Osteuropa und die Flüchtlingskrise: Nur Christen aufnehmen? Dann soll es so sein
Die Visegrad-Staaten stemmen sich weiter gegen EU-Flüchtlingsquoten. Christliche Flüchtlinge würden sie allerdings aufnehmen, heißt es. Es wird Zeit, dieses Angebot zu testen. Ein Kommentar.
Sie trafen sich in Warschau, debattierten stürmisch und präsentierten dann das Ergebnis: Es bleibt, wie es ist. Die Visegrad-Länder Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei wollen sich auch weiterhin nicht an der Aufteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union beteiligen. Die Regierungschefs der Benelux-Länder hatten ihre Amtskollegen nicht umstimmen können.
Das nächste Mal trifft man sich womöglich vor Gericht. Denn gegen Polen, Tschechien und Ungarn hat die EU-Kommission wegen des Flüchtlingsstreits ein Vertragsverletzungsverfahren begonnen. Im Gegenzug klagen die Slowakei und Ungarn gegen die EU, weil diese die Aufteilungsquoten gegen den Widerstand kleinerer Mitgliedsländer beschlossen hatte. Bei keinem anderen Thema wird Europas Zwietracht so deutlich wie bei diesem.
Dafür gibt es viele Gründe: eine in Osteuropa oft fehlende Einwanderungs-Tradition aus fremden Kulturkreisen, die Angst vor dem Import des islamistischen Terrorismus, Neo-Nationalismus, eine hohe Abneigung gegen den Islam, etwa in Polen, aber auch anti-deutsche Ressentiments. Jaroslaw Kaczynski, der Gründer der Partei „Recht und Gerechtigkeit“, sagte im Herbst 2015 vor dem Parlament in Warschau, es seien die „Todfeinde“ Polens, die das Land jetzt nötigen wollten, Muslime aufzunehmen. Das wurde als Seitenhieb auf Angela Merkel verstanden.
Verteidiger der Freiheit und des Christentums
Allerdings gab es aus allen vier Visegrad-Ländern immer wieder Signale, sich nicht grundsätzlich gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen zu stemmen. Christen seien durchaus willkommen, heißt es. Insbesondere in Polen verstehen sich viele Menschen als Verteidiger der Freiheit und des Christentums. Die mahnenden Worte von Papst Franziskus, tätige Nächstenliebe gegenüber Flüchtlingen zu praktizieren, verhallen nicht. Erzbischof Henryk Hoser wettert zwar gegen den Islam, befürwortet aber die Aufnahme christlicher Flüchtlinge aus Syrien. Ähnlich argumentiert Ungarns katholischer Bischof Laszlo Kiss-Rigo. „Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“, schreibt der Apostel Paulus (Galater 6,10).
Natürlich ruft ein solches Ansinnen – zynisch ausgedrückt ließe es sich als humanitäre Selektion bezeichnen – im Rest der EU Empörung hervor. Das Kriterium der Hilfe des barmherzigen Samariters ist einzig die Not des Notleidenden. Aus prinzipiellen Gründen ist Brüssel daher nie auf das Angebot der Visegrad-Länder eingegangen. Ja, es wurde noch nicht einmal dessen Ernsthaftigkeit getestet.
In Deutschland haben rund 1,2 Millionen Menschen Asyl beantragt
Das aber ist aus sehr pragmatischen Gründen falsch. Weder ist es im Interesse der EU noch der Flüchtlinge, nicht alle Kompromissmöglichkeiten auszuloten. In Deutschland haben in den Jahren 2015 und 2016 rund 1,2 Millionen Menschen Asyl beantragt. Mehr als zehn Prozent davon sind Christen. Sie kommen aus Syrien, Serbien, Eritrea, dem Irak. Wenn die Visegrad-Länder wirklich bereit sind, eine nennenswerte Zahl davon aufzunehmen, warum sollen sie nicht? Die Lasten wären verteilt, Europa geeinter, den Flüchtlingen geholfen. Darf Prinzipienreiterei das verhindern?
Nein! Die Faust mag sich in der Hosentasche ballen, wenn europäische Flüchtlingspolitik auch nach Religionszugehörigkeit organisiert wird. Aber Zorn ersetzt nicht Vernunft. Die reine humanitäre Lehre bedeutet in der Praxis, dass einige wenige Länder das Gros der Flüchtlinge integrieren muss, während andere sich heraushalten. Politiker, die mehr der Wille zur Lösung treibt als die Angst vor einer Aufweichung von Prinzipien, sollten sich einen solchen Purismus nicht länger leisten.