Affäre um Asylbescheide: Pistorius: Bamf-Chefin Cordt wohl schwer zu halten
Niedersachsens Innenminister Pistorius stellt den Verbleib der Beamten an der Spitze der Asylbehörde in Frage. Cordts Vorgänger Weise verteidigt sie gegen Vorwürfe.
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Im Skandal um unrechtmäßige Asylbescheide gerät die Chefin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Jutta Cordt, immer mehr unter Druck. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“: „Wenn sich alles so bewahrheitet, wie das sich andeutet, dann glaube ich kaum, dass man sie am Ende wird halten können.“ Die Entscheidung liege aber bei Bundesinnenminister Horst Seehofer.
Pistorius sagte, Cordt habe einen internen Bericht über die Unregelmäßigkeiten bei der Bremer Bamf-Außenstelle offenbar im Dezember 2017 bekommen und wie es scheine, vier Monate lang nicht weitergeleitet. Dann habe der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) darüber Minister Seehofer nicht informiert. Dieser wiederum habe das Bamf Anfang April besucht, dieses gelobt, ohne zu wissen, was dort vorgefallen sei. Pistorius sprach von „sehr merkwürdigen und unprofessionellen Vorgängen.“
Genauso wichtig wie personelle Konsequenzen sei aber, wie man Qualitätskontrollen beim Bamf sicherstelle und garantiere, dass Asylanträge in verschiedenen Bundesländern nach gleichen Standards bearbeitet werden.
Bisher nur eine Anzeige gegen Bamf-Chefin Cordt
Die Bremer Justiz ermittelt wegen etwa 1200 positiver Asylentscheidungen gegen die langjährige Leiterin der Außenstelle, drei Rechtsanwälte und einen Dolmetscher. In der Außenstelle, der Innenminister Horst Seehofer am Mittwoch vorerst verbot, weiter Asylfälle zu entscheiden, überprüft die Nürnberger Bamf-Zentrale inzwischen Tausende von Entscheidungen der letzten Jahre. Stichprobenartig werden auch Entscheidungen von mindestens zehn weiteren der 70 Bamf-Außenstellen durchleuchtet.
Gegen die Chefin der Bamf-Zentrale Jutta Cordt liegt wegen der Vorgänge in Bremen eine Anzeige vor. Deren Berechtigung muss die Staatsanwaltschaft Nürnberg jedoch noch prüfen, wie Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke dem Tagesspiegel sagte. Die am Dienstagabend verbreitete Medienmeldung, dass es bereits Ermittlungen gebe, sei „falsch“. „Eine Privatperson“ habe Cordt und drei leitende Mitarbeiter des Bamf angezeigt.
Ex-Bamf-Chef Weise sieht Überforderung als Grund
Jürgen Weise, der frühere Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nimmt seine Nachfolgerin gegen Vorwürfe in Schutz. Er sieht Überforderung als Ursache der Affäre. Als er 2015, auf dem Höhepunkt der Flucht aus Syrien nach Europa, das Amt übernahm, habe es dort „keine Strukturen, die dieser Belastung hätten gerecht werden können, keine funktionierende IT, keine Prozesskette“ gegeben, sagte Frank-Jürgen Weise dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Erst er habe eine Innenrevision eingeführt. Weise leitete das Bamf bis Ende 2016; auch er soll Medienberichten zufolge in seinem letzten Amtsjahr auf Bremen aufmerksam gemacht worden sein. Er hatte dazu am Dienstag erklärt, er erinnere sich an keinen entsprechenden Briefwechsel.
Weise hatte bereits vor einem Jahr in einem Interview erklärt, es sei von Anfang an klar gewesen, dass die Einstellung und kurzen Schulungen so vieler neuer Mitarbeiter „auf Kosten der Qualität gehen müssen. Die Alternative wäre gewesen, weiter verzögerte Asylverfahren zu haben“.
Immer mehr Asylanträge werden abgelehnt
Die Interims-Chefin der Bremer Außenstelle wirft ihren Vorgesetzten allerdings vor allem mangelndes Interesse an Kontrollen vor. Josefa Schmid, die seit Januar in Bremen amtierte, schrieb einen Bericht über die Arbeit der Außenstelle 2015 bis 2017, der vor Wochen in die Medien geriet. Schmid listete darin auch mehrere Versuche auf, die Nürnberger Behörde zu alarmieren. Die habe aber nicht reagiert. Anfang Mai wurde Schmid nach Bayern zurückversetzt – eine Entscheidung, gegen die sie sich vor Gericht wehrt. In ihrer Beschwerde, aus der die „Zeit“ jetzt zitiert, spricht sie von einem „Racheakt“ ihrer Vorgesetzten. Man habe ihr offen gedroht, sie zu versetzen, falls ihr Name noch einmal im Zusammenhang mit dem Bremer Skandal in den Medien erscheine. Das Amt habe erreichen wollen, „dass die Geschichte (...) nicht an die Öffentlichkeit“ komme.
Bei der Prüfung mehrerer Außenstellen konnten auch Asylanträge entdeckt werden, die zu Unrecht abgelehnt wurden. Die zehn Außenstellen, die das Bamf jetzt prüft, wichen nämlich entweder durch mindestens zehn Prozent höhere oder aber niedrigere Anerkennungsquoten vom Bundesdurchschnitt der Entscheidungen ab. Beim Vergleich der Bundesländer sind die Quoten in Bayern, Brandenburg und Sachsen meist niedrig. Flüchtlingshilfsorganisationen kritisieren aber auch insgesamt sinkende Anerkennungsquoten für Menschen aus Ländern, deren Menschenrechtslage sich über die Jahre nicht verbessert hat – etwa für Eritreer. Betrug die Gesamtschutzquote – einschließlich derer, die zwar nicht anerkannt wurden, aber vor Abschiebung geschützt sind – 2016 noch 62,4 Prozent, waren es 2017 43,4 Prozent. In den ersten vier Monaten dieses Jahres bekamen bisher nur 32,5 Prozent einen Schutzstatus in Deutschland vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Linke erwägen erstmals U-Ausschuss
Diese Quote sagt aber noch wenig über den späteren Schutzstatus aus. Mehr als 90 Prozent aller abgelehnten Flüchtlinge wehren sich vor Gericht gegen Entscheidungen des Bamf. Letztes Jahr hatte fast die Hälfte dieser Verfahren (40 Prozent) Erfolg, von den Klägern aus Syrien und Afghanistan sogar mehr als 60 Prozent.
Die Affäre um das Bamf könnte womöglich doch noch Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Bundestag werden. Linken-Fraktionsvize Sevim Dagdelen erklärte, man müsse darüber womöglich nach dem Auftritt von Innenminister Seehofer nächste Woche im Innenausschuss reden. Bisher waren Linke und Grüne skeptisch, nur AfD und FDP wollen einen Ausschuss. (mit dpa)