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Politik: Nur der Kanzler fehlte

Vor 20 Jahren wurde im Berliner Kronprinzenpalais der Einigungsvertrag unterzeichnet

Berlin - Als gegen halb drei Uhr morgens an jenem 31. August 1990 im Bonner Innenministerium die Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble und Günther Krause den Einigungsvertrag in trockenen Tüchern haben, stoßen sie mit einem Glas Sekt an. Nach rund acht Wochen intensiver Verhandlungen sind sie erschöpft, aber zugleich berauscht vom Ergebnis: Ein Vertrag wird den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes einvernehmlich regeln und – vorbehaltlich der Zustimmung der vier alliierten Mächte – die deutsche Einheit besiegeln.

Im Gegensatz zum ersten Staatsvertrag, dem über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, kam der Entwurf zu diesem zweiten Staatsvertrag von der DDR-Seite. Zuvor hatte man sich über eine Art Rohskizze verständigt, doch was der eigens von Ministerpräsident Lothar de Maizière für die Einigungsverhandlungen benannte Staatssekretär Krause dann nach Bonn brachte, stieß nicht nur auf Begeisterung. Im Osten wurde ein ganzes Land abgewickelt, im Westen verhakte man sich in Details. Buchstäblich bis zur letzten Minute rang Schäuble mit Ministerkollegen der eigenen und der Koalitionspartei FDP, mit der Opposition und mit NRW-Regierungschef Wolfgang Clement als Verhandlungsführer der Länder etwa um eine Definition, wie die großzügige Fristenregelung für Schwangerschaftsabbrüche in der DDR mit der in der Bundesrepublik geltenden Indikationsregelung kompatibel gemacht werden konnte. Es war Wahlkampf in der Bundesrepublik. Und für die Zustimmung zum Einigungsvertrag wurde eine Zweidrittelmehrheit des Bundesrats benötigt.

In der DDR sind zu diesem Zeitpunkt die heftigsten politischen Kontroversen schon ausgefochten. Die Einheit über Artikel 23 des Grundgesetzes, also einen Beitritt, anzustreben statt über Artikel 146, die Ausarbeitung einer gemeinsamen Verfassung, erschien de Maizière unvermeidlich. „Ein verfassungsgebender Prozess hätte einen solchen Zeitaufwand bedeutet, dass wir das nicht durchgestanden hätten“, sagt er 20 Jahre danach. Er sei „auch heute noch der Überzeugung, dass am Ende nichts anderes herausgekommen wäre als eine Neuauflage des Grundgesetzes, dieser fantastischen Verfassung“. Andere sahen das anders, etwa die Vertreter der PDS und einige Bündnisgrüne, die schon am 23. August in der Volkskammer gegen den Beitrittsbeschluss gestimmt hatten und am 20. September wieder gegen den Einigungsvertrag votierten.

Auch das für Grundeigentum geltende Prinzip Rückgabe vor Entschädigung war in der DDR höchst umstritten – doch für die Westseite nicht verhandelbar. De Maizière: „Mir war klar, dass wir sowohl ein Entschädigungsprinzip als auch ein Restitutionsprinzip nicht reinrassig durchkriegen würden. Wir haben jetzt ein Restitutionsprinzip mit vielen Ausnahmen, um die wir zäh gerungen haben. So muss zum Beispiel ein DDR- Bürger, der ein Grundstück gutgläubig erworben hat, das nicht wieder hergeben.“ Auch in der Frage der Gleichwertigkeit der DDR-Berufs- und Ausbildungsabschlüsse mussten Widerstände im Westen überwunden werden. Dadurch wurden etwa Unterstufenlehrer, obwohl sie in der DDR keinen Hochschulabschluss hatten, gegenüber westdeutschen Lehrern nicht benachteiligt.

20 Jahre später wird Krause resümieren, dass ihm solche Kompromisse dann doch wichtiger waren als ursprüngliche Anliegen der DDR-Seite: dass der vereinte Staat künftig Deutschland statt Bundesrepublik Deutschland heiße, dass die DDR- Hymne mit der Passage „Deutschland einig Vaterland“ Teil des Deutschlandliedes wird. Wurzelt auch in solch verpasster Symbolik der im Osten noch immer verbreitete Eindruck der Ungleichheit? Erst dieser Tage kritisierte Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck, die westdeutsche „Anschlusshaltung“ sei verantwortlich für viele gesellschaftliche Verwerfungen im Osten Deutschlands nach 1990. Es hätten selbst kleinste symbolische Gesten in Richtung Osten gefehlt.

Am Mittag des 31. August 1990 wird im Berliner Kronprinzenpalais Unter den Linden der Einigungsvertrag unterzeichnet. Draußen haben sich etliche Demonstranten versammelt, es gibt eine Bombendrohung. Bundeskanzler Helmut Kohl ist nicht dabei. „Er wollte, dass der Vertrag in Bonn unterschrieben wird. Ich bestand aus Gründen der Selbstachtung und der öffentlichen Wirkung auf Berlin, weil der Vertrag unsere Beitrittsbedingungen regelt“, sagt de Maizière. Kohl habe dann für den Reichstag plädiert, er auf Ost-Berlin beharrt. Daraufhin habe Kohl es wohl vorgezogen, nicht zu kommen.

Matthias Schlegel

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