Vorwahl der US-Demokraten in New Hampshire: Pete Buttigieg wird zum Hoffnungsträger
Bernie Sanders will die US-Gesellschaft umbauen, Joe Biden verliert die Nerven – bei den US-Demokraten wächst der Zuspruch für den 38-jährigen Pete Buttigieg.
Noch gut eine Stunde dauert es, bis sich die Türen zur Aula der Londonderry Middle School öffnen. Und die Schlange wächst und wächst, sie verläuft den Gang hinunter, dann rechts, zieht sich bis ganz hinten zur Wand – und nach einer Kehrtwende wieder zurück. Geduldig stehen die Menschen da, immerhin ist es hier drinnen warm. Draußen hat es wieder angefangen zu schneien.
Kirsten Mullen, 52, ist mit ihrer Tochter Chelsea gekommen, um endlich den jungen Mann live sprechen zu hören, von dem gerade so viel die Rede ist. Dass sie Pete Buttigieg toll finden, den 38-jährigen Präsidentschaftsbewerber der US-Demokraten, wissen sie schon.
„Er ist einfach erfrischend, ein neues Gesicht in der Politik“, sagt die Mutter. Der Grundschullehrerin gefällt, dass er Hoffnung verbreite und immer höflich bleibe, auch wenn er angegriffen werde. Außerdem sei er Linkshänder – „wie Barack Obama“ –, das deute darauf hin, dass er sensibel sei. Ihre Tochter nickt und sagt, dass er auch intelligent sei und schon daher die besten Chancen habe, den Amtsinhaber Donald Trump zu schlagen.
Sonntagabend in Londonderry, eine 30.000-Einwohner-Stadt im Bundesstaat New Hampshire, wo die US-Demokraten an diesem Dienstag nach Iowa zum zweiten Mal über ihren Präsidentschaftskandidaten abstimmen. In Londonderry haben die Menschen bei den drei vergangenen Präsidentschaftswahlen immer republikanisch gewählt, die Gegend ist kein einfaches Terrain für demokratische Politiker.
Die Sensation ist möglich
Knapp 1000 Zuhörer, so wird es die Buttigieg-Kampagne im Anschluss bekanntgeben, werden sich in die Aula der Schule gequetscht haben, das Interesse an Buttigieg, der bis vor kurzem noch Bürgermeister einer wenig bekannten Stadt in Indiana war, ist groß. Bei drei weiteren Veranstaltungen anderswo in New Hampshire kamen am Sonntag insgesamt mehr als 4000. Buttigiegs Leute sprechen von einem „Rekordtag“.
Auch das Team eines anderen Kandidaten versendet am Abend E-Mails mit dem Wort „Rekord“ in der Betreffzeile. Bernie Sanders, der linke Senator aus dem Nachbarstaat Vermont, hat nach Angaben seines Wahlkampfteams knapp 2000 Zuhörer zu seiner Rallye in Keene gelockt. Ein größeres Event habe noch keiner der anderen Bewerber um die demokratische Präsidentschaftskandidatur in New Hampshire abgehalten.
Seit Pete Buttigieg und Bernie Sanders bei der Wahl in Iowa am vergangenen Montag fast gleichauf als Sieger ins Ziel kamen, konzentriert sich die Hauptaufmerksamkeit auf diese zwei Männer. In Umfragen liegt Sanders seit Wochen vorne, 2016 gewann er in New Hampshire mit mehr als 22 Prozent Vorsprung vor Hillary Clinton.
Sehen Sie im Video die Rede von Pete Buttigieg nach der Abstimmung in Iowa:
Doch in den Tagen seit Iowa lässt sich beobachten, wie sich Buttigieg immer weiter heranschiebt, in einer Erhebung führte er am Wochenende sogar knapp. Dass eine Sensation möglich ist, dass der vor einem Jahr noch völlig Unbekannte auch in diesem Ostküstenstaat gewinnt, kann nicht mehr ausgeschlossen werden.
Kurz vor halb acht betritt er am Sonntagabend die Bühne, wie immer in dunkler Anzugshose, schmal geschnittenem weißen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und Krawatte. Kein Jackett. Seinen braunen Lederschuhe meint man die vielen Wahlkampfkilometer anzusehen.
Die jungen Wähler elektrisiert ein anderer
Schnell kommt Buttigieg zu seinem Thema: Amerika stehe an einem entscheidenden Punkt in der Geschichte – und damit „der Rest der Welt“. Bei der Wahl im November gehe es nicht nur darum, wer der nächste Präsident für die kommenden vier Jahre werde, „es geht um die nächsten 40 Jahre“, sagt er.
Um Trump zu schlagen, müssten die Demokraten aber „viele Unabhängige“ ansprechen und am besten auch ganz viele „zukünftige ehemalige Republikaner“, die genug vom derzeitigen Präsidenten und seiner hasserfüllten, spaltenden Rhetorik hätten. „Falls das auf jemanden hier zutrifft, sind Sie herzlich willkommen, uns bei unserer Mission zu helfen.“
Buttigieg will derjenige sein, der das Land zusammenführt. Auch am Sonntag spricht er davon, dass Amerika „geheilt“, die Gesellschaft wieder zusammengeführt statt weiter gespalten werden müsse.
Daher wirbt er anders als Sanders und dessen Senatskollegin Elizabeth Warren beispielsweise für „Medicare for all who want it“, also eine staatliche Krankenversicherung, die eine Option, aber keine Zwangskasse ist. Warren hat er ordentlich unter Druck gesetzt, als er ihr in einer der TV-Debatten vorwarf, nicht zu sagen, woher sie das Geld für ihre Gesundheitsreform nehmen wolle.
Sanders dagegen sagt klipp und klar: Dafür müssen die Steuern angehoben werden – für die Wohlhabenden. Der 78-Jährige, der sich selbst als „demokratischen Sozialisten“ bezeichnet, will nicht weniger als einen Umbau der Gesellschaft, eine Umverteilung von oben nach unten. Er hat Konzernen und Reichen den Kampf angesagt und verspricht, die „arbeitende Mittelschicht“ wieder aufzubauen.
Für viele in den USA ist das linkes Teufelszeug, im demokratischen Parteiestablishment fürchtet man, Sanders’ Botschaft könne moderate Wähler abschrecken.
Das Interessante ist aber, wie viele vor allem junge Wähler er elektrisiert. Deren Begeisterung für ihren Kandidaten spürte man bei seinen Veranstaltungen in Iowa, und auch in New Hampshire füllt er die Säle. Sanders wirbt für sich auch mit dem Argument, dass er wie kein anderer in der Lage sei, die Wahlbeteiligung nach oben zu treiben. Viele seiner Wähler wollen ihn – oder gar niemanden.
Er hat auf Twitter einen Account für seinen Hund
Es ist ein Paradox. Da tritt der jüngste Bewerber aller Zeiten an, um Präsident zu werden. Der erste aus der Gruppe der „Millennials“, der um die Jahrtausendwende erwachsen gewordenen. Ein frisches Gesicht, ein Kandidat, der offen und entspannt über seine Ehe mit einem Mann spricht und auf Twitter einen Account für seinen Hund hat.
Doch viele junge Wähler können mit diesem Mann nichts anfangen, sie begeistern sich lieber für einen mehr als doppelt so alten, oft wütenden Bewerber, dessen stilisiertes Logo – weißer Haarkranz und Brille – sie stolz auf ihre T-Shirts drucken und für den sie gerne an zigtausende von Türen klopfen.
Gleichzeitig sprechen sich viele ältere Wähler für den jungen Newcomer aus. Frauen wie Sarah Golden, 54, und ihre 73-jährige Mutter Penelope Sullivan, schwärmen von seiner Ernsthaftigkeit, der Ruhe, die er ausstrahle, und seiner positiven Botschaft. Dass er über militärische Erfahrung verfügt – Buttigieg war in Afghanistan im Einsatz –, gefällt ihnen.
„Er weiß immerhin, wie es in einem Krieg zugeht, wenn er Präsident wird“, sagt Saran Golden am Sonntag in Londonderry. Und nein, das Alter sei überhaupt kein Hinderungsgrund, im Gegenteil: Es sei Zeit für eine neue Generation. Die Unternehmerin, die einen Reinigungsbetrieb leitet, sagt zwar auch, dass sie den Politikansatz von Sanders richtig finde – nur seien die Chancen, Trump zu schlagen, mit Buttigieg größer.
Die Schwäche des bisherigen großen Favoriten in diesem Rennen nutzt Buttigieg. Monatelang hatte Joe Biden, der ehemalige Vizepräsident, als derjenige gegolten, der aufgrund seines hohen Ansehens und großen Erfahrung die besten Chancen habe, gegen Trump gewinnen zu können. Der 77-Jährige war der Kandidat des moderaten Lagers, derjenige, den Ideologen Sanders verhindern sollte.
Spätestens seit Iowa sind die Zweifel groß, dass er das schaffen kann. Bei seinen Auftritten gewinnt er zwar mit seiner emphatischen Art die Sympathien seiner Zuhörer, umarmt Menschen, zeigt seine Verletzlichkeit. Aber Aufbruchstimmung verbreitet er nicht: Seine Argumente beziehen sich meist auf die Vergangenheit, die er am liebsten wiederherstellen möchte. Darum heißt die Alternative zu Sanders derzeit Buttigieg.
Biden schaltete einen Werbespot gegen Buttigieg
Buttigieg, der meist nur Mayor Pete genannt wird, obwohl er inzwischen gar nicht mehr Bürgermeister der 100.000-Einwohner-Stadt South Bend ist, gilt als ein begnadeter Redner. Der ehemalige McKinsey-Berater mit Abschlüssen der Eliteuniversitäten Harvard und Oxford bleibt stets ruhig und souverän, gibt meist eloquente Antworten, auch wenn sie manchmal etwas sehr allgemein klingen.
Zum Beispiel, wenn er wie bei der TV-Debatte am vergangenen Freitagabend die „Allianz der Generationen“ beschwört, um sicherzugehen, „dass die Zukunft auch wirklich besser ist als die Vergangenheit“. Oder dass der Zustand der Demokratie das Thema sei, „das alle anderen tangiert“. Medien hält das nicht davon ab, sich für ihn zu interessieren: Allein am Sonntag trat Buttigieg in den fünf wichtigsten morgendlichen Talkshows der USA auf.
Seit er im Rennen auf einmal vorn liegt, zieht Buttigieg aber auch verstärkt die Kritik seiner Mitbewerber auf sich. Biden schaltete am Wochenende einen Werbespot, der sich gegen ihn richtet. Er sei zu jung und unerfahren, um Trump schlagen zu können.
Wer hat mehr politische Erfahrung? Das Video der Biden-Kampagne ist da sehr eindeutig:
Während sich Biden als Vizepräsident auf der politischen Weltbühne bewegte und geholfen habe, die Wirtschaft anzukurbeln und internationale Krisen zu lösen, heißt es da zu dramatischer Musik, habe sich Buttigieg als Bürgermeister von South Bend im Bundesstaat Indiana um „dekorative Laternen“ und „die Wiederbelebung von Bürgersteigen“ gekümmert. An dieser Stelle wird die Musik ganz langsam.
Buttigiegs Team reagierte souverän – und wertete den Beitrag als Verzweiflungstat. Dass Biden für solche negativen Werbebotschaften tatsächlich einen Teil seines knapp gewordenen Geldes ausgibt, scheint daran zu liegen, dass er weiß, dass es eng wird.
Im Wahlkampfendspurt sind alle Bewerber noch einmal nach New Hampshire gekommen, alle, bis auf Michael Bloomberg, der sagenhaft reiche Ex-Bürgermeister New Yorks, der die ersten vier Vorwahlen auslässt und erst zum „Super Tuesday“ richtig einsteigt, wenn in 14 Bundesstaaten gleichzeitig abgestimmt wird.
Die Wechselwähler sind seine Chance
Alle außer Bloomberg, also die zehn verbleibenden Präsidentschaftsbewerber, klappern seit Wochen und Monaten auch den letzten Winkel dieses kleinen Bundesstaates ab, der mit dem Motto „Live free or die“ für sich wirbt. 1,3 Millionen Menschen wohnen hier, die Ausmaße sind überschaubar.
Politisch ist New Hampshire ein Swing State, der mal demokratisch, mal republikanisch wählt. 2016 gewann hier knapp Hillary Clinton – mit einem Vorsprung von 0,3 Prozent. Da sieht Buttigieg seine Chance: Er will die Wechselwähler gewinnen.
Und tatsächlich sind bei seinem Auftritt in Londonderry viele im Raum, die sagen, sich noch nicht entschieden zu haben. „Ich bin ein typischer Wähler aus New Hampshire: Meine Entscheidung treffe ich am Dienstagmorgen“, sagt einer, der seinen Namen nicht nennen will. Aber nachdem er „Mayor Pete“ eine halbe Stunde zugehört hat, gibt er zu: Es könne gut sein, dass er ihn wähle.
Schafft Buttigieg die Sensation in New Hampshire und siegt ein weiteres Mal, ist er tatsächlich fürs erste die klare Alternative zu Sanders. Auch wenn er es danach etwas schwerer haben wird, wenn in den südlicheren und ethnisch heterogeneren Bundesstaaten Nevada und South Carolina gewählt wird – noch tut er sich schwer bei den wichtigen Wählergruppen der Afroamerikaner und der Hispanics. Aber keiner vermag vorherzusagen, welche Dynamik ein zweiter Sieg in Folge haben würde.