Von der Leyen zum Bundeswehr-Skandal: Nur bedingt auskunftsbereit
In der Bundeswehr-Affäre hat sich Ministerin Ursula von der Leyen den Fragen des Verteidigungsausschusses gestellt. Klüger waren die Parlamentarier danach allerdings nicht.
Es gibt so Momente im Leben der Ursula von der Leyen, da lacht sie sich im allertiefsten Inneren wahrscheinlich einfach nur kaputt. Am frühen Mittwochnachmittag steht die Ministerin vor dem Raum des Verteidigungsausschusses im Paul-Löbe-Haus. Weit über drei Stunden haben die Abgeordneten sie in der Sondersitzung einvernommen – über den mutmaßlichen Rechtsterroristen in Uniform, Franco A., über Rechtstendenzen und falsche Menschenführung in der Armee im Allgemeinen und darüber, was sie in dreieinhalb Jahren im Amt gegen solches Treiben unternommen hat.
Klüger sind die Parlamentarier hinterher nicht. Dafür müssen sie jetzt zuhören, wie sich die Ministerin „sehr dankbar“ zeigt, dass sie „die Gelegenheit bekommen“ habe darzustellen, was sie schon an Reformen und Veränderungen für die Zukunft eingeleitet habe.
Leyen verzieht bei solchen Sätzen kein bisschen die Miene. Dafür steht in den Gesichtern von Rainer Arnold, Agnieszka Brugger und Christine Buchholz um so deutlicher der Satz: Will die uns hier jetzt auch noch öffentlich verladen? Es sei „völlig klar, dass schwere Fehler passiert sind“, schimpft anschließend der SPD-Wehrexperte Arnold. „Trotzdem tritt die Ministerin auf, als ob sie jetzt die Problemlöserin wäre.“
"Flucht nach vorn"
Auch seine Grünen-Kollegin Brugger spricht von einer „Flucht nach vorn“, und die Linke Buchholz findet Leyens Definition von Verantwortung ebenfalls befremdlich: Statt sich dem Umstand zu stellen, dass unter ihrem Kommando in der Bundeswehr eine Terrorzelle entstehen konnte, zünde die Ministerin jetzt als „Nebelkerze“ eine Werte-Diskussion.
Daran ist jedenfalls so viel richtig, dass die CDU-Politikerin es auf ziemlich raffinierte Weise geschafft hat, ihre Kritiker in einen unübersichtlichen Viel-Fronten-Konflikt zu verwickeln. Am Anfang stand eine Serie von üblen Affären und eine Ministerin, die mit einem Pauschalverriss der eigenen Truppe den Verdacht erregte, dass sie sich seitwärts in die Büsche schlagen wolle.
Mittlerweile hat Leyen eine Diskussion über Traditionsverständnis und die Wehrmacht als Vorbild in Gang gesetzt und in allen Kasernen die Kommandeure auf Jagd nach Wehrmachtsrelikten geschickt. Das hat zwar nichts mit dem Fall des Oberleutnants A. und seiner Komplizen zu tun – deren Hass auf Flüchtlinge und das dahinter stehende völkische Do-It-Yourself-Weltbild speist sich erkennbar aus neurechten Quellen ohne nennenswerten Rückgriff auf die Nazi-Zeit.
Aber die CDU-Frau hat ihre politischen Gegner richtig eingeschätzt. Rechte Umtriebe, Hakenkreuze, Wehrmachtshelme in der Truppe – der Köder ist einfach zu fett, als dass alte Antifakämpfer nicht anbeißen. Die Linken-Wehrpolitikerin Ulla Jelpke etwa fordet prompt eine „Entnazifizierung“ von Kasernennamen.
Traditionserlass soll umgeschrieben werden
Die Erinnerung an Wehrmachtsgenerale komplett tilgen – einfacher kann man es Leyen wirklich kaum machen, als entschlossene Reformerin aufzutreten. Den Traditionserlass von 1982 zum Umgang mit der Wehrmacht will sie jetzt umschreiben – der enthalte „einige Hintertüren“ –, zaubert ein neues Programm „Innere Führung heute“ aus dem Hut, lässt die Wehrdisziplinarordnung überarbeiten, die politische Bildung überprüfen und über kürzere Meldeketten nachdenken, und das alles unter Einbeziehung der Soldaten bis in die unterste Ebene „vom Rekruten bis zum General, vom Referenten bis zur Ministerin“, alles mit Maß und Mitte: „Das ist ein langer Weg, den wir gemeinsam gehen wollen.“
Langer Weg und plötzlich „wir“ – bei ihren Kritikern lösen solche Worte gleich Alarm aus. Sie klingen in ihren Ohren nach langer Bank und dem nächsten Versuch, eigene Verantwortung ins Diffuse wegzuverteilen. Im Ausschuss habe Leyen wenig erklärt, sondern auf Fragen immer bloß selber Fragen gestellt, beschwert sich SPD-Mann Arnold. Das sei so nach der Melodie gegangen: Ich frage mich ... wir fragen uns ... ich will die Soldaten fragen ... Aber selbst simple Auskünfte – etwa, wie oft sie sich schon mit dem Chef des Militärischen Abschirmdiensts (MAD) über Rechtstendenzen in der Truppe unterhalten habe – habe er von Leyen nicht bekommen.
Drei Soldaten wurden als Rechtsextreme überführt
Die Antwort hätte wohl lauten müssen: Noch nie – ich sah keinen Grund. Tatsächlich zeigt die MAD-Statistik, die die Ministerin parat hatte, dass nach der Papierform der Rechtsextremismus in Uniform seit Aussetzung der Wehrpflicht 2010 dramatisch zurückgegangen sei: Die Zahl der Verdachtsmeldungen halbierte sich von 585 auf 227 im Jahr 2016, als echte Rechtsextremisten überführt wurden im vorigen Jahr ganze drei Soldaten.
Angesichts der Terrorzelle rund um den Oberleutnant A. stellt sich indes die Frage, ob diese Statistik die Wirklichkeit erfasst oder nur Schein. Zwar gibt es weiter keine Hinweise auf ein größeres Terror-Netzwerk, das es wie A. und seine zwei verhafteten Komplizen auf Mordanschläge gegen Politiker und Flüchtlingshelfer abgesehen hätte. Aber Arnold und andere Kritiker finden es ein Versäumnis, dass im Hause Leyen trotz des politischen Streits über die Flüchtlingswelle keiner schärfer in die Truppe schaute.
Konkret zu fassen kriegen sie die Ministerin nicht. Nächste Woche will sie das Ergebnis der Razzia nach Wehrmachtsreliquien vorlegen. Die löst viel Verwirrung aus, weil keiner weiß, ob auch der Reichsadler an der Hochstaufen-Kaserne in Bad Reichenhall unter Leyens neue Lesart fällt, die Wehrmacht sei „in keiner Form“ traditionsstiftend – zu schweigen von Waffen, Fotos und Relikten, die seit langem offen zur Schau gestellt werden. In Leyens Truppe finden sie es richtig, wenn Kommandeure schwitzen: Keiner solle mehr sagen können, er sei in einem Raum der eigenen Kaserne noch nie gewesen. Leyens linken Kritikern aber wird gar nichts anderes übrig bleiben als der Ministerin hierzu zu applaudieren.