NSU-Prozess: Opfervertreter: Bundesanwaltschaft blockiert Aufklärung
Die Opfervertreter im Münchener NSU-Prozess werfen der Bundesanwaltschaft vor, die Aufklärung systematisch zu blockieren. Sie fordern eine Enquetekommission des Bundestages. Es geht auch um Rassismus in den Ermittlungsbehörden.
Im NSU-Verfahren hat sich der schon länger schwelende Konflikt zwischen der Bundesanwaltschaft und Opferanwälten verschärft. Die Anklagebehörde versuche, „unsere Aufklärung zu blockieren“, sagte am Montag einer der Wortführer der Vertreter der Nebenkläger, der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer. Er und seine Kollegen würden im Prozess am Oberlandesgericht München von der Bundesanwaltschaft systematisch behindert und die Opfer des NSU „zu Statisten eines oberflächlichen Abnickens der Anklage degradiert“, monierte Scharmer bei einem Pressegespräch im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte. Der Anwalt vertritt die Tochter des 2006 in Dortmund von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossenen deutschtürkischen Kioskbetreibers Mehmet Kubasik.
Keine Akten
Scharmer sprach im Namen von 33 Nebenklage-Anwälten, die in einem gemeinsamen Papier ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Am Prozess in München nehmen regelmäßig mehr als 50 Vertreter der Opfer teil, die Mehrheit davon sieht sich nun offenkundig in einer Konfrontation mit der Bundesanwaltschaft. Scharmer hielt der Behörde unter anderem vor, die Anwälte bekämen keine Akten aus weiteren Verfahren im NSU-Komplex zu sehen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen neun Personen aus dem Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe wegen des Verdachts, den NSU unterstützt zu haben. Außerdem untersucht die Behörde, wer noch geholfen haben könnte. Im Prozess selbst sitzen als Angeklagte außer Zschäpe vier Männer. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe vor, sie sei die Mittäterin bei den zehn Morden des NSU und den weiteren Verbrechen gewesen. Die vier Mitangeklagten sollen Hilfe geleistet haben.
"Zentrale Fragen"
Vor zwei Jahren hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Gedenkstunde in Berlin versprochen, „wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken“. Für die 33 Anwälte sind jedoch „zentrale Fragen“ der überlebenden Opfer und der Angehörigen der Ermordeten nicht beantwortet. „Wer war noch im Netzwerk des NSU aktiv? Welche Beziehungen gab es ins Ausland? Wer half vor Ort? Wie erfolgte die konkrete Opferauswahl?“, sind einige der unklaren Punkte, die Scharmer nannte. Die Anwälte fragen sich auch, was „die Geheimdienste“ wussten und ob V-Leute und V-Mann-Führer „die Taten gefördert, ermöglicht, gedeckt“ haben.
Bundesanwalt Herbert Diemer und seine drei Kollegen im Münchener Prozess haben hingegen immer betont, in der Hauptverhandlung müsse vorrangig geklärt werden, ob die Angeklagten schuldig und zu bestrafen seien oder nicht. Auch der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats, Manfred Götzl, hat einige Male Fragen von Nebenklage-Anwälten nach möglichen Verbindungen des NSU zu Rechtsextremisten in der Umgebung von Tatorten abgeblockt.
Institutioneller Rassismus
Die 33 Nebenklage-Anwälte sind allerdings nicht nur mit der juristischen Aufarbeitung des NSU-Terrors unzufrieden. Ihnen fehlen auch politische Diskussionen, vor allem zum „Problem des strukturellen und institutionellen Rassismus“ als einer der Ursachen „für das Versagen der Ermittlungsbehörden, aber auch der Medien und der Gesellschaft“, wie es in dem Papier heißt. Scharmer und der ebenfalls aus Berlin stammende Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler trugen die Forderung vor, der Bundestag müsse dazu eine Enquetekommission einsetzen. Als Vorbild sehen die 33 Anwälte die sogenannte Macpherson-Kommission in Großbritannien. Sie wurde 1997 von der Regierung initiiert, um die problematischen Ermittlungen zum gewaltsamen Tod eines dunkelhäutigen Studenten in London zu prüfen. Die nach ihrem Vorsitzenden Lord Macpherson benannte Kommission hielt in ihrem Bericht der Polizei explizit institutionellen Rassismus vor.
Unterstützung für Kommission
Die Forderung der 33 Anwälte nach einer Enquetekommission des Bundestages unterstützten am Montag die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, und Uwe-Karsten Heye. Der Ex-Sprecher der Bundesregierung leitet den Verein „Gesicht zeigen! – Für ein weltoffenes Deutschland“.