Sonderparteitag der SPD: Peer Steinbrück: Der honorige Kandidat
Peer Steinbrück wird am Sonntag zum SPD-Herausforderer von Angela Merkel gewählt. Mit welchen Chancen geht er ins Rennen?
Aus dem nominierten Spitzenkandidaten wird am Sonntag der gewählte Spitzenkandidat: Der Sonderparteitag der SPD in Hannover wird die Krönungsmesse für Peer Steinbrück als Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Bundestagswahl 2013. Bekannt ist er dem breiten Publikum bereits: Die Debatten über seine erklecklichen Honorare für Vorträge bescherten Steinbrück in den vergangenen Wochen freilich eine andere als die von ihm erhoffte Publizität.
Welchen Rückhalt hat Steinbrück in der Partei?
Mehr als 90 Prozent – dieses Ergebnis hat diese Woche SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann dem Kandidaten vorausgesagt. Es spricht viel dafür, dass sich seine Prophezeiung erfüllt. Denn trotz seines holprigen Starts scheinen die Sozialdemokraten entschlossen zu sein, sich hinter ihrem Spitzenmann zu sammeln und ihn mit einem sehr guten Ergebnis ins Rennen gegen Merkel zu schicken. Sogar während der Debatten über seine Honorare kamen Solidaritätserklärungen von allen Parteiflügeln. Geschlossenheit im anlaufenden Wahlkampf ist eine traditionelle sozialdemokratische Tugend. Wenn es wirklich um etwas geht, schließt die SPD die Reihen. Aus dem „notorischen Zankapparat“ SPD, so urteilte ein kluger Beobachter, sei nach der Vorentscheidung für Steinbrück „eine Solidaritätsmaschine“ geworden. Das heißt aber nicht, dass die Vorbehalte in Teilen der Partei sowohl gegen Steinbrücks manchmal polterndes Temperament oder gegen seine politischen Ziele ausgeräumt wären, die auf die traditionell linken Instinkte der SPD nicht immer Rücksicht nehmen.
Hat die Parteilinke ihren Frieden mit ihm gemacht?
Mit drei Dingen hat Steinbrück den linken Parteiflügel, der jahrelang in Fehde mit ihm lag, überzeugt: mit seinem Papier zur Bankenregulierung, mit seinem Siegeswillen und mit dem Versprechen, die Unterschiede zur Politik Angela Merkels klar herauszuarbeiten. Über die rhetorischen Mittel dazu verfügt der Kandidat bekanntlich. In der Debatte um die Honorare verteidigte auch der Sprecher der Parteilinken im SPD-Bundesvorstand, Ralf Stegner, den Kandidaten. Er lobte auch, der Ex-Finanzminister habe aus früheren Fehlern bei der Deregulierung der Finanzmärkte gelernt. Stegner, SPD-Landeschef in Schleswig-Holstein, machte kurz vor dem Parteitag allerdings deutlich, dass er einen Preis für die Unterstützung einfordert: In der Führungsmannschaft Steinbrücks müsse die SPD-Linke ausreichend vertreten sein, verlangte er. Vertreter anderer Parteiflügel dagegen warnen: Zu viele, zu deutliche Zugeständnisse des Kandidaten an die Parteilinke, die Jusos oder die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in der SPD könnten sein Profil als selbstständig urteilender, Klartext redender Kandidat abschleifen.
Wie stark belastet Steinbrück die einträgliche Vortragstätigkeit noch?
Nach der jüngsten Umfrage von Infratest Dimap hat Steinbrück bei der Direktwahlfrage im Vergleich zu November zugelegt. Andere Demoskopen wie die Forschungsgruppe Wahlen sehen hingegen Belege dafür, dass der Kandidat wegen der Honorar-Debatte an Glaubwürdigkeit und Vertrauen eingebüßt hat. Gerade das Milieu der „kleinen Leute“ mit geringem Einkommen, traditionell wichtig für die SPD, reagiert offenbar mit Vorbehalten: In ihren Augen ist das soziale Schutzversprechen entwertet, wenn es von einem Politiker mit hohen Nebeneinkünften abgegeben wird. Bei vielen Auftritten Steinbrücks bei Veranstaltungen der SPD in den vergangenen Wochen dagegen war das Thema Honorare entweder gar kein Thema oder ein schnell abgehandeltes Nebenthema. Fazit: Die Erinnerung an die Honorare dürfte den Kandidaten weiter belasten, so lange es ihm nicht gelingt, starke andere Themen zu setzen. Vertreter der schwarz-gelben Koalition nutzen jede Gelegenheit, um in dieser Wunde Steinbrücks zu bohren.
Welche Angebote macht Steinbrück den Wählern - und was halten die davon?
Ist Steinbrück tatsächlich chancenlos gegen Merkel?
Nein. Zwar liegt die CDU-Chefin in allen Umfragen im direkten Duell mit Steinbrück weit voraus. Doch neun Monate sind in der Politik eine sehr lange Zeit, der Wahlkampf hat noch nicht einmal begonnen. Der Kandidat setzt zudem darauf, dass er den Wählern bewusst machen kann, dass Merkels schwarz-gelbe Koalition wegen der Schwäche der FDP keine Zukunft haben kann. Eine wichtige Etappe für ihn ist die Landtagswahl in Niedersachsen Ende Januar, für die mehrere Umfragen eine rot-grüne Mehrheit voraussagen. Eine rot-grüne Landesregierung in Hannover, so Steinbrücks Voraussage, könne die „politische Mechanik“ in der ganzen Republik verändern. Der Kandidat will sich deshalb im Niedersachsen-Wahlkampf stark engagieren. Tatsächlich würde ein Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde in Niedersachsen und ein Regierungswechsel die schwarz-gelbe Koalition in Berlin erschüttern. Umgekehrt gilt aber auch: Verfehlt die SPD ihr Ziel, kann das auch zur Belastung von Steinbrück werden.
Welche Angebote will Steinbrück den Wählern machen?
Der Kandidat warnt seit zehn Jahren vor einem Auseinanderdriften der Gesellschaft, das politisches Vertrauen zerstört und auf lange Sicht auch Wohlstand kostet. Sein Angebot lautet, er wolle nicht nur eine bessere, sondern eine andere Politik machen als Merkel, nämlich die „Fliehkräfte der Gesellschaft“ bändigen. Diesem Ziel dienen sowohl sein Vorschlag zur Regulierung der Finanzmärkte, der weit über die schwarz-gelben Vorstellungen hinausgeht, als auch die Versprechen zu anderen Politikfeldern, die der Kandidat in den vergangenen Wochen abgegeben hat. Steinbrück will eine gerechtere Verteilung der Steuerlast durch eine Vermögensteuer, er will Mindestlöhne einführen und prekäre Beschäftigung zurückdrängen, gleiche Bezahlung für Frauen und Männer für gleiche Tätigkeiten durchsetzen, das Ehegattensplitting im Sinne einer modernen Familienpolitik reformieren, die Bildungspolitik gerechter machen, eine steuerfinanzierte Mindestrente von 850 Euro einführen, die Ostrenten an Westniveau anpassen und den sozialen Wohnungsbau in Deutschland wieder forcieren, um zu verhindern, dass Gering- und Normalverdiener durch horrende Mieten aus Metropolen verdrängt werden.
Wie sehen die Wähler diese Versprechen?
Laut Umfragen stimmt eine Mehrheit der Deutschen den meisten dieser Forderungen zu. Im Vergleich mit der Union, so fand Infratest Dimap im Auftrag der ARD-Tagesthemen heraus, kann die SPD bei wichtigen Themen punkten. Danach glaubt eine Mehrheit, die SPD sei eher dazu in der Lage, die Renten langfristig zu sichern, für eine gute Familienpolitik und Kinderbetreuung zu sorgen, die Chancen der Frauen zu verbessern und das Steuersystem gerechter zu machen. Die Menschen trauen der SPD auch eher zu, erschwingliche Mieten zu erreichen und soziale Gerechtigkeit zu garantieren.
Das Fazit aus diesen Befunden: Der Schulterschluss mit der eigenen Partei ist wichtig für Steinbrück. Im Kampf gegen die Euro- und Schuldenkrise kann er Merkel dagegen nur schwer Paroli bieten. Die Bürger sprechen ihr eine hohe Kompetenz zu. Die leise Hoffnung der SPD ist, dass sich die Krise bis zum Herbst 2013 beruhigt. Doch alle Äußerungen Steinbrücks gehen in eine andere Richtung: Das dicke Ende kommt noch, und es wird teuer für den deutschen Steuerzahler.