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Am Ort des Grauens. Mehr als 3000 Menschen gedachten am Dienstag in Auschwitz der Opfer des Holocaust und der Befreiung des Lagers vor 70 Jahren.
© AFP

Gedenken in Auschwitz: „Nur in meinen Erinnerungen kann ich bei meinen Lieben sein"

Die Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz mahnen am 70. Jahrestag der Befreiung, das Geschehene nicht zu vergessen – um das Gewissen der Menschheit wachzuhalten.

Das Einzige, was Halina Birenbaum geblieben ist, sind ihre Erinnerungen. "Selbst wenn ich könnte, würde ich nicht vergessen wollen", sagte die Auschwitz-Überlebende bei der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers. "Nur in meinen Erinnerungen kann ich bei meinen Lieben sein." Selbst die Fotos ihrer Familie sind verbrannt. Den mehr als 3000 Zuhörern beschrieb sie Auschwitz als „bodenlose Höllengrube, aus der ich nicht herauskommen konnte“. Zu Weihnachten habe auf der einen Seite des Lagers ein Tannenbaum gestanden, auf der anderen habe ein Feuer aus Leichen gebrannt. „Nichts hat nur entfernt an etwas Menschliches erinnert“, sagt die 85-Jährige, die in Polen geboren wurde und heute in Israel lebt.

Auschwitz ist an diesem Tag ein unwirklicher Ort. Das Tor zum ehemaligen Vernichtungslager Birkenau ist hell erleuchtet. Um das Gebäude herum wurde ein riesiges Zelt errichtet. Dort sitzen mehr als 300 Holocaust-Überlebende, Delegationen aus 49 Ländern und andere geladene Gäste. Zwei weiße Linien markieren die Schienen, die bis zur Rampe des Vernichtungslagers führten. Unmittelbar vor dem Tor sind die Schienen noch sichtbar, ebenfalls erleuchtet.

„Die Grausamkeiten am Tor von Auschwitz gesehen zu haben, ist genug, um mich jede Nacht für den Rest meines Lebens nicht schlafen zu lassen“, sagte der Überlebende Roman Kent, der heute Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees ist. Den Anblick menschlicher Skelette, den Geruch brennenden Fleisches und die Schreie der Kinder, die aus den Armen ihrer Eltern gerissen wurden, könne er niemals vergessen. Zugleich mahnte der 1929 in Lodz geborene Kent die bei der Gedenkveranstaltung versammelten Regierungsvertreter, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. „Wenn wir vergessen, wird das Gewissen der Menschheit zusammen mit den Opfern beerdigt. Wir müssen uns alle erinnern.“ Kinder müssten zu Toleranz und Verständnis erzogen werden. „Die Erinnerung an Auschwitz ist auch die Erinnerung an die Notwendigkeit, unsere Werte zu verteidigen“, betonte der polnische Präsident Bronislaw Komorowski. In Auschwitz wurden mehr als 1,1 Millionen Menschen ermordet, die meisten von ihnen waren Juden.

Seit sieben Jahren werden die Gebäude und historischen Dokumente restauriert

Sieben Jahrzehnte nach der Befreiung von Auschwitz rückt die Frage, wie die Erinnerung auch für künftige Generationen bewahrt werden kann, in den Vordergrund. Als Ronald Lauder, der Präsident des World Jewish Congress, vor fast 30 Jahren zum ersten Mal nach Auschwitz fuhr, sah er, dass historische Objekte wie die Kleidung und die Koffer der Ermordeten vom Zerfall bedroht waren. Auch die Lagergebäude drohten zu verfallen. Für künftige Generationen wäre dann an diesem historischen Ort nichts mehr zu sehen. Auf seiner nächsten Reise nach New York brachte Lauder Experten aus der ägyptischen Abteilung des Metropolitan Museum of Art in New York nach Auschwitz. Sie erarbeiteten einen Plan, wie die Gedenkstätte restauriert, die Objekte für die Zukunft erhalten werden können. „Wir wollen sicherstellen, dass dieser Ort für immer authentisch bleibt“, betont Jacek Kastelaniec, Generaldirektor der Auschwitz-Birkenau-Stiftung. Seit sieben Jahren werde daran gearbeitet, die Gebäude und auch die historischen Dokumente zu bewahren und zu restaurieren.

53 000 Überlebende erzählten ihre Geschichte

Noch wichtiger sind die Geschichten der Überlebenden, die sich nur auf den ersten, oberflächlichen Blick gleichen, in Wirklichkeit aber einzigartig sind. 53 000 Überlebende haben ihre Geschichte vor den Kameras der Shoah Foundation erzählt. Die von dem US-Regisseur Steven Spielberg gegründete Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Berichte der Überlebenden aufzuzeichnen und auf diese Weise für die Zukunft zu bewahren. Spielberg sagte bei einem Treffen mit Überlebenden am Vorabend des Gedenktages: „Als ich ihren Stimmen zuhörte, fand ich meine eigene Stimme, meine eigene jüdische Identität. Ich habe das Gefühl, ich gehöre zu jedem von ihnen.“

Am Ende gehen einige Überlebende noch einmal den Weg durch das Eingangstor, das „Tor zur Hölle“, und durch den Schnee an der Rampe entlang, an der die Züge ankamen und die meisten Menschen sofort in die Gaskammern geschickt wurden. Sie zünden Kerzen an am Mahnmal für die Ermordeten.

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