Schweden: Piratenpartei - Vorkämpfer der Netzbürger
Die Piratenpartei ist der parlamentarische Arm einer neuen Bewegung für die Freiheit im Netz. In Schweden gelang ihr jetzt der Einzug ins Europaparlament.
Die Beteiligung an der Europawahl war so niedrig wie noch nie. Vor allem die großen Parteien litten darunter, weil sie offenkundig in vielen Ländern die Wähler nicht mehr erreichen, besonders die jungen. Anderen, kleineren Parteien gelingt das offenbar besser, wie der Piratenpartei. In ihrem Ursprungsland Schweden hat es die Partei, die für die Freiheit im Internet kämpft, geschafft, einen Sitz im EU-Parlament zu erobern.
Mit einer Stimme lässt sich dort nicht viel bewegen. Das ist auch den Piraten klar. Sie sehen den Erfolg als Beginn eines langen Weges. Es bedeute, dass man nun beginnen könne, die Bürgerrechte im Netz zu sichern, wie Parteichef Rick Falkvinge schwedischen Medien sagte.
Vor allem aber ist der Erfolg der Piratenpartei eine Mahnung an die großen Parteien, die dahinter stehenden Ansichten ernst zu nehmen. Das, was bislang bei Demonstrationen und in Protestaufrufen im Internet artikuliert wurde, hat nun auch eine politische Stimme. Ihr Tenor: Das Internet bietet viele Chancen, die Gesellschaft besser und transparenter zu machen. Nutzt sie, statt bislang garantierte Rechte im Netz einzuschränken.
Das steht zwar so nicht im Parteiprogramm. Aber dort heißt es, man wolle die Informationsgesellschaft mitgestalten, vor allem durch Stärkung der informationellen Selbstbestimmung, durch freien Zugang zu Wissen und Kultur und durch die Wahrung der Privatsphäre.
Ein Sitz im großen EU-Parlament mag wenig erscheinen. Dass allerdings derzeit überall die Fahnen der Piraten auftauchen, wenn es irgendwo in Europa um digitale Bürgerrechte, um Netzsperren, Überwachung oder Verbote von Computerspielen geht, sollte die Politik beunruhigen. Denn die Piraten sind offenbar auf dem Weg, der parlamentarische Arm einer noch kleinen, aber hervorragend vernetzten und wachsenden Bürgerbewegung zu werden.
Dass sie vor allem junge Wähler erreichen, ist kein Wunder. Mehr als 40 Prozent aller Jugendlichen hierzulande spielen täglich oder mehrmals in der Woche am Computer, in anderen europäischen Ländern werden die Zahlen nicht anders sein. Durch die Debatten über ein Verbot sogenannter Killerspiele aber fühlen sich viele von ihnen kriminalisiert. "Wir sind Gamer. Wir wollen kein Sündenbock sein für Dinge, die in der Gesellschaft falsch laufen", hieß es vor wenigen Tagen in Karlsruhe auf einer Demonstration gegen die Verbotsdiskussion.
Aus dem gleichen Grund treiben die Kampagnen der Musik- und Filmindustrie gegen Raubkopien den Piraten Sympathisanten zu. Viele Jugendliche haben das Gefühl, dass sie verantwortlich gemacht werden für technische Neuerungen und gesellschaftliche Prozesse, die sie nicht initiiert haben, sondern lediglich nutzen.
Wie erfolgreich die Piraten mit ihrem begrenzten Programm diese Stimmung nutzen, zeigte der Prozess gegen die Betreiber des schwedischen Datentauschvermittlers Pirate Bay. "Als das Urteil um 11 Uhr verkündet wurde, hatten wir 14.711 Mitglieder", zitiert die britische Times Parteigründer Falkvinge. "Wir verdoppelten diese Zahl innerhalb einer Woche und wurden der Mitgliederzahl nach die drittgrößte Partei in Schweden. Auf einmal waren wir überall." Bei der Parlamentswahl in Schweden 2006 erreichte die PP nur 0,6 Prozent der Stimmen. Jetzt, nach dem Pirate-Bay-Urteil, kam sie bei der Europawahl auf 7,1 Prozent.
Bislang reagierten besonders die großen Parteien, nicht nur in Schweden, häufig mit Skepsis auf die technischen Entwicklungen der Informationsgesellschaft. Und ignorieren damit jene, die mit dieser Technik aufwachsen und sie als völlig normal empfinden. "Die Piratenpartei zieht ihren Vorteil aus einer neuen Kluft in der schwedischen Politik, einem Streit über Bürgerrechte und darüber, wer das Recht haben sollte, über Wissen zu entscheiden. Und das ist keine Kluft zwischen links und rechts", sagte der Politikwissenschaftler Ulf Bjereld von der Uni Göteborg der Times. Die klassischen Parteien hätten "geschlafen", sie hätten das politische Potenzial dieser Themen unterschätzt.
So geht es ihnen wie der Wirtschaft, die glaubt, sie könne Kunden wiedergewinnen, indem sie sie verklagt. Die Piratenpartei dagegen fordert, für private Zwecke sollten Musik, Filme oder Bücher nach Belieben kopiert werden dürfen. Außerdem wollen sie den Schutz des Urheberrechts auf fünf Jahre verkürzen, Patente abschaffen, den Staat transparenter machen, Datensammlungen vermeiden und die Privatsphäre besser schützen. Das interessiert, wie Wahlforschungen zeigen, vor allem Männer zwischen 18 und 30 Jahren.
Derjenige, der die Piratenbewegung künftig im Europaparlament vertritt, ist allerdings mit 49 Jahren um einiges älter als die meisten seiner Unterstützer: der grauhaarige Christian Engström. Sein Alter aber spielt keine Rolle, eher schon, dass er als Informatiker arbeitet, dass er keine "laienhaften Vorstellungen von Computern, Internet und Computerspielen" hat, wie es Demonstranten in Karlsruhe der Bundesregierung vorwarfen.
So könnte der Erfolg der Piratenpartei tatsächlich der Beginn einer neuen Netz-Bürgerbewegung sein. Wenn die großen Parteien deren Interessen weiter ignorieren. (Zeit Online)