SPD berät GroKo-Kurs: Partei-Spitzentreffen im Zeichen der Besonnenheit
Das neue SPD-Führungsduo trifft auf das versammelte Establishment der SPD: Hinter verschlossener Türe berät die Runde den Kurs der Partei in der Groko.
Vor entscheidenden Beratungen in der SPD zur künftigen Ausrichtung in der Koalition mehren sich die Aufrufe zur Besonnenheit. Die designierte SPD-Spitze berät am Dienstagvormittag mit den führenden Köpfen der Partei den künftigen Kurs. Dazu kommt das erweiterte Präsidium in Berlin zusammen. Das mehr als 40-köpfige Gremium tagte bereits zwei Mal, um über die Halbzeitbilanz der Koalition und neue Vorhaben zu beraten. Die designierten SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nehmen zum ersten Mal teil.
Das Gremium, in dem auch die SPD-Bundesminister, die Fraktionsführung und Ministerpräsidenten vertreten sind, will einen Vorschlag für den Parteivorstand und den am Freitag beginnenden Parteitag ausarbeiten. Das Partei-Establishment tritt geschlossen für eine Weiterführung der Koalition ein.
„Nicht dramatisieren“
Das designierte Spitzenduo hatte sich immer wieder Groko-kritisch geäußert, zuletzt aber eine Drohung mit einem Koalitionsbruch vermieden. Esken und Walter-Borjans wollen unter anderem hohe Milliardeninvestitionen des Staats in Schulen und Straßen und mehr Klimaschutz zu Bedingungen für eine Fortsetzung des Regierungsbündnisses machen.
SPD-Vize Ralf Stegner, der auch Mitglied des Gremiums ist, sagte der Deutschen Presse-Agentur, bei den Beratungen im erweiterten Präsidium erwarte er „schon eine Akzentverschiebung“ mit Esken und Walter-Borjans. Massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur statt der „schwarzen Null“ forderten inzwischen sogar Industrie und Gewerkschaften gemeinsam. „Aber wir haben gute Chancen, zu einer einheitlichen Linie zu kommen“, sagte Stegner weiter.
Um einen schlichten Groko-Ausstieg gehe es jetzt nicht, sagte Stegner. „Es gibt aber Bereiche, in denen wir inhaltlich nachlegen müssen - etwa beim Klimaschutz.“ „Aber ich würde das für den Fortbestand der Koalition nicht dramatisieren“, sagte der SPD-Vizechef.
Besonnenheit und positive Rückschau
SPD-Fraktionsvize Achim Post, ebenfalls Mitglied des Gremiums, mahnte zu einem besonnenen Umgang mit der Koalitionsfrage in der SPD. „Ich bin sehr dafür, dass wir diese Fragen nun in Ruhe und ohne vorschnelle Schlüsse miteinander bereden - in der SPD und anschließend mit unserem Koalitionspartner“, sagte der Vorsitzende der NRW-Landesgruppe in der Fraktion der dpa. Post betonte, die Koalition habe nicht nur viel erreicht, sondern auch noch einiges vor. Dazu zähle auch eine Stärkung Europas unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Bernd Westphal, sagte der dpa, die SPD habe in der GroKo bereits viel durchgesetzt. „In der Opposition kann man lediglich versprechen, aber nichts machen“, mahnte Westphal.
Müntefering warnt vor Konsequenzen
Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering warnte eindringlich vor einem Bruch der Koalition. „Wenn man den Bruch provoziert, wenn man das Ding gezielt kaputt macht, dann wird (...) man bei der nächsten Wahl dafür die Quittung bekommen“, sagte Müntefering dem „Tagesspiegel“. Er betonte zugleich, über die Politik der Bundesregierung und der SPD-Fraktion werde nicht im SPD-Präsidium entschieden. „Wir haben kein Zentralkomitee, sondern eine Fraktion mit gewählten Abgeordneten, die ihrem Gewissen verpflichtet sind.“
Ob die Union im Fall eines Bruchs der Koalition mit einer Minderheitsregierung weitermachen sollte, ist bei in der CDU umstritten. Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) hatte dies ins Gespräch gebracht. CDU-Vize Thomas Strobl sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, wenn sich die SPD aus der Verantwortung stehlen würde, wäre dies „eine Option, über die man nachdenken muss.“ NRW-Ministerpräsident und CDU-Bundesvize Armin Laschet sagte dagegen am Montagabend auf einer Veranstaltung des Redaktionsnetzwerkes Deutschland und des „Kölner Stadt-Anzeigers“: „Deutschland braucht als führendes Land in der Europäischen Union eine stabile Regierung.“
Lauterbach: Scholz wird selbst über seine Zukunft entscheiden
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach geht davon aus, dass der im Rennen um den Parteivorsitz unterlegene Olaf Scholz selbst über seine Zukunft als Bundesfinanzminister entscheiden wird. Darüber sollte in der SPD weder spekuliert werden noch sollten Scholz Vorgaben gemacht werden, sagte Lauterbach am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“.
Unter den bisherigen Vorgaben der großen Koalition mit der schwarzen Null als Haushaltsziel habe Scholz „eine erstklassige Arbeit“ gemacht, sagte Lauterbach. Jetzt müsse es aber weitergehen, die große Koalition müsse sich für mehr Investitionen entscheiden. „Wie er darauf reagiert, ist alleine seine persönliche Entscheidung“, sagte Lauterbach über Scholz. „Er weiß mit der Situation verantwortlich umzugehen.“
Lauterbach hatte sich selbst um den SPD-Vorsitz beworben, war aber unterlegen. Mit dem Sieg des Duos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans werde es Nachverhandlungen zum Koalitionsvertrag geben müssen, sagte Lauterbach. Dabei werde es vor allem darum gehen, sich von der schwarzen Null zu verabschieden und mehr zu investieren. Davon hänge auch die Zukunft der großen Koalition ab. Wenn die Union sage, „es bleibt alles wie es ist, dann ist es aus.“
Die Union bleibt beim Nein
Die Vorsitzenden der Unions-Parteien machten nochmals deutlich, dass CDU und CSU keine Neuverhandlung des Koalitionsvertrages mitmachen werden. „Die CDU ist vertragstreu. Sie will diese Koalition fortsetzen auf der Grundlage dieses Koalitionsvertrages. Ob die SPD das auch will, das muss sie selbst für sich entscheiden“, sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in den ARD-„Tagesthemen“. CSU-Chef Markus Söder rief am Montagabend in München die künftige SPD-Führung auf, Pragmatismus vor Idealismus zu stellen. „Es gibt keinen Einstandsbonus und auch kein Urwahlrabatt. Sondern nur das Gebot der Vernunft“, betonte Söder.
Industriepräsident Dieter Kempf rief unterdessen die große Koalition zu mehr Investitionen auf. Kempf sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Wirtschaft stagniert bereits, die Bundesregierung bleibt schon länger beim Reformtempo hinter unseren Erwartungen zurück. Schwarz-Rot hätte eine große Mehrheit, um den Standort Deutschland voranzubringen.“
Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte mit Blick auf das neue Führungsduo der SPD eine Reform der Erbschaftsteuer bei eventuellen GroKo-Nachverhandlungen. „Deutschland ist eine Steueroase für Großerben“, sagte Bartsch der dpa zur Begründung. Auch DGB-Vorstand Stefan Körzell mahnte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ eine „gerechtere“ Besteuerung von Großerben an. Das Argument der Arbeitgeber, ohne gesetzliche Ausnahmen für Unternehmenserben würden Stellen wegfallen, nannte Körzell „pure Angstmacherei“. (dpa, AFP)