Niedriger Preis: Öl ist kein Schmierstoff für Kriege mehr
Russland brechen die Einnahmen weg und für den Iran wird es schwieriger, die Sanktionen des Westens zu unterlaufen: Der Ölpreis hemmt die Krieger. Ein Kommentar.
Für Wladimir Putin und Hassan Rohani wird es eng. Ihre Länder leben vom Ölexport, ihre Staatshaushalte hängen am Ölpreis. Russland benötigte bereits in der Zeit vor den Sanktionen wegen des Ukrainekriegs einen Preis von mindestens 100 Dollar pro Fass, damit die Budgetrechnung aufgeht. Der Iran braucht sogar 140 Dollar pro Barrel, um über die Runden zu kommen. Im Juni lag der Preis bei 112 Dollar, die Einnahmen wirkten wie Schmierstoff für Putins Militärapparat. Inzwischen ist der Ölpreis auf unter 80 Dollar gesunken. Und die Opec, die Organisation der ölexportierenden Staaten, unternahm bei ihrem Treffen am Donnerstag in Wien nichts dagegen.
Gefahr für autoritäre Systeme
Was derzeit auf den Ölmärkten passiert, stellt lang gehegte Grundannahmen infrage. Öl galt als Stoff, dessentwegen Kriege geführt werden – und die Opec als Kartell, das westliche Industriestaaten das Fürchten lehrt. Öl stabilisierte Diktaturen. Sie konnten Demokratisierung und Rechtsstaat verweigern, solange sie ihre Bürger dank der Petrodollars mit Konsumangeboten ruhigstellten. Momentan wirkt der niedrige Ölpreis hingegen wie ein Hebel, der die Konfliktlust bremst, zumindest vorübergehend. Putin brechen die Einnahmen weg, aus denen er über Jahre die Modernisierung der Armee finanziert hatte und in den letzten Monaten die Waffenlieferungen an die Separatisten in der Ostukraine. Für den Iran wird es schwieriger, die Sanktionen des Westens durch teure Umgehungsgeschäfte zu unterlaufen und das Atomprogramm durchzuhalten. Vielleicht stürzen langfristig autoritäre Regime – in Angola, Iran, Russland, Venezuela –, weil sie die Gesellschaft nicht mehr mit Wohltaten aus dem Ölverkauf befrieden können.
Wie kommt es zu einem solchen Einbruch des Ölpreises? Konjunkturelle Ursachen und gezielte Politik wirken zusammen. Die Nachfrage ist moderat. Sechs Jahre nach der globalen Finanzkrise hat die Weltwirtschaft die Wachstumsraten aus der Zeit vor dem Einbruch nicht wieder erreicht. Vor 2008 hatte man einen rasant steigenden Energiehunger Chinas und anderer Schwellenländer befürchtet, der den Ölpreis von damals 140 auf 200 Dollar steigern würde. Deshalb investierten viele Branchen in energiesparende Produktionsweisen und Regierungen förderten die Suche nach unerschlossenen Energiereserven. Der Fracking-Boom in Kanada und den USA veränderte den Ölmarkt, freilich eher indirekt. Fracking ist eine aufwendige Technik und rechnet sich, je nach den geologischen Bedingungen der Lagerstätten, erst ab Ölpreisen über 100 Dollar pro Fass. Das heißt aber: Sollte der Ölpreis wieder steigen, dann wohl nicht mehr so schnell und so hoch wie vor 2008, weil große Reserven bereitliegen, die man ab 100 Dollar pro Fass gewinnbringend fördern kann.
Diese prinzipielle Verschiebung von potenziellem Angebot und Nachfrage öffnet Großproduzenten den Spielraum, um mit einem niedrigen Ölpreis über längere Zeiträume Geopolitik zu betreiben. Das tun einerseits die USA, die mittlerweile zum größten Ölproduzenten aufgestiegen sind – mit täglich zwölf Millionen Barrel Öl vor Russland (elf Millionen) und Saudi-Arabien (9,5 Millionen). Vor allem aber stecken die Saudis hinter dem sinkenden Ölpreis. Sie drosseln die Produktion nicht, um höhere Preise zu erzielen; das Billigöl bringt vielmehr ihren Hauptrivalen Iran in die Klemme. Öl galt lange als Kriegstreiber. Derzeit hemmt es Krieger vom Schlage Putins.
Christoph von Marschall