Kriminalität bei Flüchtlingen: "Nur eine Minderheit übt Gewalt aus"
Der Kriminologe Dirk Baier im Interview über die Frage, warum Asylbewerber aus Nordafrika häufiger straffällig werden - und was man dagegen tun kann.
Herr Baier, die Studie, an der Sie mitgearbeitet haben, zeigt, dass Asylbewerber aus Nordafrika häufiger Straftaten begehen als andere. Gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge – gibt es das?
So würde ich das nicht formulieren. Ich würde sagen: Es gibt schwierigere und weniger schwierige Umstände. Die Flüchtlinge aus Nordafrika erleben oft eine besonders schwierige Situation. Bevor es zur Überfahrt nach Europa kam, mussten sie Monate, manchmal Jahre warten und sich als Tagelöhner durchschlagen. Sie haben eine sehr lange und durch die Überquerung des Mittelmeers äußerst gefährliche Flucht hinter sich. Das geht nicht spurlos vorüber. Sie haben Gewalt erlebt und sie sind oft traumatisiert.
Und deshalb werden Sie hier straffällig?
Diese Flüchtlinge haben auch hier keine Perspektive, sobald sie einen negativen Asylbescheid bekommen haben. Mancher fragt sich dann, warum er sich an die Gesetze halten soll, wenn er sowieso nicht bleiben kann. Dazu kommt die schlimme Situation in vielen Unterkünften. Auch ein Deutscher, der mit 500 anderen Männern untergebracht und zum Nichtstun verdammt ist, wäre einem gewissen Risiko ausgesetzt kriminell zu werden.
Wollen Sie um Verständnis für Straf- und Gewalttaten werben?
Es geht nicht um Verständnis – wir wollen das Leid der Opfer nicht kleinreden. Es geht aber darum, die Hintergründe zu erklären und Maßnahmen abzuleiten, damit es in Zukunft weniger häufig zu schlimmen Ereignissen kommt. Zudem muss man sagen: Es ist trotz allem nur eine Minderheit, die Kriminalität und Gewalt ausübt.
Sie und die anderen Autoren der Studie regen an, dass auch Nordafrikaner in Sprachkurse oder Praktika kommen sollten. Wie sinnvoll sind solche Integrationsmaßnahmen bei Asylbewerbern, die kaum eine Bleibeperspektive haben?
Wichtig ist, sie so schnell wie möglich in Strukturen zu bringen. Das Risiko, Straftaten zu begehen ist höher, wenn man unbeschäftigt ist und nichts tun kann. Das sieht man bei den Nordafrikanern. Da eine schnelle Rückführung nicht stattfindet und wohl auch in Zukunft nicht stattfinden wird, sollte man sie beschäftigen. Die Zeit, bis zur Ablehnung des Asylantrages muss gefüllt werden. Solche Maßnahmen können nebenbei helfen, dass die Flüchtlinge in ihrem Heimatland später wieder Fuß fassen können und sich ihre Berufschancen dort verbessern. Und Deutschland signalisiert: Ihr seid uns nicht egal – wir tun etwas für euch, auch wenn ihr keine Bleibeperspektive habt. Das kann eine Win-Win-Situation für alle sein.
Dirk Baier leitet das Institut für Kriminalprävention an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Mit Sören Kliem und Christian Pfeiffer erforschte er Flüchtlingskriminalität.