatte die ukrainische Regierung den russischen Äußerungen widersprochen, dass es zu einer möglichen Neutralität des Ukraine nach schwedischem Vorbild kommen könne. Ein neutraler Status würde bedeuten, dass die Ukraine keinen Beitritt zur Nato mehr anstrebt. Selenskyj hatte am Dienstag bereits gesagt, dass sein Land „anerkennen“ müsse, dem westlichen Militärbündnis nicht beitreten zu können.
Poldoljak schrieb aber am Mittwoch auf Telegram, was die Ukraine brauche, sei „ein mächtiger Pool an Unterstützern mit klar festgeschriebenen Sicherheitsgarantien“. Mit dem Verweis auf angebliche Kiewer Vorschläge für eine Neutralität nach schwedischem oder österreichischem Vorbild versuche Moskau nur, die Initiative in den Verhandlungen zu gewinnen.
„Die Ukraine befindet sich in einem direkten Krieg mit Russland“, so Podoljak. Deshalb brauche es kein schwedisches oder sonstiges Modell, sondern ein „ukrainisches Modell“: Sicherheitsgarantien von Partnern, die Waffen liefern, wenn das nötig sei, und den Himmel über der Ukraine schließen, wenn das Land aus der Luft angegriffen werde.
Präsident Selenskyj hatte sich zuvor zu den Gesprächen mit Russland über ein Ende des Krieges vorsichtig optimistisch geäußert. Die Verhandlungspositionen hörten sich realistischer an, sagte er in einer in der Nacht zu Mittwoch veröffentlichten Videobotschaft. Bis die Ukraine zufrieden sein könne, dauere es aber noch.
„Wir alle wollen so schnell wie möglich Frieden und Sieg“, sagte der Präsident. „Aber es braucht Mühe und Geduld. Es muss noch gekämpft und gearbeitet werden.“ Jeder Krieg ende mit einer Vereinbarung. „Die Treffen werden fortgesetzt.“ Podoljak hatte nach der Runde vom Dienstag von sehr schwierigen und zähen Verhandlungen gesprochen. Es gebe fundamentale Gegensätze, aber auch Raum für Kompromisse.
Wie sich Russland positioniert
Putin sagte am Mittwoch, die Ukraine habe „mit Unterstützung westlicher Mächte eine Aggression gegen Russland geplant“. Die Ukraine hätte in absehbarer Zeit Atomwaffen haben können, argumentierte er.
Russland wolle das Nachbarland nicht besetzen und sei bereit, in Gesprächen den neutralen Status der Ukraine zu erörtern. „Wir waren und sind bereit, die Grundsatzfrage für unser Land und seine Zukunft – der neutrale Status der Ukraine, ihre Entmilitarisierung und ihre Entnazifizierung – im Rahmen von Verhandlungen zu diskutieren.“
Außenminister Sergej Lawrow erklärte, er sehe Chancen auf einen Kompromiss bei den Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew. Die Gespräche seien aus offensichtlichen Gründen nicht einfach. „Dennoch besteht eine gewisse Hoffnung, einen Kompromiss zu erzielen“, sagte Lawrow am Mittwoch dem Sender der russischen Zeitung „RBK“.
Es gebe bereits konkrete Formulierungen, „die meiner Meinung nach kurz vor der Einigung stehen“. Dabei geht es Lawrow zufolge darum, dass sich die Ukraine für neutral erklären soll. Dieses werde nun „ernsthaft diskutiert, natürlich in Verbindung mit Sicherheitsgarantien“.
Ein Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Putin und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj müsste nach russischer Darstellung dazu dienen, eine Einigung zu besiegeln. „Es gibt keine Hindernisse für die Organisation eines solchen Treffens“, sagte Lawrow nach einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Es dürfe nur nicht um seiner selbst willen abgehalten werden.
Vielmehr müssten konkrete Vereinbarungen zwischen Russland und der Ukraine abgeschlossen werden, die derzeit von den Delegationen der beiden Länder ausgearbeitet würden. Kremlsprecher Dmitri Peskow äußerte sich nicht zur Frage, ob eine Rücknahme westlicher Sanktionen gegen Russland Bedingung für eine Einigung mit der Ukraine sei.
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Bei den Verhandlungen wird nach Angaben des Kremls derzeit über eine Neutralität der Ukraine nach dem Vorbild Schwedens oder Österreichs gesprochen. „Das ist die derzeit diskutierte Option“, sagte Peskow am Mittwoch. Dieses Neutralitäts-Modell könne als „ein Kompromiss“ betrachtet werden.
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Schweden ist wie Finnland und anders als Dänemark, Norwegen und Island kein Nato-Mitglied, aber enge Partner der Militärallianz. Und durch Russlands Angriff auf die Ukraine hat der Zuspruch in beiden Ländern hinsichtlich einer möglichen Nato-Mitgliedschaft Umfragen zufolge stark zugenommen. Österreich erklärte am Ende der alliierten Besatzung 1955 seine immerwährende Neutralität.
Die Frage eines Nato-Beitritts der Ukraine ist einer der Gründe, den Russland für seinen Angriff auf das Nachbarland angeführt hat. Moskau sieht das westliche Militärbündnis als existenzielle Bedrohung an.
Der russische Verhandlungsführer Wladimir Medinski sagte, Russland strebe einen Generationenvertrag an. „Wir brauchen eine friedliche, freie, unabhängige Ukraine, neutral – kein Mitglied von Militärblöcken, kein Mitglied der Nato, (...) einen Nachbarn, mit dem wir gemeinsame Beziehungen entwickeln können.“ Diese Vereinbarung müsse über Generationen halten, „damit auch unsere Kinder in einer Welt leben, deren Fundament durch diesen vertraglichen Prozess gelegt wird“.
Wie sich Nachbar Polen positioniert
Wenig Resonanz fand ein Vorstoß Polens für eine Friedensmission für die Ukraine. Der polnische Vizeregierungschef Jaroslaw Kaczynski hatte eine solche Mission in der Nacht zum Mittwoch nach einem Gespräch der Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien mit Selenskyj in Kiew ins Gespräch gebracht.
Er sagte: „Ich denke, dass eine friedenserhaltende Mission der Nato oder möglicherweise einer noch breiteren internationalen Struktur notwendig ist, aber eine solche Mission, die auch in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, und die auf ukrainischem Territorium operieren wird.“
Zurückhaltend äußerten sich am Mittwoch am Rande des Nato-Treffens unter anderem Verteidigungsminister aus Ländern wie Großbritannien, Finnland und Kanada. „Ich fürchte, es ist noch zu früh, um darüber zu sprechen“, sagte die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren. Es sei sehr schwierig, sich derzeit mit der Intensität des Krieges und der Belagerung der Städte eine Friedensmission vorzustellen. (mit dpa, Reuters, AFP)