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Viele Leute, die an einen Tisch gebracht werden müssen. Die Sitzung des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur Terrorgruppe NSU in Berlin.
© dapd

Aktenzeichen ungelöst: NSU-Ausschuss kann nicht arbeiten

Die Bund-Länder-Kommission und der Neonazi-Untersuchungsausschuss haben noch immer keine Unterlagen. Die Bundesländer Sachsen und Thüringen kooperieren nur schwerfällig.

Berlin - Ehrhart Körting (SPD) versuchte das Problem wegzulächeln: „Bürokratie ist langsam“, sagte der ehemalige Berliner Innensenator am Rande des gestrigen Untersuchungsausschusses des Bundestags zur Mordserie der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU. Körting gehört mit dem ehemaligen Hamburger Innensenator und früheren Verfassungsschützer Heino Vahldieck (CDU), dem Strafrechtsexperten Eckhart Müller und dem Ex-Bundesanwalt Bruno Jost zur von der Bundesregierung eingesetzten Bund-Länder-Kommission. Das gemeinsame Problem der beiden Gremien: Niemand hat bisher auch nur eine einzige Akte des Gesamtkomplexes sichten dürfen.

Und so waren die Statements nach dem morgendlichen Treffen ganz auf Solidarität und Kooperation ausgerichtet. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), unterstrich „das gemeinsame Aufklärungsinteresse“ und versicherte, dass beide Gremien sich nicht doppeln, sondern gegenseitig unterstützen werden. Alle Mitglieder fanden deutliche Worte der Kritik am bisherigen Informationsfluss. So sagte etwa FDP-Obmann Hartfrid Wolff: „Es holpert bei der Zusammenarbeit mit den Ländern noch erheblich.“

Die Vierer-Kommission arbeitet seit dem 8. Februar, allerdings hat sie bisher nicht einmal personelle Unterstützung bekommen. Immerhin gibt es eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen den beiden Gruppen. Der Untersuchungsausschuss will sich zunächst mit der Mordserie beschäftigen, während Körting betonte, dass man sich vor allem den strukturellen Vorgängen in Sachsen und Thüringen widmen werde. Deshalb habe man beide Bundesländer gebeten, entsprechende Akten zur Verfügung zu stellen. Bisher ist nichts geschehen.

So bleibt im Augenblick nur der gute Wille zur Zusammenarbeit. Der wird auch nötig sein, weil neben den Gremien Bundestag, Bund-Länder-Kommission und der Kommission des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer in Thüringen sich nun auch in Sachsen ein Untersuchungsausschuss gebildet hat, in dem ausgerechnet jene Partei sitzt, über deren Verbot wieder einmal gestritten wird: die NPD. Die Kooperation der „Aufklärer“ wird also Grenzen haben müssen, auch wenn etwa Petra Pau (Linke) als Mitglied des Bundestagsausschusses betonte, dass man sich nicht „demokratische Rechte beschneiden kann“, nur weil die NPD in einem demokratisch gewählten Parlament sitze. Wolfgang Wieland von den Grünen fand: „Natürlich wird die Zusammenarbeit mit dem Ausschuss in Sachsen anders verlaufen müssen als mit den Thüringern. Wir müssen alles verhindern, damit nicht das verfassungsfeindliche Tun dieser Partei legitimiert wird.“ Man wolle „gegen die NPD abdichten“.

Noch gibt es nichts abzudichten, denn noch gibt es wenig Information. Erst nach den Osterferien wird der Untersuchungsausschuss so weit sein, ein erstes Aktenstudium zu beginnen. Für alle Mordfälle gibt es rund 1400 Akten. Selbst die Anwälte von Angehörigen der Mordopfer haben bisher nur wenig Einblick. Sie haben deshalb einen Brief an Generalbundesanwalt Harald Range geschrieben, der sich nun demnächst mit den Anwälten treffen will.

Bis es in die heiße Phase geht, bemüht sich der Untersuchungsausschuss um die Sicht der Opfer und Angehörigen. Deshalb gehörte am Donnerstagnachmittag bei der ersten öffentlichen Sitzung die Ombudsfrau der Bundesregierung, Barbara John, zu den Gästen. John berichtete nicht nur über ihren Auftrag, der vor allem in der Hilfe für die persönlichen Nöte und Probleme der Angehörigen liegt. Sie wiederholte auch ihre wichtigsten Forderungen: Stärkung der Polizeiarbeit und der Polizeiausbildung, „Gedenkorte“ für die Opfer und Angehörigen, „Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle“ in den Ländern, die auch als Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten fungieren könnte. Sie forderte den Ausschuss offen dazu auf, „sich die Polizeiarbeit genau anzuschauen. Wir wissen, dass es bei der Polizei einen Korpsgeist gibt. Und der ist nicht immer gut.“ Viele Polizisten würden Ausländer nur als Tatverdächtige kennen.

Beeindruckt waren die Mitglieder des Ausschusses von Johns Detailschilderungen über alltägliche Kämpfe und Probleme der Angehörigen. So hätten beispielsweise Jobcenter versucht, die Soforthilfen für die Opfer von Sozialleistungen abzuziehen. Ein Opfer der Anschläge in Köln wiederum wird auf seiner Berufsschule täglich mit „Heil Hitler“ begrüßt. Anrufe in der Schule hätten nur Beschwichtigungen zur Reaktion gehabt.

Wann es die ersten konkreten Aussagen und Ergebnisse der verschiedenen Gremien in Bund und Ländern geben wird, ist völlig offen. Körting wurde schließlich doch noch sehr bestimmt und sagte, ganz ohne zu lächeln: „Wir wollen Akten und keine Berichte.“ Deshalb müsse jetzt „Butter bei die Fische“.

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