Vor dem TV-Duell der US-Präsidentschaftskandidaten: Obama und Romney Aug' in Aug'
Heute stehen sich die US-Präsidentschaftskandidaten erstmals im TV-Duell gegenüber. Wer hat die bessere Ausgangsposition – Barack Obama oder Mitt Romney?
Der Republikaner Mitt Romney hat den schwierigeren Part. Er liegt zurück, seit vier Wochen arbeitete der Trend gegen ihn. Barack Obama hat mehr Rückenwind aus dem Parteitag der Demokraten Anfang September mitgenommen als Romney in der Woche zuvor aus dem Treffen der Republikaner. Der Präsident führt jetzt im Schnitt der Umfragen mit 4,3 Prozentpunkten. Diese Dynamik beeinflusst auch die Aussichten für den Kongress, der parallel zum Präsidenten am 6. November gewählt wird. Die Chancen der Republikaner, zusätzlich zu ihrer Mehrheit im Abgeordnetenhaus auch die im Senat zu erobern, sinken.
Romney steht unter Druck, den Trend zu wenden. Er muss angreifen, um Obama aus der Reserve zu locken und zu einem Fehler zu verleiten. Gleichzeitig darf Romney aber nicht zu aggressiv auftreten, denn auch im Ringen um die Sympathiewerte liegt er hinter Obama. Der Präsident kann weit ruhiger in das Rededuell am Mittwochabend gehen. Es genügt, dass ihm kein grober Patzer unterläuft.
Die Präsidentenwahl entscheidet sich aus heutiger Sicht in sieben „Swing States“: Colorado, Florida, Iowa, Nevada, New Hampshire, North Carolina und Virginia. Dort führen beide Kandidaten einen intensiven und erbitterten Wahlkampf. Am Wochenende haben sie ihren Reisemarathon unterbrochen, um für die Debatte zu üben. Obama hat sich nach Henderson, Nevada, zurückgezogen. Senator John F. Kerry übernimmt in den Trainingssitzungen die Rolle von Mitt Romney. Er hat eine ähnliche Statur wie der Republikaner und soll den Präsidenten mit vergleichbarer Schärfe provozieren, wie das Wahlkampfteam dies für Mittwoch in der realen Debatte erwartet. Die Berater haben dicke Drehbücher mit mutmaßlichen Angriffen Romneys vorbereitet. Für den Präsidenten ist es schwieriger, Zeit für das Debattentraining freizuschlagen und auch freizuhalten. „Die Welt hört nicht auf, sich zu drehen“, sagt seine Wahlkampfsprecherin Jen Psaki. Mehrfach musste Obama eine geplante Übungssitzung verkürzen und zu aktuellen Ereignissen Stellung nehmen, zum Beispiel als kürzlich drei US-Diplomaten in Libyen ermordet wurden.
Auch Romney bereitet sich seit Wochen vor, teils in seinem Wahlkampfhauptquartier in Boston, teils in seinem Sommeranwesen am Ufer des Lake Winipesaukee in Wolfeboro, New Hampshire. Senator Robert Portman aus Ohio spielt Obama. Auch Romney möchte realitätsnah üben, seine Angriffe auf Obama souverän vorzutragen und selbst die Ruhe zu bewahren, wenn der Präsident ihn wegen seines Reichtums und seiner geringen Steuerquote attackiert.
Der Teufel steckt im Detail: Man muss ganz genau hinhören, um die Spitzen zu erkennen.
Für beide gilt: Sie dürfen sich nicht aus der Fassung bringen lassen oder mit sichtbarem Ärger reagieren, selbst bei scharfen persönlichen Angriffen. Der Griff in die psychologische Trickkiste beginnt bereits mit der Anrede. Die Amtsbezeichnung – „Mr. President“ und gegenüber Romney „Governor“ mit Blick auf dessen vier Jahre an der Regierungsspitze des Staats Massachusetts – klingt respektvoll, transportiert aber zugleich das Eingeständnis, dass auch der Konkurrent Regierungserfahrung hat. Der gelegentliche Gebrauch des Vornamens erweckt den Eindruck persönlicher Sympathie. Die Redewendung „My opponent“ (mein Gegner) verstärkt die Geringschätzung, wenn von dessen angeblich schädlichen Plänen für Amerika die Rede ist. Romney wird Obamas Verantwortung für die enttäuschende Wirtschaftslage unterstreichen. Der Präsident wird ihm entgegenhalten, die Pläne der Republikaner zur Kürzung staatlicher Leistungen seien zu extrem.
Kurz vor der ersten Debatte wächst die Nervosität in der Republikanischen Partei spürbar angesichts des positiven Umfragetrends für Obama. Das Spitzenduell beeinflusst indirekt auch die Stimmabgabe für die 435 Abgeordneten und für die 35 der 100 Senatssitze, die 2012 zur Wahl stehen. Bis zum Sommer galt es als hoch wahrscheinlich, dass die Demokraten, die derzeit noch eine 53-zu-47-Mehrheit im Senat haben, mindestens vier Sitze netto verlieren werden. Dann würden die Republikaner auch diese zweite Kongresskammer kontrollieren. Senatoren werden für sechs Jahre gewählt. Die 35 Sitze, die jetzt zur Wahl stehen, waren zuletzt 2006 vergeben worden, einem für die Demokraten günstigen Wahljahr. Wegen der verbreiteten Anti-Bush-Stimmung damals hatten sie Senatssitze in Staaten erobert, wo man normalerweise die Republikaner wählt. Von diesen 35 Sitzen müssen die Demokraten 25 verteidigen, die Republikaner nur zehn.
Angesichts der Enttäuschung über die Wirtschaftslage galt der Machtwechsel im Senat bis zum Sommer als ziemlich sicher. Durch Obamas Comeback und manche regionale Besonderheiten ändert sich nun aber die Prognose. In Missouri, einem tendenziell konservativen Staat, war der rechte Republikaner Todd Akin Favorit, hat sich jedoch durch die Forderung, Abtreibung nach einer Vergewaltigung zu verbieten, unbeliebt gemacht. In Massachusetts entziehen die Republikaner ihrem Senator Scott Brown die Unterstützung, weil er zu kompromissbereit gegenüber Obama sei. Die renommierte Internetseite Realclearpolitics rechnet derzeit nur mit einem Nettogewinn von ein oder zwei Senatssitzen für die Republikaner – zu wenig, um die Mehrheit zu kippen. Christoph von Marschall