Zuzahlungen steigen: Pflege macht arm
Der Eigenanteil für Pflegebedürftige im Heim wird immer höher. Das liegt daran, dass die Versicherungsleistungen nicht den steigenden Kosten angepasst werden.
Für ihre Pflege müssen alte Menschen immer tiefer in die eigene Tasche greifen. Nach einer aktuellen Studie der Krankenkasse Barmer GEK liegen die Zuzahlungen inzwischen in allen Pflegestufen deutlich höher als das, was die Versicherung zahlt. Demzufolge müssen Heimbewohner derzeit pro Monat 389 bis 757 Euro allein für Pflege selber aufbringen. 1999 betrug die Belastung 130 bis 550 Euro. Hinzu kommt noch der Bewohneranteil für Unterkunft, Verpflegung und Heiminvestitionen.
„Der Eigenanteil steigt permanent“, sagte der Bremer Sozialexperte Heinz Rothgang. Wegen der Preissteigerung würden die bezahlten Leistungen „real immer weniger wert“. Dringend nötig sei eine regelmäßige Inflationsanpassung, nur so sei das Pflegerisiko nachhaltig zu sichern. Darauf habe sich die Koalition aber nicht verständigt. Mit der praktizierten „Dynamisierung nach Kassenlage“ gerate man immer weiter in Schieflage.
Frauen kostet die Pflege im Schnitt 45 000 Euro
Kassenvize Rolf-Ulrich Schlenker nannte die ermittelte Gesamtbelastung „schockierend“. Frauen hätten im Schnitt bei der Pflege 45000 Euro zuzuzahlen, Männer kämen, wegen ihrer geringeren Lebenserwartung, auf 21000 Euro. Nach dem ursprünglichen Versicherungskonzept sollten rein pflegebedingte Kosten komplett übernommen werden, sagte Rothgang. Der Koalitionsvertrag kündigt eine Dynamisierung für 2015 an. Finanziert werden soll sie aus einer Beitragserhöhung um 0,2 Prozentpunkte. Das entspricht zwei Milliarden Euro, das Geld soll aber auch noch für viele andere Leistungsverbesserungen reichen.
Auch die zwei Milliarden, die durch eine spätere Beitragserhöhung aufgebracht werden und die Kostensteigerung durch die geplante Neudefinition von Pflegebedürftigkeit abdecken sollen, seien „zu niedrig gerechnet“, kritisierte Rothgang. Und der Plan der Koalition, jährlich eine Milliarde für die geburtenstarken Jahrgänge ab 2035 zurückzulegen, sei „unausgereift“. Zum einen lohne das Zwangssparen wegen der Zinsentwicklung nicht. Zum andern sei mit der Reserve wenig gewonnen. Der Bedarf werde nicht sinken, wenn das Ersparte aufgebraucht sei.
Höchster Anstieg an Pflegebedürftigen in Brandenburg
Der Studie zufolge wird die Zahl der Pflegebedürftigen in Brandenburg am stärksten steigen. Bis 2030 sei dort eine Zunahme um 72,2 Prozent zu erwarten. Auch Berlin liegt demnach mit einer Steigerung um 53,8 Prozent deutlich über dem Durchschnitt. Bundesweit beträgt er 47,4 Prozent. Am höchsten ist der erwartete Zuwachs in den Speckgürteln um Berlin und München. Bremen bildet das Schlusslicht, hier wird nur eine Steigerung um 28,2 Prozent erwartet.
Mit 2,5 Millionen hat die Zahl der Pflegebedürftigen 2013 einen neuen Höchststand erreicht. Den Prognosen zufolge wird sie bis 2050 auf 4,5 Millionen steigen. Laut Rothgang hängt die Zunahme nicht mit einer stärkeren Krankheitsanfälligkeit, sondern ausschließlich mit der Altersstruktur der Bevölkerung zusammen. Auffällig daran ist, dass sich immer mehr Menschen von ambulanten Pflegediensten versorgen lassen. Ihr Anteil beträgt inzwischen 22,9 Prozent. Der Anteil der im Heim Versorgten dagegen ist leicht rückläufig, er liegt bei 28,8 Prozent.
Heimbewohner bekommen kaum noch Reha
Der Sorge, dass sich die Heime zu Sterbehäusern mit immer hinfälligeren Bewohnern entwickelten, trat das Autorenteam entgegen. Das Gegenteil sei richtig, sagte Rothgang. Der Bewohneranteil mit niedrigster Pflegestufe sei deutlich gestiegen. Und die Aufenthaltsdauer habe sich nicht verkürzt. Bei den Reha-Leistungen indessen gibt es Defizite. Zwar erhalten 15 Prozent der Senioren ein Jahr vor Eintritt ihrer Pflegebedürftigkeit noch eine Rehabilitation. Nach einem Jahr Pflege aber liegt der Anteil nur noch bei sieben Prozent. Im Vergleich zu Gleichaltrigen mit ähnlicher Erkrankung erhielten Pflegebedürftige nur halb so oft eine solche Leistung, so Rothgang. Und je höher die Pflegestufe, desto niedriger die Reha-Quote. Dies werfe „die Frage auf, ob Pflegebedürftige hier nicht benachteiligt werden“.