Rede zur Lage der Nation: Obama sieht Deutschland als Vorbild für Amerika
In seiner Rede zur Lage der Nation hat US-Präsident Barack Obama seine Agenda für die zweite Amtszeit vorgestellt: Er will Bildung fördern, Energie sparen und Arbeitsplätze schaffen. Deutschland sieht er als Vorbild. Einen deutschen Konzern lobt er ganz besonders.
Obamas Rede zur Lage der Nation begeisterte die Demokraten. Die Republikaner klatschten nur selten während des einstündigen Auftritts des Präsidenten vor den beiden Kammern des Kongresses, dem Abgeordnetenhaus und dem Senat. Aber auch die Konservativen bezeugten Obama Respekt. Er sprach mit der Autorität eines Mannes, der nach vier Jahren Amtszeit eine abgeklärte Selbstsicherheit gewonnen hat und zudem nicht wiedergewählt werden kann, also keine Rücksicht mehr auf Opportunitäten nehmen muss.
Welche Tonlage würde der Präsident wählen und an wen würde sich die Rede richten? Darüber hatten die Medien ausführlich spekuliert. Würde es ihm um die Mobilisierung seiner Anhänger gehen oder um ein abgewogenes Werben um Kooperationsbereitschaft der republikanischen Opposition?
Obama ist ein Meister des Sowohl-als-auch. In den Mittelpunkt stellte er das Bemühen um Wirtschaftswachstum und Jobs. Er betonte, er wolle keinen Ausbau des Staats, sondern nur einen klügeren Staat. Angesichts des Haushaltsdefizits und der Schulden dürften die neuen Programme, die er vorschlug, nicht einen Dollar zusätzlich kosten. Da applaudierten auch die Republikaner.
Doch dann leitete Obama zu einem ehrgeizigen Regierungsprogramm für seine zweite Amtszeit über. Er will mehr für Forschung und Bildung tun. Er möchte in den Energieausbau investieren und die verschlissene Infrastruktur des riesigen Landes reparieren. Nur in wenigen Fällen lieferte er Finanzierungsvorschläge mit – zum Beispiel will er einen Teil der Einnahmen aus den Lizenzen für die Öl- und Gasförderung für ein Energiesparprogramm verwenden.
Deutschland beschrieb der US-Präsident als Vorbild für Amerika, vor allem in der Berufsausbildung, aber auch bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch alternative Energien. Ausdrücklich lobte Obama den Konzern Siemens, der viele hundert Jobs in die USA gebracht habe.
Im Mittelteil der Rede kamen die Demokraten kaum dazu, sich länger hinzusetzen. Immer wieder spendeten sie dem Präsidenten „standing ovations“, als er ihre Lieblingsthemen eines nach dem anderen ansprach. Er begann mit der Reform des Immigrationsrechts. Da immerhin würden auch die Republikaner mitmachen. Sie müssen sich für die Latinos öffnen, wenn sie künftig nationale Wahlen gewinnen wollen. Die Einwanderer aus Mexiko, Mittel- und Südamerika sind die am schnellsten wachsende Minderheit.
"Die großartigste Nation der Erde"
Als Obama eine Erhöhung des Mindestlohns auf neun Dollar pro Stunde vorschlug, regte sich keine Republikanerhand zum Beifall. Nur die Demokraten applaudierten begeistert. Das setzte sich fort, als der Präsident staatliche Eingriffe zur Gehaltsangleichung von Frauen und Männern und zur Gleichstellung von Homosexuellen propagierte.
Die Rede zur Lage der Nation konzentriert sich traditionell auf die Innen- und Wirtschaftspolitik, das Ausland kommt nur am Rande vor. Die große Abrüstungsinitiative, die manche Medien voreilig angekündigt hatten, schrumpfte auf einen einzigen Satz zusammen. Er wolle mit Russland über eine weitere Reduzierung der Atomwaffen sprechen, sagte Obama. Zu Nordkorea waren es zwei Sätze: Das Land müsse seine internationalen Verpflichtungen einhalten. Provokationen wie der Atomtest vom Montag führten nur zu weiterer Isolierung.
Im Abschnitt zur Exportförderung kam dann Europa ein zweites Mal nach dem Lob für Deutschland vor. „Heute Abend kündige ich die Aufnahme von Verhandlungen über eine umfassende Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft mit der Europäischen Union an – weil ein freier und fairer Handel über den Atlantik Millionen gut bezahlter amerikanischer Jobs absichert.“ Das Abkommen mit Europa rangierte in Obamas Rede freilich erst an zweiter Stelle. Zunächst sprach er über den Abschluss der Transpazifischen Partnerschaft.
Gegen Ende wurde die Stimmung im Kongress emotional, als Obama den anwesenden Opferfamilien des Schulmassakers von Newtown und anderer Schießereien eine Verschärfung der Waffenkontrolle versprach. Angehörige von Erschossenen saßen in der Loge von First Lady Michelle Obama. Er wisse, dass der Kongress in der Frage des Waffenrechts gespalten sei, wandte sich der Präsident an die Republikaner. „Wenn sie mit Nein stimmen wollen, ist das ihre Wahl. Aber jeder einzelne Vorschlag hat es verdient, dass darüber abgestimmt wird.“ Allein in den zwei Monaten seit dem Schulmassaker in Newtown seien mehr als tausend Amerikaner durch Waffengewalt ums Leben gekommen.
So traurig darf eine Rede zur Lage der Nation natürlich nicht enden – nicht in der „greatest nation on earth“, wie Obama die USA nannte. Amerikaner seien aus anderem Stoff gemacht. „Wir sind Bürger. Das beschreibt, woran wir glauben.“ Und es sei „die Aufgaben von uns allen, als Bürger der Vereinigten Staaten, am nächsten großartigen Kapitel in unserer amerikanischen Geschichte mitzuschreiben".