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Juan Guaidó, Präsident des entmachteten Parlaments in Venezuela
© dpa/
Update

Venezuela: Parlamentspräsident Guaidó erklärt sich zum Staatschef

Als „Interims-Präsident“ will der Parlamentschef die Position von Nicolás Maduro übernehmen. Die USA und weitere Länder unterstützen ihn, die EU berät noch.

Der Präsident des entmachteten Parlaments von Venezuela hat sich zum Staatschef des südamerikanischen Landes erklärt. „Vor dem allmächtigen Gott gelobe ich, die Kompetenzen der Exekutive als Interimspräsident von Venezuela zu übernehmen“, sagte Juan Guaidó am Mittwoch bei einer Kundgebung vor Anhängern in der Hauptstadt Caracas. „Lasst uns alle schwören, dass wir nicht ruhen, bis wir die Freiheit erlangt haben.“

US-Präsident Donald Trump erkannte Guaidó als rechtmäßigen Übergangspräsidenten des südamerikanischen Landes an, wie das Weiße Haus mitteilte. Venezuela brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu den USA ab. Das diplomatische Personal müsse innerhalb von 72 Stunden das Land verlassen, sagte Präsident Nicolás Maduro. „Hier ergibt sich niemand“, sagte der Staatschef zudem. „Venezuela hat das Recht, sich selbst souverän zu regieren.“

Allerdings war Trump mit der Anerkennung Guaidós nicht allein: Auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) befürwortete den Schritt. „Unsere Glückwünsche für Juan Guaidó als Interims-Präsident von Venezuela. Er hat unseren Rückhalt, um das Land wieder zurück zur Demokratie zu führen“, schrieb OAS-Generalsekretär Luis Almagro auf Twitter. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und Paraguays Regierungschef Marito Abdo kündigten ebenfalls ihre Unterstützung für Guaidó an.

EU-Ratspräsident Donald Tusk setzte auf eine einheitliche Position der EU-Mitgliedstaaten zur "Unterstützung der demokratischen Kräfte" in Venezuela. Anders als der umstrittene sozialistische Staatschef Nicolás Maduro hätten das venezolanische Parlament und dessen Präsident, Oppositionsführer Juan Guaidó, "ein demokratisches Mandat" der Bürger, schrieb Tusk auf Twitter.

Bundesaußenminister Heiko Maas rief alle Seiten zur Besonnenheit auf. "Im Laufe dieses Tages kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auf der Straße auch zu Ausschreitungen kommt", warnte Maas nach einem Gespräch mit US-Außenminister Mike Pompeo in Washington. "Deshalb wollen wir alle einen Beitrag dazu leisten, dass wir hier nicht Gewalt auf der Straße sehen und Menschen zu Schaden kommen." Aktuell sei die Situation in Venezuela "sicherlich kritisch", urteilte Maas. "Wir alle wollen nichts dazu beitragen, was dazu führt, dass die Lage weiter eskaliert."

Angesprochen auf die Entscheidung der USA, Guaidó als Interimsstaatschef anzuerkennen, sagte Maas, sein US-Amtskollege Pompeo habe ihm die Gründe dazu erläutert. "Wir werden uns jetzt sehr eng auf Basis dieser Entscheidung abstimmen, auch mit unseren europäischen Partnern, und wir planen, uns für morgen in der Europäischen Union zu erklären", kündigte er an. Es sei wichtig zu versuchen, in Europa eine gemeinsame Haltung in dieser Frage zu finden.

Mexikos Regierung hält nach eigenen Angaben an Maduro fest. Man behalte seine bisherige Beziehung mit der legitim gewählten Regierung bei, sagte der Sprecher von Präsident Andrés Manuel López Obrador, Jesús Ramírez, dem Fernsehsender „Milenio TV“. Die mexikanische Regierung analysiere die Situation in Venezuela, schrieb Ramírez anschließend auf Twitter. Es gebe zunächst keine Änderungen in den diplomatischen Beziehungen zu dem Land und dessen Regierung.

Zehntausende protestieren gegen Maduro

Präsident Nicolás Maduro hatte sich vor zwei Wochen für seine zweite Amtszeit vereidigen lassen. Zahlreiche Staaten, internationale Organisationen und die Opposition erkennen ihn allerdings nicht als legitimen Präsidenten an, weil die Wahlen im vergangenen Jahr nicht demokratischen Standards entsprachen.

Der Oberste Gerichtshof Venezuelas wies die Staatsanwaltschaft an, gegen die Abgeordneten Ermittlungen einzuleiten. Dem weitgehend entmachteten Parlament warf das Gericht vor, sich missbräuchlich die Befugnisse des Staatschefs Nicolás Maduro anzueignen. Die Ermittlungen sollten umgehend erfolgen, hieß es in einer verlesenen Erklärung.

Zehntausende Menschen gingen am Mittwoch im ganzen Land gegen die sozialistische Regierung auf die Straßen. Die Demonstranten zeigten Transparente mit der Aufschrift „Wir sind frei“ und skandierten „Sie wird stürzen, sie wird stürzen, diese Regierung wird stürzen“.

Polizei und Demonstranten bei Protesten gegen Maduro in Caracas
Polizei und Demonstranten bei Protesten gegen Maduro in Caracas
© AFP/YURI CORTEZ

Die Polizei feuerte Tränengasgranaten und Gummigeschosse in die Menge. Vermummte Demonstranten schleuderten Steine auf die Beamte. Nach Medienberichten wurden mehrere Demonstranten festgenommen. Auch Maduros Anhänger gingen auf die Straßen, um die Regierung zu unterstützen. Der 23. Januar ist ein symbolisches Datum für das Land, weil an diesem Tag 1958 der damalige venezolanische Diktator Marcos Pérez Jiménez gestürzt wurde.

Bei nächtlichen Protesten waren zuvor mindestens vier Menschen ums Leben gekommen. Das teilten die Polizei und die Nichtregierungsorganisation Beobachtungsstelle für soziale Konflikte (OVCS) mit. Unter den Todesopfern sei auch ein 16-Jähriger, der in der Hauptstadt Caracas eine Schussverletzung erlitten habe, gab die OVCS bekannt. Die anderen Toten wurden aus dem südlichen Bundesstaat Bolívar gemeldet.

Guaidó rief die Streitkräfte auf, sich auf die Seite der Regierungsgegner zu stellen. Noch kann Maduro allerdings auf die Unterstützung der mächtigen Militärs setzen: Generäle sitzen an den wichtigen Schaltstellen der Macht, kontrollieren das Ölgeschäft, den Import von Lebensmitteln, Banken und Bergbaufirmen. Viele sollen in Korruption und kriminelle Geschäfte verwickelt sein. Maduro rief die Militärs zu Geschlossenheit und Disziplin auf. "Wir werden über all dies triumphieren, wir werden als Sieger hervorgehen", erklärt er vor Anhängern vor seinem Präsidentenpalast in Caracas. Die Opposition habe einen Putschversuch unternommen.

Verteidigungsminister Vladimir Padrino äußerte auf Twitter seine Unterstützung für Maduro: „Die Soldaten des Vaterlandes akzeptieren keinen Präsidenten, der von dunklen Mächten eingesetzt wird, oder sich abseits des Rechts selbst einsetzt.“

Die US-Regierung hingegen unterstützte die venezolanische Opposition schon vor der Erklärung Guaidós. „Die Krise Venezuelas wird sich verschlimmern, bis die Demokratie wiederhergestellt ist“, schrieb US-Vizepräsident Mike Pence am Dienstag in einem Gastbeitrag für das „Wall Street Journal“. „Nicolás Maduro muss weg.“

Ein ranghoher US-Regierungsmitarbeiter sagte gegenüber Journalisten: "Wenn Maduro und seine Spießgesellen sich dafür entscheiden, mit Gewalt zu antworten, wenn sie entscheiden, Mitgliedern der Nationalversammlung Schaden zuzufügen, sind für die USA alle Handlungsoptionen auf dem Tisch." Der Beamte, der nicht namentlich genannt werden wollte, schloss eine Militärintervention nicht ausdrücklich aus. Für wirtschaftliche Strafmaßnahmen gebe es noch viel Raum, fügte er hinzu. Für die derzeitige Führung in Venezuela seien "die Tage gezählt".

Linken-Abgeordnete verteidigen Maduro

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir rief die Bundesregierung auf, Juan Guaidó als Übergangspräsidenten von Venezuela anzuerkennen. „Und wir sollten dem leidgeprüften Land schnell helfen beim Wiederaufbau, der jetzt ansteht“, sagte er am Mittwochabend „Bild“. „Alles wird jetzt benötigt: vor allem erstmal Lebensmittel, dann Hilfe bei der Infrastruktur, für das eigentlich reiche Land.“

Der CDU-Außenpolitiker Elmar Brok sagte „Bild“: „Die Menschen in Venezuela verhungern, weil der korrupte, abgewählte Präsident Maduro sich illegal an der Macht hält. Die EU sollte sich hinter den vom Parlament legitimierten Juan Gaido stellen. Er wäre als Übergangspräsident vom Volk akzeptiert.“

Mehrere Linken-Bundestagsabgeordnete bezeichneten die Ereignisse auf Twitter als Putschversuch. „Jeder aufrechte Demokrat muss diesen Putschversuch verurteilen“, schrieb die Vize-Fraktionsvorsitzende Sevim Dagdelen bei Twitter. „Kritik an der Regierung ist legitim, ein Putsch ist es nicht und klar zu verurteilen!“ Die Abgeordnete Heike Hänsel rief die Bundesregierung dazu auf, „den Putschpräsidenten“ Guaidó nicht anzuerkennen. „Dies ist ein orchestrierter Staatsstreich, US-gestützt und eingeleitet von US-Vizepräsident Pence“, schrieb sie.

Niema Movassat von den Linken schrieb: „Man mag von Maduro halten was man will, aber dass ein Parlamentspräsident sich einfach zum Staatschef erklärt, dürfte schlicht rechtswidrig sein. Dass Trump und die USA dies sofort anerkennen, offenbart, wer hier die Förderer dieses Putschversuches sind.“

Venezuela streckt in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise. Die Opposition wird unterdrückt, viele Regierungsgegner sitzen in Haft oder sind ins Exil geflohen. Aufgrund von Devisenmangel kann das einst reiche Land kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs importieren. Rund drei Millionen Venezolaner sind bereits vor dem Elend ins Ausland geflohen. (mes, dpa, AFP)

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